24.05.2004

Das 'Rückgrat' des Alls

Astronomen kartierten die räumliche Verteilung der sichtbaren Materie im Universum.

Das "Rückgrat" des Alls

Astronomen kartierten die räumliche Verteilung der sichtbaren Materie im Universum.

Galaxienhaufen sind die größten, klar definierbaren Gebilde im Universum. Sie enthalten zwischen mehreren Hundert bis vielen Tausend von Galaxien und eine große Masse an Dunkler Materie. Ingesamt erreicht ihre Masse die Größenordnung von einer Million mal einer Milliarde Sonnenmassen. Galaxienhaufen bilden die dichtesten Gebiete in der großräumigen Struktur des Universums und finden sich oft an Kreuzungen von Galaxienfilamenten oder flächigen Strukturen wie der "Großen Mauer". Galaxienhaufen bilden auf diese Weise das "Rückgrat" in der Struktur des Kosmos. Ein Team von deutschen, italienischen und britischen Astrophysikern unter Leitung von Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching hat in jahrelangen Studien diese kosmischen "Marksteine" identifiziert, um die großräumige Verteilung der Materie im Universum zu vermessen. Jetzt haben die Astronomen das Kernstück des Galaxienhaufen-Katalogs veröffentlicht, die REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited X-ray Cluster Survey) der 447 hellsten Galaxienhaufen am Südhimmel im Röntgenlicht (Astronomy & Astrophysics, im Druck).

Abb. 1: Dreidimensionale Verteilung der Galaxienhaufen, die mit Hilfe des ROSAT Himmelsatlas identifiziert wurden. Zu sehen sind Galaxienhaufen nördlich und südlich des abschattenden Bandes der Milchstrasse. (Bild: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik)

Da Galaxienhaufen sehr prominente Quellen von Röntgenstrahlung sind, nutzen die Wissenschaftler den mit Hilfe des deutschen Röntgensatelliten ROSAT erstellten Himmelsatlas im Röntgenbereich als Ausgangspunkt. Kombiniert mit optischen Himmelsdurchmusterungen lieferte dieser Atlas eine erste Liste möglicher Galaxienhaufen. Ihre endgültige Identifikation sowie die Bestimmung ihrer Entfernung über die Rotverschiebung erfolgten in den vergangenen zwölf Jahren in einem aufwändigen Beobachtungsprogramm der Europäischen Südsternwarte (ESO). Für die ergänzende Inventur am Nordhimmel nutzten die Wissenschaftler sowohl das deutsch-spanische Observatorium auf dem Calar Alto in Spanien als auch Beobachtungen in den USA in Zusammenarbeit mit dem Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, USA. Mehr als 1.400 Galaxienhaufen konnten auf diese Weise bisher kartiert werden.

Das jetzt veröffentlichte Kernstück des Galaxienhaufen-Katalogs, die REFLEX-Stichprobe (Rosat-ESO-Flux-Limited X-ray Cluster Survey) zeigt die 447 röntgenhellsten Galaxienhaufen am Südhimmel. Sie bilden heute die kompletteste Stichprobe von Galaxienhaufen und eignen sich besonders gut für weitere kosmologische Studien. Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Galaxienhaufen der gesamten Stichprobe. Deutlich sieht man, dass die Galaxienhaufen nicht gleichmäßig im Weltraum verteilt sind, sondern sich in deutlichen, sehr weit gespannte Strukturen konzentrieren. Die dichtesten Gebiete werden als "Superhaufen" klassifiziert. Diese sind ein fossiles Zeugnis der frühesten Strukturen des Universums, die in der so genannten inflationären Periode entstanden sind. Die "Verklumpung" in der räumlichen Verteilung der Galaxienhaufen kann man mathematisch charakterisieren, zum Beispiel durch ein Leistungsspektrum der Dichteschwankungen in der Haufenverteilung, und mit analogen Maßen aus kosmologischen Modellrechnungen vergleichen, um zu testen, ob solche Modelle mit den Beobachtungen vereinbar sind. Derartige Tests führten die Wissenschaftler auch mit der REFLEX-Haufenstichprobe durch. Sie zeigen als eines der wichtigsten Ergebnisse eine niedrige Massendichte des Universums, charakterisiert durch einen Dichteparameter Omega zwischen 0.27 und 0.43.

