19.04.2018

Blinde Flecken sichtbar gemacht

Neues Verfahren liefert präzise Radar-Höhendaten über eisbedeckten Wasserflächen.

Ein Abschmelzen der polaren Eisschilde hätte dramatische Folgen: Der Meeres­spiegel würde welt­weit um mehrere Meter ansteigen, Hunderte Millionen Menschen, die nahe der Küsten leben, wären betroffen. „Es ist daher eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart, wie sich der Klima­wandel auf die polaren Gebiete auswirkt“, erklärt Marcello Passaro vom Deutschen Geo­dätischen Forschungs­institut der TUM. Doch gerade in den vereisten Regionen der Arktis und der Antarktis lassen sich bisher Veränderungen des Meeres­spiegels und der -strömungen nur sehr schwer erkennen. Der Grund: Die Radar­signale der Altimeter­satelliten, die seit mehr als zwei Jahr­zehnten den Abstand zur Erd- und Meeres­oberfläche vermessen, werden an den Polen vom Eis reflektiert. Das Wasser darunter bleibt somit unsichtbar.

Abb.: Das Meer östlich von Grönland ist das ganze Jahr von Eis bedeckt. Das Wasser darunter unterliegt einer jahres­zeitlichen Dynamik. (Bild: M. Passaro / F. Müller, DGFI-TUM)

Dabei tritt Meerwasser auch im Ewigen Eis entlang von Spalten und Öffnungen nach oben. „Diese Wasser­flächen sind jedoch sehr klein, und die Signale sind durch das umliegende Eis stark verfälscht. Standard-Auswerte­methoden, wie sie für Messungen über dem offenen Ozean verwendet werden, liefern hier keine zuverlässigen Ergebnisse“, erklärt Passaro. Zusammen mit einem inter­nationalen Team hat er jetzt ein Daten­analyse-Verfahren entwickelt, das den Blick der Radar­augen schärft.

Kernstück der virtuellen Kontaktlinse ist der adaptive Algorithmus ALES+, die Abkürzung steht für Adaptive Leading Edge Sub­wave­form. ALES+ identifiziert automatisch den Teil der Radar­signale, der vom Wasser reflektiert wird und leitet nur daraus die Meeres­höhen ab. Auf diese Weise lässt sich die Höhe des Meer­wassers, das in den Spalten und Öffnungen im Eis an die Oberfläche dringt, exakt vermessen. Aus dem Vergleich mit Messungen vergangener Jahre können Klima­forscher und Ozeano­graphen nun Rück­schlüsse auf Veränderungen des Meeres­spiegels und der Meeres­strömungen ziehen.

„Das besondere an unserem Verfahren ist, dass es adaptiv ist“, erklärt Passaro: „Wir können mit ein und demselben Algorithmus die Wasser­höhen im freien und eis­bedeckten Ozean bestimmen. Auch für Küsten­gewässer, Seen und Flüsse ist ALES+ einsetzbar. Die Signale sind hier sehr unterschiedlich, weisen aber immer bestimmte charakteristische Eigenschaften auf, die das System lernt.“ Die Wissen­schaftler konnten anhand eines Test­szenarios in der Grönland­see zeigen, dass ALES+ die Wasser­höhen für Meer­eis­regionen und den offenen Ozean liefert, die deutlich präziser sind als die Ergebnisse bisheriger Auswerte­verfahren.

TUM / DE

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