28.11.2014

Der Mann mit der Röhre

Zum 100. Todestag des Physikers und Chemikers Johann Wilhelm Hittorf. Mit einer Hittorfschen Röhre entdeckte Röntgen die X-Strahlen.

Über den Namen Johann Wilhelm Hittorf stolpert man in der Physikgeschichte meist in Verbindung mit der Entdeckung der Röntgenstrahlen. Mit einer „etwas modifizierten Hittorfschen Röhre“ und einem Fluoreszenzschirm entdeckte Röntgen im November 1895 eine „neue Art von Strahlen“, die ihn über Nacht berühmt machte. Der um 21 Jahre ältere Hittorf, Professor an der Universität Münster, erfuhr dagegen erst am Ende seines 90-Jährigen Lebens Anerkennung.

Johann Wilhelm Hittorf, geboren 1824 in Bonn, studierte zunächst in seiner Heimatstadt Naturwissenschaften und Mathematik und promovierte 1846 bei dem Physiker und Mathematiker Julius Plücker. Dieser schuf gemeinsam mit dem Glasbläser Heinrich Geissler die Voraussetzungen für die moderne Vakuumtechnik. Hittorf promovierte über ein mathematisches Thema und habilitierte sich mit einer Arbeit aus der Elektrochemie, führte aber später die Arbeiten seines Lehrers fort.

1847 wurde er als Privatdozent für Chemie und Physik an die Akademie in Münster berufen. Er arbeitete beharrlich an seinem akademischen Aufstieg und dem seiner Institution. Bei seinem Dienstantritt wurde er Vorsteher des chemischen Laboratoriums und fünf Jahre später auch Vorsteher des physikalischen Kabinetts. Nach der Ablehnung eines Rufs nach Bern erhielt er schließlich 1856 eine ordentliche Professur. In den 1870er Jahren leitete Hittorf gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen, dem Geologen und Paläontologen August Hosius, den erneuten Ausbau der Akademie zu einer Universität ein.

Johann Wilhelm Hittorf (1824 – 1914) entwickelte eine Röhre, mit der sich...
Johann Wilhelm Hittorf (1824 – 1914) entwickelte eine Röhre, mit der sich die elektrische Leitfähigkeit von Gasen untersuchen ließ

1851 untersuchte Hittorf die Leitfähigkeit des „Schwefelkupfers“ und leistete damit den ersten Beitrag zur Formulierung des chemischen Gleichgewichts,16 Jahre vor Cato Maximilian Guldberg und Peter Waage. Er bestätigte zunächst Michael Faradays an „Schwefelsilber“ gemachte Beobachtung, dass Sulfide sowohl metallisch als auch elektrolytisch leiten, und konnte so die Verschiebung des chemischen Gleichgewichts zwischen Kupfer-1-Sulfid und Kupfer-2-Sulfid erklären. Wenig später untersuchte er die Wanderungsgeschwindigkeit von Ionen bei der Elektrolyse. „Die Bedeutung der […] Arbeiten liegt darin, daß sie den ersten entscheidenden Schritt zur anschaulichen Analyse der Vorgänge bei der elektrolytischen Stromleitung […] entfalten“, lobte Wilhelm Ostwald viele Jahre später. Hittorf käme darin zu „Schlüssen über das Wesen der Elektrizitätsleistung und die Beschaffenheit der Elektrolyte, welche erst in neuerer Zeit in ihrer ganzen Bedeutung erkannt worden sind.“ Hittorf hatte die Geschwindigkeit von Kationen und Anionen gemessen und die nach ihm benannten Überführungszahlen eingeführt, die den Anteil der jeweiligen Ionenart an der Gesamtleitfähigkeit des Elektrolyten angeben.

Gasentladungsröhren waren in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wegen ihrer geheimnisvollen Leuchterscheinungen eine beliebte Attraktion in Varieté-Theatern. Bereits 1838 hatte Michael Faraday festgestellt, dass die Funken, die man unter Atmosphärendruck beobachtet, beim Evakuieren der Röhre in ein Glimmen übergehen. Eine Perfektionierung der Gasentladungsröhren kam durch Fortschritte in der Vakuumtechnik, der Glasbläserkunst und der Entwicklung von Hochspannungstransformatoren. Hittorf arbeitete bereits mit der von Geissler 1857 erfundenen Quecksilberpumpe, die ein Vakuum von 10-6 Atmosphären erreichte, als er in den 1860er-Jahren zusammen mit Plücker die Spektren verschiedener Gase in der Röhre untersuchte. Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass ein und dasselbe Gas verschiedene Spektren haben konnte, und schrieben dies der durch den Strom entstehenden Wärme zu.

Hittorf beschäftigte über viele Jahre die Frage, wie sich die Elektrizität in Gasen ausbreitet. Zunächst machte der findige Experimentator sich daran, seine Apparatur zu verbessern. 1867 fuhr er zur Weltausstellung nach Paris, um den von Daniel Rühmkorff erfundenen Funkeninduktor zur Erzeugung von Hochspannungen zu erwerben. Anschließend machte er sich an die Verbesserung des Vakuums. Auf diese Weise gelang es ihm, die Haupteigenschaften der „Strahlen des Glimmens“ zu erforschen (1876 führte Eugen Goldstein dafür die Bezeichnung „Kathodenstrahlen“ ein.) Er stellte fest, dass diese sich geradlinig ausbreiten, beim Auftreffen auf die Glaswand Fluoreszenz erzeugen, und dass eine Metallfolie im Strahlengang Schatten wirft.

So kam Hittorf zu der Vermutung, dass „das Glimmen offenbar der Prozess ist, wodurch der Übergang des Stromes aus den Teilchen des gasförmigen Mediums in die der […] Kathode vermittelt wird“. Die von der Kathode kommenden „Strahlen des negativen Lichtes“ erklärte er als einfache Ströme. Denn Plücker hatte bereits nachgewiesen, dass sie im Magnetfeld abgelenkt wurden. Hittorf fügte hinzu, dass es auch eine Leitung durch „positives Licht“ gebe, analog zu der Ionenleitung in Elektrolyten. Seine Vorhersage, dass die Arbeiten zur Physik der Gasentladungen „die moderne Physik von ihren letzten Imponderabilien“ befreien würde, zeigt: Er spürte, dass die Physik an einem Übergang stand, auch wenn er an dessen Gestaltung nicht mehr mitwirkte.

„Hittorf war ein Einzelgänger, ein Mann, der auf keines Meisters Worte schwor und der sich von keinen Schwierigkeiten abschrecken ließ“, charakterisiert ihn sein Biograf Hans Schimank. Er sieht in Hittorfs Leben die Tragik eines Forschers, dessen Leistungen von den Zeitgenossen verkannt wurden. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurden seine grundlegenden Arbeiten zur Elektrochemie und der Physik der Gasentladungen gewürdigt; und zwar von der nachfolgenden Generation physikalischer Chemiker: Wilhelm Ostwald, Svante Arrhenius und Walter Nernst. Johann Wilhelm Hittorf starb am 28. November 1914.

Anne Hardy

 

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