16.03.2006

Bosonische Dreieinigkeit

Innsbrucker Physiker bestätigen 35 Jahre alte Theorie von Vitali Efimov.




Innsbrucker Physiker bestätigen 35 Jahre alte Theorie von Vitali Efimov.


Im Jahr 1970 sagte der russische Physiker Vitaly Efimov einen seltsamen Quanteneffekt voraus: Drei Bosonen können eine unendliche Anzahl schwach gebundener Zustände bilden - und zwar auch dann, wenn sie paarweise keine Bindung einzugehen vermögen. Jetzt gelang einem österreichisch-amerikanischem Forscherteam erstmals der experimentelle Nachweis dieser Efimov-Zustände bei ultrakalten Cäsium-Atomen. Die Forscher berichten in der aktuellen Ausgabe von "Nature" über ihr Experiment.

Obwohl der Efimov-Effekt auf den ersten Blick bizarr erscheint, lässt er sich doch - zumindest ansatzweise - anschaulich verstehen. Wenn nämlich zwei Teilchen zwar miteinander wechselwirken, ihre Wechselwirkung aber nicht ganz ausreicht, um gebundene Zustände zu erzeugen, dann kann schon eine kleine zusätzliche Kraft genügen, um das System über die energetische Grenze in einen gebundenen Zustand zu schieben. Und diese kleine zusätzliche Kraft liefert im Fall des Efimov-Effekts das dritte Teilchen.

Efimov hatte ursprünglich vorgeschlagen, bei Nukleonen nach solchen Zuständen zu suchen. Doch dies ist bislang ebenso gescheitert wie der Versuch, gebundene Zustände von drei Heliumatomen aufzuspüren. Hanns-Christoph Nägerl vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und seinen Kollegen gelang nun - 36 Jahre nach Efimovs Vorhersage - erstmalig ein indirekter Nachweis von Efimov-Zuständen bei Cäsium-Atomen.

Dazu kühlten die Forscher das Cäsium-Gas auf Temperaturen von bis zu zehn Nanokelvin ab - also einem Hundertmillionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die Stärke der Wechselwirkung zwischen zwei Bosonen - in diesem Fall zwei Cäsium-Atomen - wird mit der so genannten Streulänge beschrieben. Ist diese Streulänge groß und positiv, so können zwei Atome ein schwach gebundenes Molekül bilden. Ist die Streulänge dagegen negativ, so gibt es zwar eine Anziehungskraft zwischen den Atomen, aber es existieren keine gebundenen Zustände.

Bei den extrem tiefen Temperaturen lässt sich die Streulänge der Atome mit einem bei der Erforschung von Bose-Einstein-Kondensaten standardmäßig eingesetzten Verfahren mit Hilfe eines äußeren Magnetfeldes manipulieren. Für das Auftreten von Efimov-Zuständen muss der Betrag der Streulänge wesentlich größer sein als die Reichweite der Wechselwirkung zwischen zwei Cäsium-Atomen.

Auch Nägerl und seinem Team gelang es nicht, die Energieniveaus von Efimov-Zuständen direkt zu messen. Aber sie konnten nachweisen, dass sich gebundene Zustände aus drei Atomen bilden - denn die Bildung solcher Zustände führt zu einer Art "Verdampfen" von Atomen aus der eingefangenen Wolke aus ultrakalten Cäsium-Atomen. Diese "Dreikörper-Verlustrate" haben die Forscher in Abhängigkeit von der Streulänge untersucht. Sie stießen dabei in Übereinstimmung mit den theoretischen Vorhersagen auf einen starken Effekt - eine Resonanz - bei einem bestimmten negativen Wert der Streulänge.

Eine Schwäche des Experiments ist, dass die Forscher lediglich eine einzige solche Resonanz nachweisen konnten, wo die Theorie eine unendliche Serie von Resonanzen vorhersagt. Allerdings läge bereits die zweite von der Theorie vorhergesagte Resonanz weit außerhalb der Reichweite des Experiments. Zudem finden Nägerl und Kollegen ein so genanntes Interferenzminimum bei positiven Werten der Streulänge, und genau ein solches Minimum sagt die Theorie von Efimov ebenfalls vorher.

Nägerl und seine Kollegen sind daher sicher, erstmalig den Efimov-Effekt beobachtet zu haben - und sie betonen, dass die Untersuchung solcher schwach gebundener zustände "neue Wege zur experimentellen Erforschung der faszinierenden Physik quantenmechanischer Mehrkörpersysteme eröffnet."

Rainer Kayser



Ergänzung:

Pressemitteilung des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation:

Aus dem Labor von Wittgenstein-Preisträger Rudolf Grimm und Start-Preisträger Hanns-Christoph Nägerl gibt es erneut Erstaunliches zu berichten: Den Innsbrucker Experimentalphysikern ist es erstmals gelungen, so genannte Efimov-Zustände zu beobachten. Diese wurden vor über 35 Jahren vom Russen Vitali Efimov theoretisch vorhergesagt und waren seither begehrtes Objekt zahlloser Forschungsgruppen. Die Zeitschrift Nature berichtet darüber in ihrer aktuellen Ausgabe.

