09.08.2013

Der Teilchenfänger

Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Paul

„Fast alles, was ich in meinem Leben getan habe oder tun musste, hat mir Freude bereitet“, bekannte der 67-jährige Wolfgang Paul. Da hatte er den Gipfel des Ruhmes noch nicht erreicht. Neun Jahre später erhielt er zusammen mit seinem Schüler Hans Dehmelt den Nobelpreis für die Entwicklung der Ionen-Fallen-Technik, auch bekannt als „Paulsche Teilchenfalle“. Allerding bezeichnete Paul sie lieber als Käfige.

Wolfgang Paul kurz vor seinem Tode (Foto: Archiv Physik Journal)

Wolfgang Paul „hat sich der Versuchung entzogen, sein Experimentiertalent auf die Enge eines Spezialgebiets zu begrenzen“ [1]. Er besaß die Fähigkeit, Zusammenhänge auch zwischen scheinbar weit voneinander entfernten Gebieten der Physik herzustellen. In seiner Arbeitsgruppe an der Universität Bonn verfolgte er drei Schwerpunkte: Atomstrahlen und Spektroskopie, Massenspektroskopie und Physik mit hochenergetischen Elektronen. Im Nachkriegsdeutschland war er einer der Pioniere der Beschleunigerphysik. Er konstruierte das erste 500-MeV-Elektronensynchrotron Europas, das 1965 durch ein 2500-MeV-Synchrotron ersetzt wurde. 1964 bis 1967 amtierte er als Physik-Direktor des CERN. Er setzte sich für den Bau des DESY ein und war von 1971 bis 1973 dessen Generaldirektor. Außerdem war er erster Direktor der Kernforschungsanlage Jülich (KFA).

Nach dem Abschluss des humanistischen Gymnasiums absolvierte Paul auf den Rat des in München lehrenden Theoretikers Arnold Sommerfeld zunächst ein Praktikum als Feinmechaniker. 1932 begann er sein Studium an der Technischen Hochschule München und wechselte zwei Jahre später an die Technische Hochschule Berlin. Dort begegnete er seinem späteren Doktorvater Hans Kopfermann, der seinerseits James Francks erster Doktorand gewesen war. Mit ihm arbeitete er in den folgenden 16 Jahren zusammen und folgte ihm 1937 nach Kiel, 1942 nach Göttingen. James Franck traf Paul 1951 während eines USA-Aufenthaltes. Dieser stellte ihn nach einer genauen Prüfung beim regelmäßigen Treffen der Emigranten als seinen „wissenschaftlichen Enkel“ vor.

Neben Kopfermann beeinflusste auch der Berliner Theoretiker Richard Becker Pauls wissenschaftliches Denken. Beide Mentoren beeindruckten ihn durch ihre Distanz zum Nationalsozialismus. Auf ihren Einfluss führte Paul sein späteres politisches Engagement zurück. 1957 war er einer der 18 Unterzeichner der Göttinger Erklärung, die sich gegen die Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen richtete.

In seiner Dissertation entwickelte Paul eine Atomstrahllichtquelle, in der Beryllium zu einem Atomstrahl verdampft wurde. Schon damals beschäftigte er sich mit dem Problem der Kollimierung geladener Teilchenstrahlen mit Hilfe elektrischer oder magnetischer Felder. Kurz vor Beginn der entscheidenden Experimente wurde er zur Luftwaffe eingezogen, konnte seine Dissertation aber einige Monate später während eines Heimaturlaubs abschließen. 1940 wurde er vom Kriegsdienst befreit und kehrte nach Kiel zurück. Zwei Jahre später folgte er Kopferman in das von Bombenangriffen verschonte Göttingen, wo er sich 1944 mit einer Arbeit zur massenspektrometrischen Bestimmung von Isotopen-Mischverhältnissen habilitierte.

Noch vor Abschluss seiner Habilitation tat sich ein neues Arbeitsgebiet auf: „Als wir von der Entwicklung des Betatrons durch D. Kerst in den Vereinigten Staaten hörten und ebenso von einer ähnlichen Entwicklung durch Grund bei Siemens, sah Kopfermann sofort, dass Streuexperimente mit hochenergetischen Elektronen es uns ermöglichen würden, die Ladungsverteilung des Kerns zu untersuchen“, erinnerte sich Paul. Ab Mai 1944 nahm er an den ersten Testmessungen an dem bei Siemens bestellten 6-MeV-Betatron in Erlangen teil.

