Blitze aus dem Gamma-Universum
Das erste Teleskop des zukünftigen Cherenkov Telescope Arrays wurde auf La Palma eingeweiht. Ab 2025 wollen Astronomen mit fast 120 Teleskopen das Universum bei höchsten Energien beobachten.
Die Astrophysik mit Hochenergie-Gammastrahlen ist ein junges Forschungsgebiet. Im Jahr 2002 waren nur sechs Himmelskörper in diesem Energiebereich bekannt, heute sind es knapp 200. Die meisten wurden von zwei Observatorien entdeckt: dem im Hochland von Namibia stehenden HESS (High Energy Stereoscopic System), bestehend aus vier 12-Meter- und einem 28-Meter-Teleskop, sowie MAGIC (Major Atmospheric Gamma-Ray Imaging Cherenkov Telescopes) auf dem 2200 Meter hohen Roque de los Muchachos von La Palma mit zwei 17-Meter-Spiegeln. In Arizona arbeitet zudem das Observatorium VERITAS (Very Energetic Radiation Imaging Telescope Array System) mit vier 12-Meter-Teleskopen.
Von den Erfolgen mit HESS und MAGIC ermutigt, hat eine internationale Kollaboration den Grundstein für die nächste Generation von Hochenergie-Gamma-Observatorien gelegt: Auf La Palma wurde das Large Sized Telescope (LST, Abbildung 1) eingeweiht. Es ist der Prototyp für sieben weitere Teleskope dieser Größe des zukünftigen Cherenkov Telescope Arrays.
Das LST in der Parkposition. Die Kamera befindet sich rechts auf dem Service-Turm (Foto: Th.Bührke)
Das LST verfügt über einen aus 200 Segmenten zusammengesetzten 23-Meter-Spiegel, dessen Lichtstärke einen wesentlich tieferen Blick ins All ermöglicht als die bisherigen Instrumente. Lichtsammelleistung ist bei dieser Art von Astrophysik entscheidend, denn der Nachweis der Gammaquellen erfolgt auf eine ungewöhnliche Art.
Die energiereichen Gammaphotonen können die Erdatmosphäre nicht durchdringen. In der Luft kommt es zu einer Wechselwirkung mit Atomkernen, in deren Folge eine Lawine von Elektronen und Positronen entsteht, die sich lokal mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen und Tscherenkow-Strahlung aussenden (Abbildung 2). Dieser Lichtkegel besitzt am Boden einen Durchmesser von mindestens 100 Metern. Befindet sich darin ein Teleskop, kann es die Intensität des Lichtblitzes messen, die ein Maß für die Energie des primären Gammaphotons ist. Aus der Ausrichtung des Schauers lässt sich die Quelle am Himmel lokalisieren. Die Gamma-Astronomie verwendet also die Atmosphäre als Detektor.
Tscherenkow-Lichtkegel über dem CTA (Grafik:DESY/Milde Science Comm).
Das LST besitzt im Fokus eine mit 1855 Photomultipliern bestückte Kamera, welche die schwachen, nur wenige Nanosekunden dauernden Tscherenkow-Blitze registriert. Sie wird rund 1000 Mal pro Sekunde ausgelesen, sodass sich eruptive Quellen mit hoher Zeitauflösung studieren lassen. Hier stehen an erster Stelle die spektakulären Gamma Ray Bursts, die unvermittelt am Himmel aufleuchten. Ein solches Ereignis sorgte im vergangenen Jahr für Aufsehen, als von ihm Gravitationswellen nachgewiesen wurden. Hierbei entstand möglicherweise ein Schwarzes Loch. „Ich möchte die Geburt eines solchen Objekts im energiereichen Gammabereich erleben“, sagt Mesahiro Teshima, Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in München, das federführend beim Bau des LST sowie MAGIC beteiligt war. Ein weiterer großer Beitrag kam von der Universität Tokio.
Die zwei Tonnen schwere Kamera in ihrem Schutzgehäuse (Foto:CTAO).
Um solche kurzen Ereignisse beobachten zu können, lässt sich das100 Tonnen schwere LST innerhalb von höchstens 20 Sekunden an jede beliebige Stelle des Himmels ausrichten – eine technisch höchst anspruchsvolle Anforderung.
Mit dem LST beginnt der Aufbau des Cherenkov Telescope Arrays (CTA), das aus zwei Observatorien bestehen wird. Auf La Palma werden insgesamt vier große LST sowie 15 mittelgroße Teleskope mit 12-Meter-Spiegeln den Nordhimmel beobachten. Auf einem Hochplateau in den chilenischen Anden werden vier große LST, 25 mittelgroße sowie 70 kleine Teleskope mit 4 Meter Durchmesser stehen. Die große Zahl an Spiegeln liefert eine hohe Lichtsammelleistung und eine genaue Lokalisierung der Quellen am Himmel. Auf La Palma werden keine kleinen Teleskope installiert. Zum einen ist dort der Platz begrenzt, zum anderen befinden sich am Nordhimmel eher die lichtschwachen Objekte wie entfernte aktive Galaxien, für die man große Spiegel benötigt.
Mit den mittleren und kleinen Teleskopen (und natürlich auch den großen) lassen sich die hellen Quellen beobachten. In Chile steht hier steht das Zentrum der Milchstraße mit seinem Schwarzen Loch und vielen anderen Objekten im Vordergrund, von denen viele noch gar nicht identifiziert sind. Im Bereich des galaktischen Zentrums wollen die Forscher zudem nach Vernichtungsstrahlung von Dunkle-Materie-Teilchen und deren Antiteilchen suchen, die von einigen Theorien bei einigen TeV vorhergesagt wird. „Das ist für mich eine der Hauptaufgaben des CTA“, so Teshima.
Der Fortschritt des CTA gegenüber HESS und MAGIC wird enorm sein. Der von 20 Gigaelektronenvolt bis 300 Teraelektronenvolt reichende Energiebereich ist weiter als bisher, und die große Lichtsammelleistung aller Teleskope wird die Beobachtungszeiten bis um das 400-Fache (!) verringern und wesentlich lichtschwächere Himmelkörper zugänglich machen. Ein entscheidender Gewinn, wenn man bedenkt, dass mit HESS nach insgesamt 3000 Stunden Beobachtungszeit verteilt über zehn Jahre 77 neue Himmelskörper gefunden wurden. „Wir möchten zum Beispiel aktive Galaxien beobachten, die vor etwa sieben Milliarden Jahren besonders häufig waren“ erklärt CTA-Mitinitiator Werner Hofmann vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, unter dessen Leitung das HESS-Observatorium entstanden ist.
Auf dem Beobachtungsprogramm des CTA stehen die energiereichsten Himmelskörper, wie Supernova-Überreste, Pulsare und Pulsarwinde, spezielle Doppelsternsysteme, Galaxien mit hoher Sternentstehungsrate und aktive, supermassereiche Löcher in den Zentren von Galaxien. „Natürlich hoffen wir auch Objekte zu finden, an die wir bislang nicht gedacht haben“, sagt LST-Projektleiter Daniel Mazin.
Nachdem Zweidrittel der veranschlagten Kosten von 400 Millionen Euro gesichert sind, soll der Aufbau beider CTA-Anlagen zügig voranschreiten und 2025 abgeschlossen sein. Erste Beobachtungen werden schon früher mit Teilen des Arrays möglich sein.
Thomas Bührke