13.09.2021 • Teilchenphysik

Der seltsame Zerfall der Kaonen

Forscher finden weiteren Hinweis auf Abweichungen vom Standardmodell.

Das Standardmodell der Teilchen­physik beschreibt die Bausteine, aus denen die Welt zusammen­gesetzt ist. Außerdem erklärt das Modell, welche Kräfte zwischen diesen Elementar­teilchen wirken. „Es gibt allerdings auch Fragen, die diese Theorie nicht beantworten kann“, erklärt Chien-Yeah Seng von der Uni Bonn. „So gehen die meisten Forscher davon aus, dass 95 Prozent des Universums aus dunkler Materie und dunkler Energie bestehen, die wir mit unseren Mess­instru­menten nicht direkt nach­weisen können. Aus dem Standard­modell lässt sich die Existenz dieser mysteriösen Kompo­nenten aber nicht herleiten.“ Viele Forscher gehen daher davon aus, dass das Standard­modell ergänzt oder sogar grund­legend verändert werden muss. In diese Richtung deuten auch immer mehr experi­mentelle Befunde, etwa die zum Zerfall der Kaonen. Diese Teilchen sind ein Bestandteil der kosmischen Strahlung, die von Sternen und Galaxien ausgeht. Sie sind nicht stabil, sondern zerfallen im Schnitt nach wenigen Milliardstel Sekunden.

Abb.: Ulf-G. Meißner (links) und Chien Yeah Seng (rechts) vom...
Abb.: Ulf-G. Meißner (links) und Chien Yeah Seng (rechts) vom Helm­holtz-Institut für Strahlen und Kern­physik der Uni­ver­sität Bonn be­richten über Hin­weise auf neue Physik jen­seits des Standard­modells. (Bild: V. Lannert, U. Bonn)

Ein Parameter des Standard­modells beschreibt diesen Zerfall. Sein Wert lässt sich aus den Messdaten von Experi­menten rechnerisch extrahieren. Wenn man das jedoch für verschiedene Zerfalls­wege von Kaonen macht, so erhält man unter­schied­liche Ergebnisse. „Das könnte ein Hinweis von Physik jenseits des Standardmodells sein“, so Seng. Ganz sicher ist es aber nicht. Denn grund­sätz­lich gibt es drei mögliche Gründe für diese Diskrepanz.

Ersten können die Messungen in den Experi­menten falsch oder zu ungenau sein. Zweitens ist vielleicht die Berechnung der relevanten Zerfälle im Rahmen des Standard­modells nicht präzise genug. Oder, drittens, das Standard­modell ist an diesem Punkt tatsächlich unzutreffend. „Die erste Erklärung gilt inzwischen als unwahr­schein­lich“, betont Ulf Meißner von der Uni Bonn. „Zum einen ist es heute immer exakter möglich, den Parameter experi­mentell zu bestimmen. Zum anderen wurden diese Messungen inzwischen schon viele Male wiederholt.“

Unklar ist bislang aber noch, ob die Berechnungen der Zerfälle im Rahmen des Standard­modells präzise genug sind. Denn das ist nur näherungs­weise möglich und auch nur unter Einsatz extrem leistungs­fähiger Super­computer. Selbst die schnellsten Rechner wären momentan zudem Jahrzehnte beschäftigt, um eine genügend hohe Rechen­genauig­keit zu erzielen. „Wir benötigen aber eine hohe Genauig­keit, um ausreichend sicher sein zu können, dass die Diskrepanz zwischen den Werten tatsächlich auf einen Fehler im Standard­modell hindeutet“, betont Seng.

Der Nachwuchs­wissen­schaftler hat nun zusammen mit Kollegen eine Methode entwickelt, durch die sich die Rechenzeit entscheidend verkürzen lässt. „Dazu haben wir das Problem in viele einfachere Teil­probleme zerlegt“, sagt er. „Dadurch war es möglich, den Wert des Parameters erheblich schneller und exakter als bislang aus Kaon-Zerfällen zu bestimmen.“

Die Ergebnisse bestätigen die Diskrepanz zwischen den Werten. Die Hinweise auf eine neue Physik jenseits des Standard­modells haben sich also verdichtet. „Ganz sicher können wir allerdings noch nicht sein“, sagt Seng. „Dazu müssen unsere Berech­nungen noch etwas genauer werden. Wenn sich unsere Ergebnisse aber bestätigen, wäre das sicher einer der wichtigsten Befunde der letzten Jahre in der Teilchen­physik.“

U. Bonn / RK

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