09.01.2015

Den magischen Zahlen der Quantenmaterie auf der Spur

Topologische Zahl eines künstlichen Festkörpers in extremen Magnetfeldern gemessen.

Die Topologie befasst sich mit der Klassifizierung von geometrischen Objekten. In der Physik wird sie dazu genutzt, außergewöhnliche Zustände der Materie vorherzusagen und zu beschreiben, die gewöhnlich bei tiefen Temperaturen auftreten. Einzigartige elektrische Eigenschaften machen diese topologischen Zustände interessant für eine Reihe technologischer Anwendungen. Die große Stabilität der topologischen Zustände beruht auf den für sie charakteristischen magischen ganzen Zahlen, den Chernzahlen, die besonders unempfindlich gegenüber Störungen sind. Erstmals ist es nun einem internationalen Forscherteam gelungen, die topologische Chernzahl in einem nicht-elektronischen System aus ultrakalten bosonischen Atomen mit hoher Präzision zu messen.

Abb: Quantenmaterie lässt sich – ähnlich wie geometrische Objekte – topologisch klassifizieren. (Bild: LMU)

Unter extremen Bedingungen – wie besonders starken Magnetfeldern und sehr tiefen Temperaturen – können sich exotische Materiephasen mit äußerst ungewöhnlichem elektrischen Verhalten bilden, zum Beispiel dem verlustfreien Leiten elektrischer Ströme oder dem Auftreten quantisierter elektrischer Widerstände. Diese Materiephasen lassen sich durch magische topologische Zahlen beschrieben. In der Mathematik dienen solche Zahlen zur Klassifizierung abstrakter geometrischer Objekte, sie geben zum Beispiel die Anzahl von Löchern in einer Oberfläche an. Sie sind stabil gegenüber kleinen Formänderungen. Die Tatsache, dass bestimmten Quanten­zuständen von Materie topologische Zahlen zugeordnet werden können, macht deren elektrische Eigenschaften robust gegenüber Störungen. Deshalb hofft man, diese Zustände für technologische Anwendungen, etwa in der Spintronik oder in Quantencomputern, nutzen zu können, was die experimentelle Suche nach neuen Materialien mit topologischen Eigenschaften motiviert.

Topologische Zustände wurden erstmals im Zusammenhang mit dem Quanten-Hall-Effekt entdeckt. Bei diesem Phänomen weist der elektrische Widerstand in Materialien, welche extremen Magnetfeldern ausgesetzt sind, bei ausreichend niedrigen Temperaturen große stabile Plateaus auf. Erstaunlicherweise hat diese universelle Eigenschaft ihren Ursprung in der Topologie, denn jedes Plateau in der Widerstandsmessung wird durch eine Chernzahl bestimmt. „Die besondere Schönheit des Ergebnisses liegt darin, dass die magischen mathematischen Zahlen die intrinsischen Eigenschaften der Elektronen, die sich in dem Material bewegen, widerspiegeln. Es ist erstaunlich, dass diese abstrakten Zahlen zu tatsächlich beobachtbaren Phänomenen führen“, sagt der Nathan Goldman von der Université Libre de Bruxelles in Belgien.

Eine interessante Möglichkeit, topologische Phasen von Materie zu untersuchen, stellen synthetische Materialien aus durch Laserstrahlen kontrollierten, kalten Atomen dar. In diesen sehr flexiblen und gut kontrollierbaren Experimenten werden neutrale Atome in durch stehende optische Wellen erzeugte periodischen Strukturen gefangen. Kalte Atome, die sich in diesen optischen Gittern bewegen, eignen sich gut dafür, das Verhalten von Elektronen in realen Materialien nachzubilden. Im Gegensatz zu Elektronen sind Atome jedoch elektrisch neutral, in einem externen Magnetfeld wäre aus diesem Grund kein Hall-Effekt zu beobachten. Das Team entwickelte deshalb neue experimentelle Methoden, um künstliche Magnetfelder für neutrale Atome zu erzeugen. In diesen Aufbauten verhalten sich Atome wie geladene Teilchen in Magnetfeldern und bieten somit eine neue Möglichkeit, topologische Phasen in einer besonders gut kontrollierbaren und reinen Umgebung zu erforschen.

Der optische Gitteraufbau in den Experimenten am Max-Planck-Institut für Quantenoptik wurde speziell dazu entworfen, topologische Eigenschaften zu untersuchen. Wie sich zeigte, führt ein effektives Magnetfeld im Gitter dazu, dass die kalten Atome durch eine von Null verschiedene, topologische Chernzahl ausgezeichnet sind. „In Analogie zum elektrischen Hall-Effekt erwartet man, dass die Atome eine transversale Bewegung relativ zu der auf sie wirkenden Kraft erfahren“, erklärt Goldman. „Darüber hinaus sagt unsere Theorie vorher, dass diese transversale Ablenkung proportional zur topologischen Chernzahl ist.“ Die Forscher haben eine Kraft an die Atome im optischen Gitter gelegt und die resultierende Ablenkung mithilfe von Bildern der Atomwolke analysiert. Aus diesen Messungen konnten sie einen experimentellen Wert der Chernzahl bestimmen. Das Ergebnis stellt die erste Chernzahl-Messung in einem nicht-elektronischen System dar. Im Gegensatz zu elektronischen Messungen, die auf Randströmen beruhen, gehen in die neue Messung die Eigenschaften des ganzen Quantensystems ein.

Die Messungen stellen einen wichtigen Schritt zur Erzeugung und zum Nachweis topologischer Zustände mit ultrakalten Atomen dar. Darüber hinaus könnten Wechselwirkungen zwischen den Atomen zu neuen spannenden Materiezuständen führen, wie zum Beispiel die fraktionalen Chern-Isolatoren.

MPQ / RK

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