Abb. 2: Ein reicher Galaxienhaufen bei einer Rotverschiebung z = 0,305. Die gelblichen Objekte sind elliptische Riesengalaxien im Galaxienhaufen. (Bild: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik)

Diese Ergebnisse stützen das Modell der "neuen Kosmologie", das von einer beschleunigten Expansion des Universums ausgeht und das hauptsächlich in den vergangenen fünf Jahren aufgestellt wurde. Die Kartierung der Galaxienhaufen liefert komplementäre Information zu anderen kosmologischen Beobachtungen. Während die Beobachtung des kosmischen Mikrowellenhindergrundes einen Schnappschuss des Universums etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall vermittelt, zeigt die Verteilung der Galaxienhaufen die Struktur der Materieverteilung im heutigen Universum. Die Stärke der Tests kosmologischer Modelle liegt daher im gleichzeitigen Vergleich dieser Beobachtungen mit der Theorie. Nimmt man beispielsweise die Beobachtungsergebnisse an Galaxienhaufen zusammen mit jenen an entfernten Supernovae, so erhärtet sich der Befund eines beschleunigt expandierenden Universums. Dies wird auf die Wirkung der Dunklen Energie zurückgeführt.

Damit konnte das Potential von Galaxienhaufenstudien für kosmologische Tests demonstriert werden. Die REFLEX-Studie dient nun als Wegweiser für weitergehende Projekte, wie die von der NASA bereits in Stufe A bewilligte Röntgensatellitenmission "DUO" (Dark Universe Observatory), die ganz darauf ausgerichtet ist, kosmologische Parameter zu messen und die Rolle der Dunklen Energie mit Hilfe einer Galaxienhaufendurchmusterung zu klären.


Darüber hinaus bietet der REFLEX-Katalog eine statistisch präzise ausgewählte Stichprobe von Galaxienhaufen für die astronomische Gemeinschaft, die für die verschiedensten Studien genutzt werden kann. Galaxienhaufen dienen z.B. als Laboratorien, um die Wechselwirkung sich bildender Galaxien mit ihrer Umgebung durch die Freisetzung von Energie während der Sternbildung zu untersuchen. Diese Energie wird als zusätzliche Wärme, über die gravitative Heizung hinaus, im Innerhaufengas gemessen. Weiter ist von großem Interesse zu untersuchen, wie die verschiedenen Galaxientypen entstehen und warum gerade die Galaxien in Haufen eine andere Morphologieverteilung besitzen als Feldgalaxien.

Abb. 3: Ein sehr massiver Galaxienhaufen bei z = 0,44, der als Gravitationslinse wirkt. Die Konturen zeigen die Verteilung des Röntgenlichts. Das längliche Objekt rechts vom Zentrum ist ein durch Linsenwirkung verformtes Abbild einer entfernten Galaxie. (Bild: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik)

Schließlich sind Galaxienhaufen interessante Gravitationslinsen, in der die große Masse der Galaxienhaufen das Licht entfernter Galaxien wie eine Linse bündeln und verstärken kann und in verzerrten bogenförmigen Bildern wiedergibt. Während man diese Prozesse in einigen Galaxienhaufen bereits im Detail studiert hat, bietet der neue Galaxienhaufenkatalog die Grundlage, solche Eigenschaften systematisch für eine ganze Haufenpopulation zu untersuchen. Hans Böhringer, Leiter der Studie, sagt dazu: "Das Ziel von Himmelsdurchmusterungen ist es eben, die Einzelteile eines wissenschaftlichen Puzzles zu einem größeren Gesamtbild zusammenzufügen, das uns in diesem Fall die tiefere Bedeutung der Materiestrukturen im Universum erhellen soll."

Zum Kernteam der REFLEX-Surveys gehören: Hans Böhringer (Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching), Luigi Guzzo (INAF-Osservatorio Astronomico di Brera, Merate, Italien), Chris A. Collins (Astrophysics Research Institute, Liverpool John Moores University, Großbritannien) und Peter Schücker (Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching).

Quelle: MPG

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