27.02.2023 • Materialwissenschaften

Chaos auf Nanometer-Skala

Katalytische Reaktionen auf winzigen Rhodium-Kristallen zeigen chaotisches Verhalten.

Chaotisches Verhalten kommt in vielen Bereichen vor: Beim Wetter, bei den bahnen von Himmels­körpern und bei gekoppelten Pendeln. Auf atomaren Größen­ordnungen stößt man allerdings normaler­weise nicht auf Chaos – dort überwiegen fast immer andere Effekte. Nun konnte ein Team an der TU Wien jedoch erstmals klare Anzeichen von Chaos auf der Nanometer-Skala nachweisen – und zwar bei chemischen Reaktionen auf winzigen Rhodium-Kristallen.

Abb.: Nanochaos auf einem asym­me­trischen Rhodium-Nano­kristall. (Bild: TU...
Abb.: Nanochaos auf einem asym­me­trischen Rhodium-Nano­kristall. (Bild: TU Wien)

Die chemische Reaktion, die von den Forschern analysiert wurde, ist einfach: Mit Hilfe eines Edelmetall-Katalysators reagiert Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser, das ist auch das Grundprinzip einer Brennstoff­zelle. Die Reaktions­geschwin­dig­keit hängt dabei von äußeren Bedingungen wie Druck und Temperatur ab. Unter bestimmten Voraus­setzungen zeigt diese Reaktion allerdings ein oszil­lie­rendes Verhalten, obwohl die äußeren Bedingungen konstant sind. „So ähnlich wie ein Pendel von links nach rechts schwingt und wieder zurück, oszilliert die Reaktions­geschwin­dig­keit zwischen kaum wahrnehmbar und hoch und damit das katalytische System zwischen inaktiv und aktiv hin und her“, erklärt Günther Rupprechter von der TU Wien.

Ein Pendel ist ein klassisches Beispiel für etwas Berechenbares – wenn man es ein bisschen stört oder es zweimal auf leicht unter­schied­liche Arten in Bewegung setzt, verhält es sich danach im Großen und Ganzen gleich. Es ist in gewissem Sinn das Gegenteil von einem chaotischen System, bei dem minimale Änderungen der Ausgangs­bedingungen zu höchst unter­schied­lichen Ergebnissen im Langzeitverhalten führen. Ein Parade­beispiel für ein solches chaotisches System sind mehrere Pendel, die mit elastischen Schnüren mitein­ander verbunden sind.

„Grundsätzlich legen die Naturgesetze natürlich immer noch exakt fest, wie sich die Pendel verhalten“, sagt Yuri Suchorski von der TU Wien. „Könnten wir ein solches gekoppeltes System aus Pendeln zweimal exakt auf dieselbe Art starten, würden sich die Pendel beide Male genau gleich bewegen.“ Doch in der Praxis ist das unmöglich: Man wird beim zweiten Mal nie perfekt dieselbe Ausgangs­situation herstellen können wie beim ersten Mal – und schon ein winziger Unterschied in der Ausgangslage bewirkt, dass sich das System später völlig anders verhält als beim ersten Mal. Das ist der berühmte „Schmetter­lings­effekt“: Winzige Unterschiede in den Anfangs­bedingungen führen zu großen Unterschieden im Zustand zu einem späteren Zeitpunkt.

Etwas Ähnliches haben die Forscher jetzt bei chemischen Oszillationen auf einem Rhodium-Nanokristall beobachtet. Der Kristall besteht aus vielen verschiedenen winzigen Oberflächen-Facetten in einer Größen­ordnung von Nanometern. Auf jeder dieser Facetten oszilliert die chemische Reaktion, aber die Reaktionen auf benach­barten Facetten sind mitein­ander gekoppelt.

Das Kopplungs­verhalten lässt sich steuern, indem man die Menge an Wasserstoff verändert. Zunächst dominiert eine Facette und gibt den Takt vor. Alle anderen Facetten schließen sich an und oszillieren im selben Takt mit. Erhöht man die Wasserstoff-Konzentration, wird die Situation komplizierter. Unter­schied­liche Facetten oszillieren mit unterschiedlichen Frequenzen – aber immer noch ist ihr Verhalten periodisch und gut vorher­sagbar. Wenn man dann allerdings die Wasserstoff-Konzentration noch weiter erhöht, bricht diese Ordnung plötzlich zusammen. Das Chaos gewinnt, die Oszil­la­tionen werden unvorher­sehbar, winzige Unterschiede in der Anfangs­situation führen zu völlig unter­schied­lichen Schwingungs­mustern.

„Das ist bemerkenswert, weil man chaotisches Verhalten in nanometer­großen Strukturen eigentlich nicht erwarten würde“, sagt Suchorski. Je kleiner das System, desto größer ist der Beitrag des stochas­tischen Rauschens. Eigentlich müsste das Rauschen, das etwas völlig anderes als Chaos ist, das Verhalten des Systems dominieren. Umso interes­santer, dass es gelungen ist, die Indizien für Chaos heraus­zu­filtern.

„An Chaostheorie forscht man seit Jahrzehnten. Es ist auch bereits gelungen, diese an chemische Reaktionen in makro­sko­pischen Systemen anzuwenden, aber unsere Studie ist der erste Versuch, das umfassende Wissen aus diesem Bereich auf die Nanometer-Skala zu übertragen“, sagt Rupprechter. „Winzige Abweichungen in der Symmetrie des Kristalls können darüber entscheiden, ob sich der Katalysator geordnet und vorher­sagbar oder ungeordnet und chaotisch verhält. Das ist für unter­schied­liche chemische Reaktionen wichtig – und vielleicht sogar für biologische Systeme.“

TU Wien / RK

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