Das Zusammenspiel von drei Objekten mathematisch zu beschreiben, gilt in der Physik als schwere Aufgabe. So erwies sich schon die Berechnung der Umlaufbahnen von drei sich gegenseitig anziehenden Himmelskörpern seit den Entdeckungen von Johannes Kepler und Nikolaus Kopernikus als eines der schwierigeren mathematischen Probleme. Die Physiker sprechen deshalb auch vom Dreikörperproblem. Umso überraschender war es denn auch, als der Russe Vitali Efimov Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts Dreikörpersysteme in der Quantenwelt beschrieb, deren theoretische Lösung verblüffend einfach war. Er prophezeite, dass sich drei Teilchen unter Ausnutzung der quantenmechanischen Eigenschaften zu einem Objekt vereinen können, obwohl sie paarweise zu keiner Verbindung imstande sind. Noch erstaunlicher: Wenn man die Entfernung zwischen den Teilchen jeweils um den Faktor 22,7 vergrößert, ergeben sich unendlich viele solcher Efimov-Zustände. Seine scheinbar widersprüchlichen Vorhersagen wurden in den ersten Jahren von den Koryphäen der Physik zunächst stark angezweifelt. In den folgenden Jahrzehnten versuchten sich weltweit zahllose Forschungsgruppen an dem Nachweis dieser mysteriösen Quantenzustände. Das Interesse der Wissenschaft an diesem physikalischen Phänomen ist deshalb so groß, weil es laut Efimov universellen Charakter hat. So gilt das Gesetz in der Kernphysik, wo die so genannte starke Wechselwirkung für die Bindung der Teilchen in den Atomkernen verantwortlich ist, ebenso wie bei molekularen Verbindungen, die auf elektromagnetischen Kräften beruhen.

Weltweit erste Beobachtung
Am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck ist es Forschern um Rudolf Grimm und Hanns-Christoph Nägerl nun erstmals gelungen, diese Efimov-Zustände experimentell nachzuweisen und damit ein Stück Physik-Geschichte zu schreiben. Sie beobachteten dazu ein ultrakaltes Gas aus freien Cäsiumatomen, das bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ein Bose-Einstein-Kondensat bildet. Dieser neue Materiezustand hat quantenmechanische Eigenschaften und die Kräfte zwischen den einzelnen Teilchen können von den Innsbrucker Physikern sehr exakt kontrolliert werden. In den letzten Jahren haben sie in diesem Gas erstmals auch Moleküle gebildet. Mit Hilfe so genannter Feshbach Resonanzen lassen sich die Abstände zwischen den Teilchen genau einstellen und so auch die Bedingungen für die Dreiteilchenbindung nach Efimov schaffen. Die entstehenden Efimov-Objekte werden dabei nicht direkt beobachtet, sondern indirekt durch einen starken Verlust von Teilchen nachgewiesen. "Wir können diese drei schwach aneinander gebundenen Teilchen nicht einfangen", erläutert Prof. Rudolf Grimm. "Wir sehen sie aber indirekt als sehr drastischen Verlust von Teilchen in unserem ultrakalten Gas, wenn wir ganz bestimmte Magnetfelder anlegen. Ihr charakteristisches Verhalten zeigt sich dann in Efimov-Resonanzen. Eine solche Resonanz haben wir jetzt beobachtet."

Auf der Suche nach weiteren Efimov-Resonanzen
"Der Efimov-Zustand ist ein schwer zu veranschaulichendes Phänomen, er gilt aber seit Jahrzehnten als eines der größten Geheimnisse der Quantenmechanik", erzählt Hanns-Christoph Nägerl. "Das Interesse an unseren Daten ist deshalb in der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch enorm groß. Nun liegt es an den Theoretikern, mit unseren neuen Daten das Verständnis des Dreikörperproblems zu vertiefen." Die Innsbrucker Experimentalphysiker wollen unterdessen weiter mit ihren ultrakalten Cäsiumatomen experimentieren und noch andere Efimov-Resonanzen nachweisen. Sie werden dabei vom Österreichischen Wissenschafts-fonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Europäischen Union unterstützt.

Quelle: Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Innsbruck

Weitere Infos:

  • Die neuesten ArXiv.org Pre-Prints (kostenlos) zu Efimov Quantenzustände finden Sie auf phySpy.com
  • Bilder: http://www.ultracold.at/efimov/ 
  • Hintergrundinformationen: http://efimov.ultracold.at/ 
  • Publikation: Evidence for Efimov quantum states in an ultracold gas of
    caesium atoms. T. Kraemer, M. Mark, P. Waldburger, J.G. Danzl, C. Chin,
    B. Engeser, A.D. Lange, K. Pilch, A. Jaakkola, H.-C. Nägerl, R. Grimm,
    Nature 2006, 16. März 2006
    Preprint: http://arxiv.org/abs/cond-mat/0512394
  • "Energy levels arising from resonant two-body forces in a three-body system", V. Efimov, Phys. Lett. B. 33, 563 (1970)

  • "Weakly-bound states of three resonantly-interacting particles" V. Efimov, Sov. J. Nucl. Phys. 12, 589 (1971)

  • Kontakt:
    Dr. Hanns-Christoph Nägerl
    Institut für Experimentalphysik
    Universität Innsbruck
    Technikerstraße 25, 6020 Innsbruck, Österreich
    Web: http://www.ultracold.at

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