08.03.2012

Der (Alb)Traum von der absoluten Sicherheit

Ein Jahr nach der Tsunami-Katastrophe in Japan offenbaren sich die schweren Versäumnisse beim Reaktorunglück in Fukushima, doch die Folgen und viele Fragen bleiben.

Drohende Kernschmelze in drei Reaktoren, ein offenes Lagerbecken mit Kernbrennstäben, Ausfall von Stromversorgung und Kühlung und das alles im Chaos einer Tsunami-Katastrophe, die zehntausende Menschen das Leben kostete – so stellte sich die Lage nach dem 11 März im japanischen Fukushima dar. Auch wenn Kraftwerksbetreiber TEPCO angibt, die Lage unter Kontrolle zu haben, bleiben die Folgen und Risiken wohl auf Jahrzehnte bestehen.

Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA besichtigen den zerstörten Reaktorblock 3 in Fukushima. (Bild: Giovanni Verlini / IAEA)

Ein Jahr nach der Katastrophe hat eine Untersuchungskommission der „Rebuild Japan Initiative Foundation“ rund 300 Menschen befragt, die an den Aktionen und Entscheidungen unmittelbar und in den ersten Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beteiligt waren, bis hin zum damaligen Premierminister Naoto Kan. Die Autoren beleuchten die Fehlreaktionen von Betreibern und Behörden und kritisieren besonders die schlechte Vorbereitung auf ein solches Ereignis. Als Ursache machen sie den Mythos von der sicheren Atomkraft verantwortlich, an dem sowohl die Kraftwerkbetreiber als auch die japanische Behörden festgehalten hatten. Das Risiko einer so hohen Tsunami-Welle wie der vom 11. März 2011 sei ignoriert worden, obwohl Forschungen zum „Jogan-Tsunami“ im Jahr 869 darauf hindeuteten, dass eine solch katastrophale Flutwelle kein vernachlässigbares Risiko darstelle. Der vollständige Bericht ist im „Bulletin of Atomic Scientists“ erschienen und online frei zugänglich.

Für eine Bilanz ein Jahr nach der Katastrophe hatte die Wissenschaftspressekonferenz bereits Mitte Februar zu einem Expertengespräch bei der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) in Köln eingeladen. Hier wurde klar, dass die größte Gefahr für die stark beschädigte Reaktoranlage Fukushima-Daiichi weiterhin durch neuerliche starke Erdbeben droht, welche die derzeitige Kühlung wieder außer Gefecht setzen könnte. Die Gefahr geht dabei nicht nur von den vermutlich geschmolzene Kernen in den Reaktoren 1 bis 3 aus, sondern vor allem vom Lagerbecken des vierten, stillgelegten Reaktorblocks 4. Hier lagert derzeit die größte Menge an Kernbrennstoff. Über die weiteren Erkenntnisse zu den umweltbezogenen, medizinischen und technischen Folgen, welche die Expertenrunde in Köln präsentierte, berichtet das Physik Journal in seiner Märzausgabe.

Heute und morgen veranstaltet der Deutsch-Schweizerische Fachverband für Strahlenschutz (FS) in Mainz zusammen mit der dortigen Universität das Symposium "Strahlenschutz - Ein Jahr nach Fukushima". Einen Beitrag zu einer sachlichen Diskussion soll auch das Symposium „Fukushima und die Konsequenzen“ am 28. März während der diesjährigen DPG-Haupttagung in Berlin leisten, gemeinsam organisiert vom Arbeitskreis Energie und von den Fachverbände Strahlen- und Medizinphysik, Umweltphysik, Physik sozio-ökonomischer Systeme. Ausgewiesene Fachleute erläutern in ihren Vorträgen und einer abschließenden Podiumsdiskussion den Unfallhergang, die Folgen der freigesetzten Radioaktivität für Bevölkerung und Umwelt und die Implikationen für die Energiepolitik und -forschung.

In Japan wird in diesen Tagen sicherlich die Trauer um die vielen Toten im Vordergrund stehen. Die erste Bilanz der Reaktorkatastrophe nach einem Jahr dürfte ein wichtiger Ausgangspunkt für die weiterhin kontroverse Diskussion um die Kernenergie sein, die in Deutschland mit dem beschleunigten Atomausstieg auch in die Frage nach einer nachhaltigen Energiewende gemündet ist. Weitere Berichte und Studien des Fukushima-Unglücks sind zu erwarten. So überarbeiten die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und die Weltorganisation der Kernkraftwerkbetreiber WANO derzeit ihr gemeinsames Memorandum zu den Lehren aus Fukushima. In Deutschland bleiben die unmittelbar nach dem 11. März 2011 eingerichteten Expertengruppen der GRS und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) auch weiterhin aktiv.

Alexander Pawlak

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