26.07.2013

Chaos als Rostschutz

Die Nanostruktur eines Materials beeinflusst entscheidend die Widerstandsfähigkeit gegen Korrosion.

Korrosion frisst alleine in Deutschland jährlich 75 Milliarden Euro der Wirtschaftsleistung. Welche Stähle und sonstige Legierungen davon betroffen sind, lässt sich künftig möglicherweise besser abschätzen. Denn ein internationales Team mit Beteiligung der MPIs für Eisenforschung in Düsseldorf und Mikrostrukturphysik in Halle hat einen amorphen Stahl aus Eisen, Chrom, Molybdän, Bor sowie Kohlenstoff analysiert und festgestellt, dass das Material desto leichter vom Rost angegriffen wird, je geordneter seine Struktur und je ungleichmäßiger die Verteilung seiner Atome ist: Wenn die Elemente der Legierung kein regelmäßiges Kristallgitter bilden und sich völlig gleichmäßig über das Material verteilen, entsteht unter korrodierenden Bedingungen eine passivierende Schicht auf seiner Oberfläche, die es vor dem Verrosten schützt. Entstehen dagegen geordnete Nanokristalle, die mal mehr Chrom und mal mehr Molybdän enthalten, frisst sich die Korrosion rasch in das Material, weil sich keine passivierende Schutzschicht bildet.

Abb.: Ein Stahl im Tomographen – mit einer Atomsonde lässt sich atomgenau bestimmen, wie sich die Elemente in einer Verbindung verteilen. So lässt sich nachvollziehen, wie die Nanostruktur einer Modell-Legierung aus Eisen (grün), Chrom (blau), Molybdän (rot), Kohlenstoff und Bor von der Temperatur abhängt, der sie zuvor ausgesetzt war. (Bild: MPIE / AAAS)

Das Forscherteam hat nun erstmals umfassend untersucht, wie die Mikro- beziehungsweise Nanostruktur der Legierung Fe50Cr15Mo14C15B6 deren Korrosionsbeständigkeit beeinflusst. Die Legierung gehört zu den amorphen Stählen, die etwa als abriebfeste Beschichtungen Verwendung finden. Darin liegen die Elemente in einer unregelmäßigen Struktur vor, sind aber völlig gleichmäßig im Material verteilt. „Für uns ist die Legierung vor allem als Modellsystem interessant, in dem wir den Übergang von der amorphen zur kristallinen Form studieren können“, sagt Frank Renner. Da sie gängigen Chrom-Molybdän-Stählen ähnelt, sind die Ergebnisse der Forscher auch für Materialien aus der Praxis relevant. Allerdings enthält die Test-Legierung der Forscher deutlich mehr Kohlenstoff als gängige Stähle, und auch der hohe Boranteil ist für Stähle aus dem Hochofen eher unüblich. Nur diese Mixtur ermöglichte es dem Team jedoch, die amorphe Variante der Legierung zu erzeugen.

Die amorphe Form der Legierung markierte den Startpunkt einer Messreihe, die über mehrere Zwischenstufen bis zur geordneten kristallinen Form führte. Wie weit die Legierung kristallisiert, hängt dabei von der Temperatur ab, bei der die Forscher die Elemente miteinander verbacken. Die Nanostrukturen ihrer Stahl-Varianten klärte das Team mithilfe der Atomsonden-Tomografie auf. Dabei werden die Atome einer Probe eines nach dem anderen verdampft und von einem Detektor aufgefangen. Aus der Zeit, die ein Atom bis zum Detektor braucht, lässt sich auf das Element schließen, aus dem Punkt, an dem es auftrifft, auf seine Position in der Probe. So erhielten die Forscher genaue Karten der Materialien. An ihnen konnten sie nachvollziehen, wie sich die Atome mit steigender Herstellungstemperatur umgruppieren.

Die genauen Informationen über die Nanostruktur der Stahlvarianten verglichen die Forscher nun mit elektrochemischen Messungen, wie leicht die verschiedenen Formen zum Opfer der Korrosion wurden. Zu diesem Zweck benetzten die Forscher die Probenoberflächen mit einer Salzlösung und setzten die Legierung unter eine elektrische Spannung. Je höhere Spannungen eine Probe im Labor aushält, ohne sich aufzulösen, desto mehr Widerstand stellt sie dem Rostangriff auch in der Praxis entgegen. „Dabei erwiesen sich die völlig und die weitgehend amorphe Form als fast so beständig wie reines Chrom“, erklärt Julia Klemm, die die entsprechenden Experimente gemacht hat. Reinem Chrom kann die Korrosion unter normalen Bedingungen wenig anhaben, weil es durch eine dünne passivierende Oxidschicht versiegelt wird. Eine solche Schutzschicht bildet sich auch auf den amorphen Stählen. In den größtenteils kristallinen Formen der Legierung ist das aber offenbar nicht mehr möglich. Hier frisst der Rost schon bei relativ niedrigen Spannungen Löcher in die Probe.

Das Team analysierte zudem, welche Elemente bei welcher Spannung aus dem Material gelöst werden. „Unseren Messungen zufolge entweichen bei niedrigen Spannungen vor allem Eisen und Molybdän aus der amorphen Probe“, sagt Klemm: Das Chrom bleibt demnach zurück und bildet eine undurchdringliche Schutzschicht auf dem gesamten Material. Mit steigender Spannung wird jedoch immer mehr Chrom gelöst, während der Anteil des gelösten Eisens und Molybdän gleich bleibt oder sogar abnimmt. Ähnlich verhält es sich auch in der Probe mit nur geringem kristallinen Anteil. In der vollkommen kristallinen Probe werden molybdänreiche Areale mit steigender Spannung dagegen zusehends schneller zersetzt, während chromreiche Gebiete über einen größeren Spannungsbereich stabil bleiben. Im kristallinen Material verschont der Rost also die chromreichen Areale, und ein schwammartiges Material bleibt übrig.

Eine eindeutige Anleitung, wie sich Stähle aus der industriellen Praxis widerstandsfähiger gegen Rost machen lassen, können die Düsseldorfer Forscher zwar noch nicht geben. „Unsere Studie zeigt aber, dass bereits die Entmischung im Nanometerbereich stark beeinflusst, wie korrosionsbeständig ein Material ist“, sagt Frank Renner. Dass sich alle Komponenten möglichst gleichmäßig in einem Material verteilen sollten, damit der Rost es nicht zerfrisst, könnte also ein Anhaltspunkt für die praktische Materialwissenschaft sein.

MPG / CT

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