Nach dem Krieg gelang es der Gruppe, das Betatron nach Göttingen zu überführen – dank der Vermittlung der Engländer, denn die amerikanischen Besatzer hatten sich zunächst dagegen gesperrt. 1947 ging es in Betrieb. Weil aber kernphysikalische Forschung in den ersten Nachkriegsjahren verboten war, erprobte Paul die Strahlungsquelle zunächst in der medizinischen Strahlentherapie.

1952 wurde Paul Direktor des Physikalischen Instituts in Bonn, das sich unter seiner Leitung zu einer Hochburg der Experimentalphysik entwickelte. Dazu trug nicht zuletzt der von Paul eingerichtete Tischtennisraum bei. „Viele redeten dort über Physik und gingen anschließend zum Arbeiten in die Labors“ [2]. Doch wusste der Chef auch, ob am Abend noch gearbeitet oder lediglich Tischtennis gespielt wurde, denn seine Wohnung lag in Sichtweite des Instituts.

Als frisch gebackener Institutsleiter beantragte Wolfgang Paul bei der DFG 100.000 DM für den Bau eines 100-MeV-Elektronensynchrotrons. „Man empfahl ihm, eines für 500 MeV zu bauen. Eine kleine Gruppe, ohne Erfahrung im Beschleunigerbau, jedoch voller Optimismus und Arbeitswut, machte sich ans Werk. Sie vertraute Pauls physikalischem Gespür“, erinnerte sich Pauls Doktorand Peter Brix. Im Gegensatz zum Betatron, das bei einem kleinen Radius mit einem zeitlich zunehmenden zentralen Magnetfeld betrieben wurde, erforderte der wesentlich größere Durchmesser des Synchrotrons zahlreiche lokale Magnetfelder. Zur Kollimierung des Teilchenstrahls wurde das Prinzip der starken Fokussierung mit alternierenden magnetischen Quadrupolfeldern angewandt.

Dieses Prinzip inspirierte Paul zur Entwicklung eines Massenfilters für Massenspektrometer, der auf einem zeitlich alternierenden elektrischen Quadrupolfeld basierte. Dieser hatte den Vorteil, dass er sich wesentlich kostengünstiger und kompakter realisieren ließ. Das 1953 mit Helmut Steinwedel publizierte Prinzip wurde noch im gleichen Jahr patentiert. Ab 1962 wurden für die Atmosphärenchemie kleine Geräte in Raketen eingebaut. Vom Massenfilter war es nur noch ein kleiner Schritt zur Entwicklung des Ionenkäfigs, mit dem sich einzelne Ionen einfangen und lange Zeit speichern lassen. Damit wurden in den folgenden Jahren zahlreiche Präzisionsexperimente in der Atom- und Quantenphysik möglich.

Mit 72 Jahren begann Wolfgang Paul sein letztes großes Experiment zu einem Problem, das ihn seit seinem Habilitationskolloquium beschäftigt hatte: Die Frage, wie man Neutronen in eine Flasche einsperren könne. Er konzipierte einen supraleitenden magnetischen Speicher, der Neutronen aufgrund ihres magnetischen Kernmoments festhält. Mit seinen Söhnen Lorenz und Stephan, die ebenfalls Physiker sind, konnte er am ILL in Grenoble die Halbwertszeit des radioaktiven Zerfalls von Neutronen mit einer Genauigkeit von einem Prozent messen.

Für Peter Brix war Wolfgang Paul war „ein physikalisches Genie, nicht unerreichbar fern, sondern eines, dem Jüngere ohne Scheu nacheifern können. Was war sein Erfolgsrezept? 1. sein außerordentliches Gedächtnis für physikalische Fakten, 2. sein Vermögen, funktionale Zusammenhänge von einem Gebiet auf das andere zu übertragen, 3. sein Wagemut, auch eventuell erfolglose Experimente zu versuchen“. Pauls Motto: „Man wird doch mal fragen dürfen.“

Anne Hardy

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