04.04.2018

Die Grenzen der Haftung

Haftreibung zwischen Ober­flächen kann völlig ver­schwinden.

Wenn Oberflächen übereinander gleiten, entsteht Reibung. Diese Gleit­reibung ist ein lästiger, aber unum­gäng­licher Aspekt von Bewegungs­vor­gängen. Um jedoch einen ruhenden Gegen­stand in Bewegung zu ver­setzen, muss zunächst die Haft­reibung über­wunden werden. Forscher der Uni Konstanz haben jetzt in einer Kolla­bo­ra­tion mit Kollegen aus Italien gezeigt, wie sich die Haft­reibung zwischen zwei Ober­flächen voll­ständig unter­drücken lässt. Damit lassen sich Objekte mit einer winzigen Kraft in Bewegung setzen. Gerade bei mikro­mecha­nischen Bau­teilen, wo häufig nur kleine Kräfte im Spiel sind, kann eine ver­schwin­dende Haft­reibung zu einem deut­lich ver­bes­serten Wirkungs­grad führen.

Abb.: Gleitet eine Monolage eines Kolloid­kristalls (blaue Kugeln) über ein Licht­gitter (orange), so kann die Reibung voll­ständig ver­schwinden. Das wird dadurch erreicht, dass die Teil­chen bevor­zugt die Mulden des Licht­gitters ver­meiden und sich statt­dessen ent­lang der Berg­rücken bewegen. (Bild: T. Brazda, U. Konstanz)

Clemens Bechinger und seine Kollegen bestätigten mit Experi­menten und nume­rischen Simu­la­tionen eine Vor­her­sage, die der Physiker Serge Aubry in den 1980er Jahren gemacht hat: Wenn der Gitter­abstand der Tei­lchen in den beiden Ober­flächen leicht unter­schied­lich ist, sollte die Reibung zwischen den Ober­flächen voll­ständig ver­schwinden. Dies gilt auch dann, wenn die beiden Ober­flächen auf­ein­ander gedrückt werden.

Der Effekt lässt sich besonders gut an idealen Kontakten beob­achten, bei denen die beiden Ober­flächen plan auf­ein­ander liegen. Genau solche Ober­flächen hat Bechinger mit seinen Mit­arbeitern in einem Modell­system reali­siert: Sein Team hat aus Laser­licht und mikro­meter­großen Kollo­iden ein zwei­dimen­sio­nales Modell für zwei auf­ein­ander reibende Ober­flächen geschaffen. Da sich die Kügel­chen elek­trisch abstoßen, ordnen sie sich in einer perio­disch geord­neten ebenen Schicht an. Diese kollo­idale Mono­lage bildet die eine Ober­fläche. Die andere Ober­fläche erzeugten die Forscher unter der Schicht der Kügel­chen mit drei inten­siven Laser­strahlen. Durch deren Über­lage­rung bildet sich ein Licht­kristall. „Im Ver­gleich mit einer realen Ober­fläche haben diese optischen Ober­flächen den Vor­teil, dass diese völlig trans­parent ist und sich daher die Vor­gänge zwischen den beiden Flächen direkt beob­achten lassen“, sagt Team-Mitglied Thorsten Brazda.

Während Aubry seine Vorhersage aber nur für einen ein­dimen­sio­nalen Kontakt und am abso­luten ther­mischen Null­punkt machte, gelang den Forschern jetzt der Beweis, dass auch ein zwei­dimen­sional aus­ge­dehntes System bei Raum­tempe­ra­turen reibungs­frei in Bewegung ver­setzt werden kann. „Mit dem Experi­ment konnten wir die künst­liche ein­dimen­sionale Situa­tion auf eine durc­haus realis­tische Situa­tion über­tragen und zeigen, dass die Idee von Aubry auch in einem zwei­dimen­sio­nalen System und bei end­lichen Tempe­ra­turen gültig bleibt“, so Bechinger.

Durch die direkte Beobachtung der Teilchenbewegung lässt sich auch das Aus­bleiben der Haft­reibung der kollo­idale Mono­lage auf dem Licht­kristall ver­stehen: Die Forscher konnten beob­achten, dass sich der Kristall leicht gegen­über dem Licht­gitter ver­dreht. Dadurch vermeiden es die Teil­chen, in die Mulden des Substrats ein­zu­rasten, aus denen sie nur schwer wieder heraus­kommen würden. Statt­dessen ordnen sich einige nahe den Berg­kuppen an. Wird eine äußere Kraft angelegt, so müssen sich diese Teil­chen daher nicht erst aus den Potenzial­mulden befreien, sondern können sich sofort bewegen, sobald eine mini­male Kraft auf sie ein­wirkt. Damit ver­schwindet die Haft­reibung.

Die experimentellen Ergebnisse, die in ausgezeichneter Über­ein­stim­mung mit nume­rischen Simu­la­tionen sind, zeigen, dass sich die Haft­reibung nicht nur aus­schalten, sondern auch gezielt wieder anschalten lässt, wenn der Anpress­druck zwischen den beiden Ober­flächen erhöht wird. Das ist wichtig, da Haft­reibung – im Gegen­satz zur Gleit­reibung – häufig durch­aus wünschens­wert ist. Sie ermög­licht es beispiels­weise, einen Gegen­stand sicher zu greifen, und sie sorgt für die Traktion von Rädern auf Ober­flächen. Mit der nun gezeigten Möglich­keit, die Haft­reibung zu vari­ieren, ergeben sich neue Möglich­keiten, Gegen­stände leicht über Ober­flächen zu ver­schieben und diese anschlie­ßend wieder fest zu ver­ankern. Das wäre zum Beispiel für die Funktion mikro- und nano­mecha­nischer Getriebe oder Kupp­ungen von großem Vor­teil, da hier typischer­weise nur sehr kleine Kräfte im Spiel sind.

U. Konstanz / RK

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