Dämpfen mit phononischen Kristallen
Makroskopische Kristallstrukturen können unerwünschte Schwingungen absorbieren.
Gibt es Materialien, die eine hohe mechanische Tragfähigkeit aufweisen, trotzdem aber aufgrund ihrer inneren Struktur Schall und Vibrationen dämpfen können? Materialien, mir denen sich ganz ohne Schaumgummi, Federn und Stoßdämpfer ein schwerer Schiffsmotor so lagern lässt, dass nicht mehr der gesamte Schiffskörper brummt? Theoretische Physiker hatten solche Materialien, die phononischen Kristalle, vorausgesagt. Doch nur wenige Wissenschaftler weltweit hatten diese eigentümlichen Kunst-Materialien bereits in der Hand und konnten ihre Eigenschaften am echten Objekt überprüfen.
Abb.: Modell eines phononischen Kristalls für eine effizientere Dämpfung. (Bild: Empa)
Nach drei Jahren Forschungsarbeit hat ein Team der Empa und der ETH Zürich solche Materialien bereits zum Patent angemeldet. Im September diesen Jahres haben die Forscher Versuchsstrukturen aus einer Aluminiumlegierung erstmals im eigenen 3-D-Drucker angefertigt, um die Methode der Schall- und Vibrationsdämpfung weiter zu verfeinern. Ohne moderne Fertigungsmethoden wie den 3-D-Druck mit Metallen wäre es im Labor kaum möglich, phononische Kristalle für Versuchszwecke herzustellen.
Seit 2013 ließen sich die Empa-Forscher Tommaso Delpero und Andrea Bergamini von einer Idee des California Institute of Technology (Caltech) inspirieren und starteten gemeinsam mit den Empa-Akustik-Experten Stefan Schoenwald und Armin Zemp ihr Projekt. In einer ersten Arbeit berechneten sie, dass die ultraleichten dreidimensionalen Metallgitterstrukturen mit Zellen in Millimetergrösse Ultraschallfrequenzen von etwa 100 kHz sehr gut dämpfen sollten. Die logische nächste Frage lautete: Gibt es auch Strukturen, die Schall im hörbaren Bereich oder niederfrequente Schwingungen dämpfen? Und lassen sich solche Materialien gezielt auf eine Schwingungsfrequenz anpassen?
Delpero machte erste Versuche mit dem Strukturmodell eines Diamanten. Delpero montierte ein makroskopisches Modell zwischen zwei Aluminiumbleche und traktierte das unten liegende Blech mit diversen Frequenzen. Das Ergebnis war verblüffend: Manche Wellen reflektierte der Kristall gänzlich. Beim echten Diamanten sind es Röntgenstrahlen, die auf diese Weise gebeugt und gestreut werden. Das mehrtausendfach größere Diamantmodell hatte mechanische Schwingungen mit mehrtausendfach größerer Wellenlänge auf exakt die gleiche Weise beeinflusst.
Wie hoch das Potenzial der Erfindung einzuschätzen ist, erklärt Empa-Forscher Bergamini: „Bislang brauchte man zum Dämpfen von Vibrationen eine Federkomponente und eine Dämpferkomponente, das kennen wir aus dem Auto.“ Hohe Frequenzen und Töne liessen sich durch leichte Materialien dämpfen, für tiefe Töne und Vibrationen brauchte man bisher jedoch Materialien mit hoher eigener Masse. „Diese Regel haben wir nun durchbrechen können“, sagt Bergamini. „In Zukunft lassen sich auch tiefe Frequenzen mit leichten Materialien dämpfen – nämlich mit einem speziell dafür berechneten phononischen Kristall. Ein weiterer Vorteil: der Kristall ist steif und kann Gewicht tragen.“
An der Empa ist das Projekt inzwischen in die nächste Phase getreten: Ivo Leibacher hat die Computermodelle seiner Vorgänger für den 3-D-Druck in Metall fit gemacht. Die Struktur musste in manchen Details angepasst werden. An einigen Stellen ist zum Beispiel etwas mehr Material nötig, damit der Probekörper im Pulverbettverfahren im 3-D-Drucker fehlerfrei hergestellt werden kann. Leibacher hat die Eigenschaften seines Modells genau vorausberechnet und die Kenndaten der verwendeten Aluminiumlegierung in seine Berechnungen einfliessen lassen. Nach dem Ausdrucken mussten die ersten Strukturen spannungsfrei geglüht werden, damit sie im praktischen Schwingungsversuch die Korrektheit der Berechnungen und Theoriemodelle unter Beweis stellen konnten.
Empa / JOL