29.05.2008

Dicht oder locker gepackt

Forscher in den USA stellen ein Phasendiagramm für Kugelpackungen auf.



Forscher in den USA stellen ein Phasendiagramm für Kugelpackungen auf.

Dass man Apfelsinen am besten hexagonal oder kubisch flächenzentriert stapelt, wenn man sie so dicht wie möglich packen will, kann man schon beim Obsthändler studieren. Für diese beiden Packungen füllen die Kugeln 74 % des Raumes aus. Dass es nicht vielleicht noch dichter geht, dafür gibt es bisher keinen wirklich einleuchtenden Beweis, der ohne Computerrechnungen auskäme. Bei ungeordneten Kugelpackungen wird die Sache noch unübersichtlicher. Doch jetzt haben Hernán Makse und seine Kollegen am City College of New York eine Mean Field (oder Molekularfeld-) Theorie für amorphe Kugelpackungen aufgestellt, die Licht ins Dunkel bringt.

Rieselt ein Granulat aus gleich großen Kugeln in einen Behälter, so lagern sich die Kugeln ungeordnet ab. Rüttelt man den Behälter, so entsteht eine stabile ungeordnete Packung von miteinander verkeilten Kugeln. Dabei schwankt die Packungsdichte erheblich: Sie liegt zwischen 55 % im Falle der lockersten Zufallspackung und 64 % bei der dichtesten Zufallspackung. Welche Dichte sich tatsächlich im Experiment einstellt, hängt nicht von der Vorgehensweise ab. Ob man die Kugeln erst rieseln lässt und dann rüttelt, ob man sie sehr langsam rieseln lässt, ob man den Kugeln einen dichtgepackten „Keim“ zum Anlagern gibt oder ob man eine lockere Kugelpackung durch Druck kompakter macht: Stets findet man dieselbe Dichte, die allerding von den Reibungskräften zwischen den Kugeln abhängt. Sehr glatte Kugeln benötigen für eine stabile Lage sechs Nachbarn, die sie berühren. Sehr raue Kugeln kommen hingegen schon mit vier Nachbarn aus, sodass ihre Packung lockerer ist.

Hier stellen sich zahlreiche Fragen. Sind die unterschiedlich dichten Zufallspackungen nur metastabil? Können sie also durch schrittweise Umordnung einer überschaubaren Zahl von Kugeln ineinander umgewandelt werden? Oder müsste man dazu alle Kugeln im Behälter gleichzeitig bewegen, weil man es mit qualitativ unterschiedlichen amorphen Kugelpackungen zu tun hat? In diesem Fall gäbe es unterschiedliche amorphe Phasen, und bei den Phasenübergängen zwischen ihnen träte kritisches Verhalten mit divergierenden Korrelationslängen auf. Wie ließen sich diese unterschiedlichen amorphen Phasen charakterisieren? Kann man den Phasenraum für Granulate aus gleich großen Kugeln berechnen?

Der Beantwortung dieser Fragen sind Makse und seine Kollegen einen großen Schritt näher gekommen. Sie gehen von einer statistischen Mechanik für statische Granulate aus, die der britische Physiker Sam Edwards entwickelt hat. Demnach hat ein statisches Granulat zwar eine Entropie, doch seine Energie spielt keine Rolle. Man erhält eine kanonische Verteilung für Granulate, bei der das Volumen V an die Stelle der Energie tritt. Das statistische Gewicht eines Granulats mit Volumen V wird durch den Boltzmann-Faktor eV/X gegeben, wobei X die „Kompaktivität“ oder Verdichtbarkeit des Granulats ist, die der Temperatur entspricht. Je größer X ist, umso lockerer ist das Granulat, umso größer sein Volumen und damit seine Entropie.

Könnte man die Zustandssumme des Granulats berechnen, hätte man das Problem weitgehend gelöst, da man dann auch alle Eigenschaften des Granulats ermitteln könnte. Da dieses Problem jedoch zu kompliziert ist, griffen die Forscher zu einem Näherungsverfahren, das der Molekularfeldnäherung in der herkömmlichen statistischen Physik entspricht. Dazu betrachteten sie eine einzelne Kugel, die in das Granulat eingebettet ist, und berechneten das mittlere Volumen, das dem Teilchen zur Verfügung steht, wenn es z Nachbarkugeln berührt. Je nach Rauigkeit µ (zwischen 0 und unendlich) der Kugeln variierte z zwischen 6 und 4. Daraus konnten die Forscher eine genäherte Zustandssumme berechnen, die sie anschließend auswerteten.

Hatte das Granulat die Verdichtbarkeit X=0, so ergab sich für die Dichte φ =0,634, was gut mit dem experimentellen Ergebnis von 64 % für die dichteste amorphe Packung übereinstimmte. War X hingegen unendlich, so hing die Dichte von der Zahl der Nachbarkugeln und damit indirekt von der Rauigkeit der Kugeln ab: φ =z/(z+121/2). Für z=4 (also für sehr raue Kugeln) erhält man φ =0,536, was ungefähr der Dichte der lockersten amorphen Packung entspricht. Die Forscher konnten auf diese Weise ein Phasendiagramm aufstellen, das alle möglichen amorphen Kugelpackungen in der φ-z-Ebene umfasste. Dabei zeigte es sich, dass nur Packungen in einem dreieckigen Bereich der Ebene physikalisch möglich sind. Außerdem gibt es ein ganzes Kontinuum von Packungen mit der maximalen Dichte von ca. 64 %, die sich durch die mittlere Zahl z der Kugelnachbarn unterscheiden. Computersimulationen haben diese Mean-Field-Ergebnisse bestätigt.

Rainer Scharf

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