24.05.2024

Datierung mit kosmischer Strahlung

Anstieg energetischer Partikel dient als verlässlicher chronologischer Fixpunkt.

Forschenden der Universität Bern ist es erstmals gelungen, eine über 7000 Jahre alte prä­historische Siedlung früher Bauern im Norden Griechenlands jahrgenau zu datieren. Dafür kombi­nierten sie Jahrringmessungen an Gebäudeteilen aus Holz mit dem plötzlichen Anstieg von Partikeln aus kosmischer Strahlung im Jahr 5259 v. Chr. Damit wird ein verlässlicher chrono­logischer Fixpunkt für viele weitere archäologische Fundstellen Südosteuropas geliefert.

Abb.: Das Pfahlfeld der Fundstelle von Dispilio. Knapp 800 Pfähle,...
Abb.: Das Pfahlfeld der Fundstelle von Dispilio. Knapp 800 Pfähle, mehrheitlich aus Wacholder- und Eichenholz, wurden beprobt und dendrochronologisch gemesen.
Quelle: Dispilio Excavation Archive

In der Archäologie spielt die Datierung von Fundobjekten eine zentrale Rolle. Immer gilt es herauszufinden, wie alt ein Grab, eine Siedlung oder ein einzelner Gegenstand ist. Erst seit wenigen Jahrzehnten ist es möglich, sichere Altersbestimmungen für Funde aus prähistorischer Zeit vorzunehmen. Dafür kommen zwei Methoden zum Einsatz: die Dendro­chronologie, die die Datierung auf Basis von Jahrring­kalendern der Bäume ermöglicht, und die Radio­karbondatierung, welche das ungefähre Alter der Fundstücke mit dem Zerfall des in den Baumringen enthaltenen radioaktiven Kohlenstoffisotops 14-C berechnen kann.

Einem Team unter Leitung des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern ist es nun gelungen, Bauhölzer der archäologischen Fundstelle Dispilio in Nord­griechenland – wo eine jahrgenaue Datierung bisher nicht möglich war – verschiedenen Hausbau­aktivitäten zwischen 5328 und 5140 v. Chr. präzise zuzuordnen. Die Forschenden machten sich dabei den Niederschlag ener­getischer Partikel zunutze, die sicher in das Jahr 5259 v. Chr. datiert werden können. 

Die Dendro­chronologie verwendet charak­teristische Muster von breiten und schmalen Jahrringen im Holz, die durch klimatische Bedingungen beeinflusst werden. So kann ein Holzobjekt durch den Vergleich der Jahrringbreiten mit bereits bestehenden Standard- oder Regional­chronologien datiert werden. „In Mitteleuropa gibt es einen solchen Jahrring­kalender, der heute knapp 12500 Jahre in die Vergangenheit zurückreicht – in das Jahr 10’375 v. Chr. Dieser Kalender gilt aber nur für bestimmte Regionen. Für die Mittelmeer­region fehlt ein durchgehender Kalender“, sagt Andrej Maczkowski vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern.

Deshalb müssen die dendro­chronologischen Datierungen aus dieser Region mit Hilfe der Radiokarbon­datierung „schwimmend“ eingeordnet werden. Solange ein Baum lebt, nimmt er durch Photosynthese das in der Erdatmosphäre enthaltene radioaktive Isotop 14-C auf. Stirbt er ab, nimmt er kein weiteres 14-C mehr auf; das Isotop zerfällt mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Mit einem Labormessverfahren kann dann ermittelt werden, wie viel 14-C noch in einem bestimmten Baumring enthalten ist und so über die bekannte Halbwerts­zeit der ungefähre Todeszeitpunkt des Baums berechnet werden. „Die Genauigkeit solcher Einordnungen liegt allerdings im besten Fall im Bereich von Dekaden“, sagt Maczkowski. „Bis vor kurzem galt deshalb die Meinung, dass jahrgenaue dendrochrono­logische Datierungen nur möglich sind, wenn ein durchgehender regionaler Jahrringkalender zur Verfügung steht, was für prähistorische Zeit­abschnitte weltweit nur in drei Regionen der Fall ist: dies sind der Südwesten der USA, das nördliche Alpen­vorland und England/Irland“, erklärt Albert Hafner.

2012 zeichnete sich eine Lösung des Problems ab: die japanische Physikerin Fusa Miyake entdeckte, dass ein massiver Zustrom kosmischer Strahlung, vermutlich aufgrund von Sonnen­eruptionen, einen starken Anstieg des 14-C-Gehalts in der Atmosphäre verursachen kann, der sich in Baumringen der jeweiligen Jahre niederschlägt. Auf Basis von Jahrringkalendern können diese starken Anstiege genau datiert werden, und weil sie globale Ereignisse sind, sind sie gerade in Regionen ohne durchgehende Jahrring­chronologien wichtige Ankerpunkte. „Miyake erkannte erste Ankerpunkte dieser Art und leitete damit einen Paradigmenwechsel in der prä­historischen Archäologie ein“, sagt Albert Hafner. Heute sind ein Dutzend dieser Miyake-Ereignisse bis 12350 v. Chr. bekannt, die zwei wichtigen Ereignisse 5259 und 7176 v.Chr. wurden erst 2022 von Forschenden der ETH Zürich entdeckt.

Dem Forschungsteam des EXPLO-Projekts unter Leitung der Universität Bern ist es mit der Untersuchung von 787 Bauhölzern aus der archäologischen Fundstelle Dispilio am nordgriechischen Orestida-See gelungen, eine 303 Jahre umfassende Jahresring-Chronologie aufzubauen, die im Jahr 5140 v. Chr. endet. Die ermittelten Siedlungs­phasen belegen verschiedene Hausbau­aktivitäten über 188 Jahre hinweg zwischen 5328 und 5140 v. Chr. Möglich ist diese präzise Datierung, weil sich ein bekanntes Miyake-Ereignis von 5259 v. Chr. in diesem Zeitraum befindet.

Mit zahlreichen Radiokarbon­datierungen von einzelnen definierten Jahrringen konnte von Forschenden der ETH Zürich ein rascher Anstieg des Radiokarbongehalts in dieser Zeit erkannt werden. Es ging also darum, diesen Peak, der sich in Jahrringkurven von sibirischen Lärchen, amerikanischen Kiefern und europäischen Eichen global niederschlägt, an der Jahrring­kurve aus dem griechischen Dispilio zu reproduzieren und mit dem Ankerpunkt 5259 v. Chr. zu verbinden. „Der Balkan ist damit die erste Region weltweit, die vom erwähnten Paradigmenwechsel profitiert und unabhängig von einem durchgehenden Kalender erfolgreich absolute Datierungen ermitteln kann“, so Albert Hafner.

Andrej Maczkowski ergänzt: „Wir rechnen damit, dass sich nun in rascher Folge weitere Chronologien der Region aus diesem Zeitraum mit der „Dispilio-Chrono­logie“ verbinden lassen. Damit ist der Weg für den Aufbau einer regionalen Dendro­chronologie für den südlichen Balkan offen.“ Im Balkan finden sich die ältesten Seeufer­siedlungen Europas, deren Fundstellen bis auf kurz nach 6000 v. Chr. datiert werden. Diese Region spielte bei der Ausbreitung der Landwirtschaft in Europa eine Schlüsselrolle.

U. Bern / JOL

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