26.04.2021

Corona-Wirkstoffe im Röntgenlicht

Großes Röntgenscreening findet vielversprechende Kandidaten, die bereits in präklinischen Tests sind.

An DESYs hochbrillanter Röntgen­lichtquelle Petra III hat ein Forschungsteam mehrere Kandidaten für Wirkstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 identifiziert. Sie binden an ein wichtiges Protein des Virus und könnten damit die Basis für ein Medikament gegen Covid-19 sein. In einem Röntgen­screening testeten die Forscher in kurzer Zeit fast 6000 bereits für die Behandlung anderer Krankheiten existierende Wirk­stoffe. Nach der Messung von rund 7000 Proben konnte das Team insgesamt 37 Stoffe identifizieren, die an die Hauptprotease (Mpro) des SARS-CoV-2-Virus binden.

 

Abb.: DESY-Forscher Alke Meents bei den Wirkstoff­screenings an der...
Abb.: DESY-Forscher Alke Meents bei den Wirkstoff­screenings an der Mess­station P11 von DESYs Röntgen­lichtquelle Petra III (Bild: C. Schmid / DESY)

Sieben dieser Stoffe hemmen die Tätigkeit des Proteins und bremsen so die Vermehrung des Virus. Zwei von ihnen tun das so vielversprechend, dass sie zurzeit in präklinischen Studien weiter untersucht werden. Das vermutlich größte Wirkstoff­screening dieser Art brachte zudem eine neue Bindungs­stelle an der Haupt­protease des Virus zu Tage, an der Medikamente ankoppeln können.

Im Gegensatz zu Impfstoffen, die gesunden Menschen helfen, sich gegen das Virus wehren zu können, werden in der Wirkstoff­forschung Medikamente gesucht, die bei erkrankten Personen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen oder zum Erliegen bringen. Viren können sich allein nicht vermehren. Sie schleusen stattdessen ihr eigenes Erbgut in die Zellen ihres Wirts ein und bringen diese dazu, neue Viren herzustellen. Dabei spielen Proteine wie die Haupt­protease des Virus eine wichtige Rolle. Sie zerschneidet Proteinketten, die nach dem Bauplan des Virus­erbguts von der Wirtszelle hergestellt wurden, in kleinere Teile, die für die Vermehrung des Virus notwendig sind. Gelingt es, die Haupt­protease zu blockieren, lässt sich der Zyklus unter Umständen unterbrechen; das Virus kann sich nicht mehr vermehren, und die Infektion ist besiegt.

Die Strahlführung P11 der Forschungslichtquelle Petra III ist auf struktur­biologische Untersuchungen spezialisiert. Hier lässt sich die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darstellen. Das nutzte das Forschungs­team um DESY-Physiker Alke Meents, um mehrere tausend bekannte Wirkstoffe aus einer Bibliothek des Fraunhofer-Instituts für Trans­lationale Medizin und Pharmakologie und einer weiteren der italienischen Firma Dompé Farmaceutici SpA darauf zu untersuchen, ob und wie sie an die Hauptprotease „andocken“ – der erste wichtige Schritt, um sie zu blockieren. Wie der Schlüssel in ein Schloss passt dabei das Wirkstoffmolekül in ein Bindungs­zentrum der Protease. Der Vorteil der Wirkstoff­bibliothek: Es handelt sich um bereits für die Behandlung von Menschen zugelassene Wirkstoffe oder solche, die sich zurzeit in verschiedenen Erprobungs­phasen befinden. Geeignete Kandidaten zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 könnten daher erheblich schneller in klinischen Studien eingesetzt werden und so Monate oder Jahre der Wirkstoff­entwicklung sparen.

Die technische Spezial­ausrüstung an der Petra III-Station P11 beinhaltet einen voll­automatischen Proben­wechsel mit einem Roboterarm, so dass jede der über 7000 Messungen nur etwa drei Minuten dauerte. Mit Hilfe einer automatisierten Daten­analyse konnte das Team schnell die Spreu vom Weizen trennen. „Mit Hilfe eines Hochdurch­satzverfahrens haben wir insgesamt 37 Wirkstoffe finden können, die eine Bindung mit der Haupt­protease eingehen“, sagt Meents, der die Experimente initiierte.

In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscher am Bernhard-Nocht-Institut für Trope­nmedizin, ob diese Wirkstoffe in Zellkulturen die Virus­vermehrung hemmen oder gar verhindern, und wie verträglich sie für die Wirtszellen sind. Hierbei reduzierte sich die Zahl der geeigneten Wirkstoffe auf sieben, von denen zwei besonders hervorstachen. „Die Wirkstoffe Calpeptin und Pelitinib zeigten die deutlich höchste Antiviralität bei guter Zell­verträglichkeit. Unsere Kooperationspartner haben daher bereits präklinische Untersuchungen mit diesen beiden Wirkstoffen begonnen“, erklärt Sebastian Günther, Erstautor der neuen Veröffentlichung in Science.

In ihrem Wirkstoffscreening mit Hilfe der Proteinkristallographie untersuchten die Forscher nicht wie üblich Fragmente potenzieller Wirkstoffe, sondern vollständige Wirkstoff­moleküle. Dabei entdeckte das Team aus mehr als hundert Wissenschaftlern aber auch etwas komplett Unerwartetes: Es fand eine Bindungs­stelle an der Haupt­protease, die bis dahin noch völlig unbekannt war. „Es war nicht nur eine positive Überraschung, dass wir eine neue Bindestelle für Medikamente an der Hauptprotease entdecken konnten – ein Ergebnis, das man wirklich nur an einer Synchrotron­lichtquelle wie Petra III erzielen kann –, sondern dass sogar einer der beiden heißen Wirkstoff­kandidaten genau an diese Stelle bindet“, sagt Christian Betzel vom Exzellenz­cluster CUI der Universität Hamburg, Mitinitiator der Studie.

„Eine besondere Stärke unserer Methode des Röntgenscreenings im Vergleich zu anderen Screening­methoden ist, dass wir als Ergebnis die dreidimensionale Struktur der Protein-Wirkstoff-Komplexe erhalten und damit die Bindung der Wirkstoffe an das Protein auf atomarer Ebene bestimmen können. Selbst wenn die beiden aussichts­reichsten Kandidaten es nicht in klinische Studien schaffen sollten, so bilden die 37 Stoffe, die an die Hauptprotease binden, eine wertvolle Datenbasis für darauf aufbauende Medikament­entwicklungen,“ erläutert Patrick Reinke, DESY-Forscher und Koautor der Veröffentlichung.

„Die Untersuchungen an Petra III zeigen eindrucksvoll, wie relevant hochbrillante Synchrotronlichtquellen für die Entwicklung zukünftiger Medikamente und die Gesundheits­forschung insgesamt sind“, unterstreicht Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. „Wir müssen und wollen unsere Infrastrukturen künftig noch stärker zur Bewältigung von derartigen Gesundheits­krisen ausbauen.“

An den Arbeiten sind auch Forscher der Universitäten Hamburg und Lübeck, des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropen­medizin, des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie, des Heinrich-Pette-Instituts, des European XFEL, des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie EMBL, der Max-Planck-Gesellschaft, des Helmholtz-Zentrums Berlin und weiteren Institutionen beteiligt. Zusätzlich zu den Experimenten an der Mess­station P11 wurden auch Messungen an den EMBL-Mess­stationen P13 und P14 an Petra III durchgeführt.

DESY / DE

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