19.04.2012

Der Vater des Plutoniums

Vor 100 Jahren wurde Glenn Theodore Seaborg geboren.

Mit gerade 29 Jahren machte Glenn Seaborg als frischgebackener „assistant professor“ an der University of California in Berkeley die wichtigste und folgenschwerste Entdeckung seiner Laufbahn: Das neue Transuran (Plutonium), das er im Februar 1942 mit seiner Gruppe identifiziert hatte, erwies sich als spaltbares und damit bombentaugliches Material. Das gab dem 1939 begonnenen Manhattan Project eine neue Richtung und bewirkte eine Versetzung des ehrgeizigen jungen Radiochemikers nach Chicago. Dort war die Gruppe von Enrico Fermi mit dem Bau eines Reaktors beschäftigt, der auch ausreichend Plutonium für eine Bombe produzieren sollte.

Glenn Seaborg justiert einen Geiger-Müller-Zähler während seiner Suche nach Plutonium (Foto: Lawrence Berkeley National Laboratory)

Als Postdoc hatte Seaborg sich durch seine Arbeit am Zyklotron in Berkeley bereits einen Ruf als Isotopen-Jäger erworben. Zusammen mit dem Physiker John Livinghood entdeckte er mehr als 100 künstliche Isotope, darunter Iod-139, das in der Nuklearmedizin zur Behandlung von Schilddrüsen-Karzinomen verwendet wird. Dass er seine Forschung ab 1939 auf die Elemente jenseits des Urans konzentrierte, hing mit der Entdeckung der Kernspaltung durch die Berliner Gruppe um Otto Hahn zusammen. Als Edwin M. McMillan und Philip H. Abelson die Kernspaltungsexperimente mit dem Zyklotron in Berkeley wiederholten, erlebten sie eine Überraschung: Bei der chemischen Analyse der Spaltprodukte entdeckten sie das erste echte Transuran. Seaborg war in der Arbeitsgruppe, die an der Isolierung des Elements 93 (Neptunium) arbeitete. Als McMillan im November 1940 für kriegswichtige Radarforschung ans MIT abberufen wurde, setzte Seaborg die Arbeit fort und entdeckte dabei das Plutonium.

Im April 1942 begann Seaborg in dem Labor mit dem Decknamen „Metallurgical Laboratory“. Im Dezember desselben Jahres fand dort die erste kontrollierte Kettenreaktion mit Uran-238 statt. Seaborgs Aufgabe als Leiter der Chemie-Gruppe war es, Wege zu finden, das entstehende Plutonium im industriellen Maßstab anzureichern. Während seiner Zeit in Chicago machte er sich auch Gedanken darüber, wo die Transurane im Periodensystem einzuordnen seien. 1944 schlug er vor, die dem Actium folgenden Elemente unter den 14 Lanthaniden zu platzieren. Als er diesen Vorschlag 1945 in der Zeitschrift „Chemical and Engineering News“ veröffentlichte, galt dieser als „wilde Hypothese“. Eine weitere herausragende Leistung auf theoretischem Gebiet war die in späteren Jahren aufgestellte Vorhersage einer „Insel der Stabilität“ für bestimmte Transuran-Isotope.

Ab 1949 entdeckte Seaborg mit seiner Gruppe die Elemente 97 (Berkelium) und 98 (Californium) am Synchrotron in Berkeley. 1951 erhielten er und Edwin McMillan den Nobelpreis für Chemie für ihre Entdeckungen in der Chemie der Transurane. Die Elemente 99 (Einsteinium) und 100 (Fermium) fanden Seaborg und seine Gruppe völlig unerwartet in den Abfällen der ersten thermonuklearen Testbombe, die im November 1952 auf dem Eniwetok Atoll im südlichen Pazifik gezündet worden war. Auch die Elemente 101 (Mendelevium) und 102 (Nobelium) entstanden 1958 in Berkeley in dem dortigen Schwerionenbeschleuniger. Glenn Seaborg erwarb für die Herstellung der von ihm entdeckten Elemente rund 40 Patente. Von Bedeutung ist heute noch dasjenige für die Gewinnung von Americium (Element 95), das in Rauchmeldern für den Haushalt verwendet wird.

Seaborg engagierte sich auch in der Politik. Er gehörte zu den Unterzeichnern des Franck-Reports, in dem führende Atomwissenschaftler im Juni 1945 an Präsident Truman appellierten, die Atombombe nicht gegen Japan einzusetzen. Zehn US-Präsidenten diente Seaborg als wissenschaftlicher Berater. Von 1961 bis 1971 war er Vorsitzender der US Atomenergiekommission, in die ihn John F. Kennedy berufen hatte. Seine größte Leistung waren die Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine Einschränkung von Atomwaffentests (lediglich unterirdische Tests waren erlaubt), die im Juli 1963 in ein gemeinsames Abkommen mündeten. Während der Regierungszeit von Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson setzte Seaborg sich für den Atomwaffensperrvertrag ein, der im Juli 1969 zuerst von den USA, Großbritannien und der Sowjetunion unterzeichnet wurde. Seaborg blieb Zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Befürworter der friedlichen Nutzung der Atomkraft.

Die Zahl seiner vielen Auszeichnungen und Ehrungen (allein 50 Ehrendoktorate) bescherten Seaborg sogar einmal einen Guinness-Rekord als Person mit dem längsten Eintrag im amerikanischen „Who is Who?“. Nach ihm wurde nicht nur das Seaborgium benannt, sondern auch ein Asteroid. Als äußert produktiver Autor bzw. Koautor verfasste er 50 Bücher und 500 Fachartikel. Sein Vermächtnis hinterließ Seaborg, der 1999 im Alter von 86 starb, in einem Brief an einen jungen Wissenschaftler, in dem er schrieb: „Eine besonders wichtige Zutat zu einem guten Wissenschaftler ist einfache harte Arbeit!“

Anne Hardy

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