Diamantfolie mit Rekordmaßen
Monokristalline Kohlenstoffschicht erreicht ein Gewicht von 155 Karat.
Naturdiamanten und im Labor gezüchteten Kristallen zeigen beim Vergleich der Kristallstrukturen vollständig identisch. Nur an charakteristischen atomaren Defekten, die beide besitzen, lässt sich natürlicher Ursprung oder synthetische Erzeugung noch feststellen. Diamanten werden an der Universität Augsburg seit 1991 erforscht und synthetisiert. Primäres Ziel dieser Forschungen ist es, die verschiedenen physikalischen und chemischen Prozesse beim Kristallwachstum zu verstehen. Die Natur bringt gewaltige Drücke und Temperaturen auf, um Graphit in Diamant umzuwandeln. In den Augsburger Laboren hingegen wird mit chemischer Gasphasenabscheidung bei einem Unterdruck von einigen Zehntel Atmosphären gearbeitet. Unter spezifischen Prozessbedingungen lagern sich Kohlenwasserstoffmoleküle aus der Gasphase auf der Oberfläche ab und lassen so Schicht für Schicht Diamanten wachsen.
Abb.: Einkristalline Diamantscheibe mit 155 Karat im Vergleich zum Cullinan-Diamanten: Die Grauschattierungen resultieren überwiegend aus der noch nicht entfernten Keimbildungsschicht. (Bild: U Augsburg /IfP / EP IV)
„Als wir unsere erste Anlage aufgebaut hatten und die Herstellerfirma zur Inbetriebnahme kam, lieferte bereits der erste Prozess eine flächendeckende Schicht aus ganz passablen Diamantkristalliten“, berichtet Matthias Schreck, der die Diamant-Arbeitsgruppe am Augsburger Lehrstuhl für Experimentalphysik IV seit ihren Anfängen leitet. „Leider", so Schreck weiter, „passten damals die einzelnen Körner an ihren Grenzen noch nicht zusammen, und so war es nicht möglich, einen flächendeckenden Einkristall zu erhalten. Dem Ziel, dieses Problem zu lösen, haben wir uns in den darauf folgenden zweieinhalb Jahrzehnten dann komplett verschrieben.“
Nachdem das Edelmetall Iridium als geeignetste Wachstumsunterlage identifiziert war und man ein effizientes Verfahrens zur Erzeugung orientierter Kristalle gefunden hatte, wurden Schritt für Schritt alle weiteren Herausforderungen angegangen, um dem Ziel einkristalliner Scheiben näherzukommen. „Es war faszinierend, nach etlichen Tagen des Wachstums unter einer mehrere Tausend Grad heißen Plasmaentladung den Reaktor zu öffnen und die ersten großflächigen Proben in Händen zu halten“, schildert Stefan Gsell. Nach dem Entfernen der Wachstumsunterlage ließ sich dann die Qualität der Scheiben auch hinsichtlich ihrer Transparenz und Perfektion beurteilen: „Als wir zum ersten Mal eine transparente Probe ohne Risse hergestellt hatten und die Waage einen Wert von über 20 Gramm, also über 100 Karat, für die Probe anzeigte, war die Faszination natürlich noch größer“, fügt sein Kollege Martin Fischer hinzu.
Nun beschreiben die Augsburger Forscher erstmals im Detail eine solche Probe mit einem maximalen Durchmesser von 92 Millimetern und einem Gewicht von 155 Karat. Sie erklären auch die ungewöhnlichen Phänomene, die bei der Bildung von Diamantkeimen ausschließlich auf Iridium auftreten. „Diese Phänomene wurden bereits in Dutzenden von Veröffentlichungen von Wissenschaftlern weltweit übereinstimmend beschrieben, doch erst jetzt ist es gelungen, ein konsistentes Modell für ihre Erklärung zu entwickeln“, sagt Schreck.
Die drei Wissenschaftler sind auch vom wirtschaftlichen Nutzen ihrer Entwicklung überzeugt. Sie haben im November 2015 gemeinsam die Augsburg Diamond Technology GmbH gegründet. Das junge Startup-Unternehmen soll die technologische Entwicklung vorantreiben, um kommerzielle Anwendung für die Diamantschichten verschiedensten Technologiefeldern zu finden. Diese reichen von Schneidwerkzeugen für die Herstellung spiegelnder Oberflächen von Werkstücken über optische Bauteile bis hin zu Detektoren an großen Teilchenforschungseinrichtungen. Am Cern etwa wurden erst kürzlich zwei Augsburger Kristalle für Messungen in den Beschleunigerring eingebaut.
Auch zum Gelingen der Energiewende könnten die Augsburger Scheiben einen wichtigen Beitrag liefern. „Seit Beginn meiner Arbeiten an der Universität Augsburg höre ich permanent in der Diamantgemeinde, dass Diamant das ultimative Material für Hochleistungselektronik sei, wie sie für den Aufbau moderner Stromnetze benötigt wird“, bemerkt Schreck und fügt hinzu, dass auch er selbst häufig dieses Argument verwendet. Allerdings hat bisher noch niemand wirklich konkurrenzfähige Bauelemente demonstriert.
Erst vor wenigen Wochen präsentierten auch Werkstoffforscher der Universität Erlangen-Nürnberg FAU großflächige kristalline Diamantfolien für den praktischen, anwendungsorientierten Einsatz. In einem Versuchsreaktor ist es ihnen gelungen, die mit einem Durchmesser von 28 Zentimetern weltgrößte kristalline Diamantfolie herzustellen. Die Herstellung der kristallinen Diamantfolien erfolgte in einem Versuchsreaktor, in dem in einem mehrtägigen Prozess auf einer 30 Zentimeter Durchmesser großen kreisrunden Trägerplatte aus Silizium eine 40 Mikrometern dicke Diamantschicht gezüchtet wurde.
U Augsburg / FAU / JOL