05.04.2022 • Energie

Blindleistung besser regeln

Neues Verfahren erleichtert Netzbetreibern die Ausgleichssteuerung in Stromnetzen.

Mit der Dezentralisierung der Stromerzeugung sind die Verteilnetz­betreiber zunehmend gefordert, situations­abhängig Blindleistung zu mobilisieren. Im Forschungs­projekt „RPC2“ hat das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energie­systemtechnik IEE jetzt zusammen mit Partnern aus dem Netzbetrieb und der Universität Kassel Verfahren entwickelt, mit denen Netz­betreiber Erzeugungs- und andere Anlagen in der Mittel- und Hochspannungs­ebene so ansteuern können, dass sie bedarfs­gerecht Blindleistung bereit­stellen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Austausch von Blindleistung zwischen den verschiedenen Netzebenen. In einem netzbetreiber­übergreifenden Feldtest haben AllgäuNetz und LEW Verteilnetz die Verfahren erfolgreich in der Praxis erprobt.

Abb.: Mit einem neuen Verfahren können Netzbetreiber leichter bedarfsgerecht...
Abb.: Mit einem neuen Verfahren können Netzbetreiber leichter bedarfsgerecht Blindleistung bereitstellen. (Bild: J. O. Löfken)

„Solange die konventionellen Kraftwerke einen großen Teil der Stromerzeugung schultern, ist die Versorgung mit Blindleistung im Verteilnetz quasi ein Selbstläufer“, sagt Martin Braun, Bereichsleiter Netzplanung und Netzbetrieb. „In einer zunehmend dezen­tralisierten Erzeugungs­landschaft wird diese Aufgabe jedoch weit komplexer. Mit unserem Forschungs­projekt RPC2 zeigen wir, wie sich die Verteilnetze mit innovativen dezentralen und zentralen Verfahren für das Management von Blindleistung stützen lassen.“ In der ersten Phase des Projektes haben die Forscher neue Verfahren zur Anforderung von Blindleistung aus dezentralen Erzeugungsanlagen, aus Kompensations­anlagen sowie aus der Trafostufung im Hoch- und Mittel­spannungsnetz entwickelt. Diese Verfahren haben die Wissenschaftler dann in die „beeDIP“-Software des Fraunhofer IEE implementiert – eine Plattform, die es erlaubt, Leitwarten um externe Komponenten zu erweitern, Daten und Algorithmen zu integrieren sowie neue Konzepte für die Betriebs­führung zu testen.

Damit war es den Forschern möglich, die entwickelten Verfahren mit Live-Messdaten aus den Leitwarten von AllgäuNetz und LEW Verteilnetz zu speisen. „Mit der Abbildung dynamischer Messwerte aus der Mittel­spannung in den statischen Netzdaten entstand ein detailliertes Bild der Verteilnetze der beiden Projektpartner“, erläutert RPC2-Projekt­leiter Sebastian Wende-von Berg. Vor dem Feldversuch haben die Wissenschaftler die Verfahren zur Blindleistungs­regelung ausführlich im Labor getestet. Dazu haben sie die gekoppelten Verteilnetze der Partner im „OpSim“-System – eine von Fraunhofer IEE und Universität Kassel entwickelte Simulations­umgebung – dargestellt, um die Effekte der entwickelten Verfahren beobachten und analysieren zu können.

Nach erfolgreichem Abschluss der Labortests haben die Partner dann unter Einhaltung höchster Sicherheits­kriterien Blindleistungs­rechner als Demonstratoren in den Verteil­netzen von AllgäuNetz und LEW Verteilnetz implementiert. Dabei standen die Demonstratoren über eine gesicherte VPN-Verbindung miteinander in Kontakt. Mit den aus dem jeweiligen Netzleit­stellensystem exportierten Messwerten und Schaltzuständen konnten die Demonstratoren Berechnungen zur Optimierung des Blindleistungs­flusses im eigenen sowie im gekoppelten 110-Kilovolt-Verteilnetz des Nachbarn durchführen. Daraus haben die Rechner dann Einstell­vorschläge für ausgewählte Erzeugungs- sowie industrielle Kompensations­anlagen in der Mittelspannungs­ebene abgeleitet. Diese Vorschläge hat das Personal der Leitstellen schließlich über einen manuellen Steuerbefehl per Fernwirktechnik umgesetzt.

Damit die beteiligten Anlagen den Auftrag zur Lieferung von Blindleistung aufnehmen, verarbeiten und erfüllen können, galt es, die Anlagen­technik zuvor an die neuen Aufgaben anzupassen. „Die Ergebnisse des Feldtests zeigen, dass die einzelnen Anlagen die geforderten Blindleistungs­werte mit den entwickelten Verfahren punktgenau liefern können“, fasst Fraunhofer-Forscher Frank Marten zusammen. „Damit sind sie in der Lage, aktiv einen wichtigen Beitrag zum Blindleistungs­haushalt des Netzes zu leisten.“

Fh.-IEE / JOL

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