Blinde Flecken sichtbar gemacht
Neues Verfahren liefert präzise Radar-Höhendaten über eisbedeckten Wasserflächen.
Ein Abschmelzen der polaren Eisschilde hätte dramatische Folgen: Der Meeresspiegel würde weltweit um mehrere Meter ansteigen, Hunderte Millionen Menschen, die nahe der Küsten leben, wären betroffen. „Es ist daher eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart, wie sich der Klimawandel auf die polaren Gebiete auswirkt“, erklärt Marcello Passaro vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut der TUM. Doch gerade in den vereisten Regionen der Arktis und der Antarktis lassen sich bisher Veränderungen des Meeresspiegels und der -strömungen nur sehr schwer erkennen. Der Grund: Die Radarsignale der Altimetersatelliten, die seit mehr als zwei Jahrzehnten den Abstand zur Erd- und Meeresoberfläche vermessen, werden an den Polen vom Eis reflektiert. Das Wasser darunter bleibt somit unsichtbar.
Abb.: Das Meer östlich von Grönland ist das ganze Jahr von Eis bedeckt. Das Wasser darunter unterliegt einer jahreszeitlichen Dynamik. (Bild: M. Passaro / F. Müller, DGFI-TUM)
Dabei tritt Meerwasser auch im Ewigen Eis entlang von Spalten und Öffnungen nach oben. „Diese Wasserflächen sind jedoch sehr klein, und die Signale sind durch das umliegende Eis stark verfälscht. Standard-
Kernstück der virtuellen Kontaktlinse ist der adaptive Algorithmus ALES+, die Abkürzung steht für Adaptive Leading Edge Subwaveform. ALES+ identifiziert automatisch den Teil der Radarsignale, der vom Wasser reflektiert wird und leitet nur daraus die Meereshöhen ab. Auf diese Weise lässt sich die Höhe des Meerwassers, das in den Spalten und Öffnungen im Eis an die Oberfläche dringt, exakt vermessen. Aus dem Vergleich mit Messungen vergangener Jahre können Klimaforscher und Ozeanographen nun Rückschlüsse auf Veränderungen des Meeresspiegels und der Meeresströmungen ziehen.
„Das besondere an unserem Verfahren ist, dass es adaptiv ist“, erklärt Passaro: „Wir können mit ein und demselben Algorithmus die Wasserhöhen im freien und eisbedeckten Ozean bestimmen. Auch für Küstengewässer, Seen und Flüsse ist ALES+ einsetzbar. Die Signale sind hier sehr unterschiedlich, weisen aber immer bestimmte charakteristische Eigenschaften auf, die das System lernt.“ Die Wissenschaftler konnten anhand eines Testszenarios in der Grönlandsee zeigen, dass ALES+ die Wasserhöhen für Meereisregionen und den offenen Ozean liefert, die deutlich präziser sind als die Ergebnisse bisheriger Auswerteverfahren.
TUM / DE