11.01.2019

Das Gleiten der Gletscher

Neues Modell bildet Fließeigenschaften von Gletschern realitätsnah ab.

Die Gletscher in den Rand­regionen Grönlands und der Antarktis haben ihr Fließ­tempo in den letzten Jahr­zehnten deutlich erhöht. Sie transportieren mehr Eis in die angrenzenden Ozeane und tragen damit zum An­stieg des Meeres­spiegels bei. Wissen­schaftler welt­weit versuchen mit Computer­modellen vorher­zusagen, wie sich künftig der Klima­wandel auf Gletscher und Meeres­spiegel auswirken wird. Je genauer die Modelle die physikalischen Vor­gänge beim Fließen der Gletscher nach­voll­ziehen können, desto zuverlässiger sind die Ergebnisse der Computer­simulationen.

Abb.: Foto vom 79 N Gletscher in Grönland, aufgenommen 2016 während eines...
Abb.: Foto vom 79 N Gletscher in Grönland, aufgenommen 2016 während eines Erkundungs­flugs des Polar­forschungs­flugzeugs Polar 6 des Alfred-Wegener-Instituts (Bild: J. Christmann / AWI)

Doch bislang gibt es einige offene Fragen. So ist etwa nicht genau bekannt, wie sich die Uneben­heiten des Fels­bettes auf die Reibung der darüber liegenden Eis­schichten und damit auf das Fließen des Gletschers auswirken. Bo Persson vom Jülicher Peter Grün­berg Institut hat nun einen Beitrag zum grund­legenden Verständnis des Gleit­vorgangs geliefert. Dabei nutzte er eine Theorie der Kontakt­mechanik, die er selbst entwickelt und bereits erfolg­reich angewendet hat. Zugleich berück­sichtigte er Arbeiten anderer Wissen­schaftler aus den 1970er Jahren, die sich beispiels­weise mit dem Phänomen der Regelation beschäftigt hatten: Aufgrund seiner besonderen chemischen Struktur kann Eis schmelzen, wenn sich der Druck darauf erhöht und wieder gefrieren, wenn er abnimmt.

Besonders bedeutsam an dem neuen mathematischen Modell: „Es zeigt, dass Hohl­räume entstehen, wenn Gletscher mit typischer Geschwindigkeit über den Unter­grund gleiten“, so Persson. „Bei Gletschern, die 1000 Meter und höher sind, wie etwa an den Pol­kappen, liegt die Temperatur des Eises am Gletscher­boden am Schmelz­punkt. Grund dafür ist die geo­thermische Wärme aus dem Erd­inneren, die nicht nach oben hin abgeleitet werden kann – das Eis ist zu dick. Dadurch füllen sich die Hohlräume mit Wasser.

Das bildet nicht nur eine Art Schmier­film zwischen Gletscher und Unter­grund, wodurch sich die Reibung verringert, es presst gegen die darüber liegenden Eis­schichten und trägt so einen Teil der Gletscher­masse mit: Der Gletscher gleitet schneller.“ Die Gleit­geschwindigkeit, die der Forscher mit seinem Modell berechnet hat, entspricht den Werten, die man in der Natur beobachtet. Das ist ein wichtiges Indiz dafür, dass Perssons Modell die Realität gut wieder­gibt. Prinzipiell ist die Grenz­fläche zwischen Eis und Fels­boden für die Forschung nur schwer zugänglich, da der Gletscher darüber liegt.

Persson stieß bei einem Work­shop des Alfred-Wegener-Instituts, des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeres­forschung, auf die Frage­stellungen der Glaziologen. Er beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit der Reibung und verwandten Phänomenen, aller­dings zunächst bei ganz anderen Objekten: Es ging um die Wechsel­wirkungen zwischen Reifen und Straßen. Später erforschte Persson unter anderem die Physik beim Schmieren von Gummi­dichtungen oder die Reibung auf Eis. Erst vor kurzem hat er die Gleit­reibung eines Fingers auf haptischen Touch­screens theoretisch beschrieben. Wesentlich ist stets, dass man beim Kontakt zwischen zwei Objekten die Rauig­keit der jeweiligen Flächen auf verschiedenen Längen­skalen berück­sichtigen muss, vom tausendstel Millimeter bis zum Meter.

Bei den Gletschern ist die Rauigkeit des Fels­unter­grundes beispiels­weise für das Phänomen der Regelation verantwortlich: Das wechselnde Schmelzen und Frieren des Eises beruht auf lokalen Druck­schwankungen, die wiederum durch die Boden­unebenheiten hervor­gerufen werden. Persson erläutert das Phänomen anhand einer Boden­welle: „Der sich bewegende Gletscher drückt das Eis von einer Seite gegen diese Boden­welle. Bei höherem Druck genügt jedoch schon eine geringere Temperatur als üblich, um die Kristall­struktur des Eises aufzubrechen und es somit zum Schmelzen zu bringen.“ Auf der anderen Seite der Boden­welle sei der Druck des Gletschers dagegen herabgesetzt und der Schmelz­punkt des Eises erhöhe sich.

FZJ / DE

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