13.03.2015

Die Kunst des Elektronenzählens

Das internationale Einheitensystem wird bis 2018 neu definiert. An der Realisierung wird noch hart geforscht.

„Es dürfte nicht ohne Interesse sein zu bemerken, dass die Möglichkeit gegeben ist, Einheiten für Länge, Masse, Zeit und Temperatur aufzustellen, welche ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch ausserirdische und aussermenschliche Culturen notwendig behalten.“ Diese visionäre Bemerkung machte Max Planck am Ende seines berühmten, 1900 veröffentlichten Artikels, in dem er die später nach ihm benannte Planck-Konstante postulierte. Sie stellt die höchste Stufe der Abstraktion dar, auf der man ein Einheitensystem gründen kann. Fundamentale Konstanten, deren Werte sich nach heutigem experimentellen Wissen für alle Zeiten und im gesamten, uns bekannten Universum nicht, oder wenn doch, für praktische Belange nur unmerkbar gering ändern, sollen idealerweise die Grundlage bilden.

Genau diesem Prinzip will nun die internationale Staatengemeinde folgen, die sich in der Meterkonvention 1875 zusammengefunden hat, und die mit nunmehr 56 Mitglieds- und 39 assoziierten Staaten circa 97 % der Weltwirtschaftskraft repräsentiert. Sie will damit das weltweit gültige internationale Einheitensystem, das SI (Système International d‘Unités) grundlegend verbessern. Der formale Beschluss zur Neudefinition wird für die 25. Sitzung der Generalkonferenz für Maße und Gewichte, CGPM, im Jahr 2018 erwartet.

Seit 1960, ergänzt 1971, basiert das SI auf sieben Basiseinheiten: Die Sekunde, der Meter, das Kilogramm, das Ampere, das Kelvin, das Mol und die Candela bilden in der Welt der Metrologie ein internationales „Währungssystem“, ohne das der globale Handel nicht funktionieren würde. Dieses System weist allerdings Schwächen auf, die eine Neudefinition von fünf der sieben Einheiten motivieren.

Insbesondere das Kilogramm, seit 1889 als Einheit der Masse definiert und realisiert durch das Urkilogramm in Paris, bereitet Sorgen, denn es wird relativ zu den meisten nationalen Normalen sowie relativ zu den offiziellen Kopien immer leichter. Aber auch das Ampere hat seine Probleme: Neben dem Nachteil, dass es über die Kraft direkt mit dem Kilogramm verknüpft ist, lässt es sich in seiner sehr idealisierten Definition nicht mit der heute erforderlichen Genauigkeit realisieren.
Dem soll nun systematisch und nachhaltig im „neuen SI“ durch die Festlegung des exakten Zahlenwerts von sieben „definierenden Konstanten“ Abhilfe geschaffen werden. Diese Konstanten sind die Frequenz des Hyperfeinstrukturübergangs des Grundzustands des Cäsiumatoms, die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, die Planck-Konstante, die Elementarladung, die Boltzmann- und die Avogadro-Konstante sowie das photometrische Strahlungsäquivalent.

Wie dieser Brückenschlag zwischen einer Naturkonstante und einer Einheit gelingt, zeigt sich beispielhaft beim Ampere. Die Ladung eines einzelnen Elektrons hat im neuen SI einen festgelegten Zahlenwert. Also kennt man diese und braucht somit „nur noch“ die Zahl der Elektronen, die pro Zeiteinheit durch einen Leiter fließen, zu messen und schon hat man den Strom absolut und „rückgeführt“ auf das SI realisiert! Und das mit einer bisher unerreichbaren Genauigkeit, zumindest für kleine Ströme. Größere Ströme lassen sich indirekt im neuen System über die Von-Klitzing-Konstante und die Josephson-Konstante realisieren.

Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Schaltung, die an der PTB als Demonstration einer zukünftigen Realisierung des Ampere auf Basis der Elementarladung als Naturkonstante entwickelt wurde. Sie besteht aus drei Einzel-Elektronenpumpen (P1, P2 und P3), die in Serie über Inseln verbunden sind. An diese Inseln sind wiederum Einzel-Ladungsdetektoren (D1 und D2) kapazitiv gekoppelt. Die Pumpen transferieren Elektronen von Source (links) durch die Schaltung nach Drain (rechts).

Eine wesentliche Voraussetzung für die Neudefinitionen ist eine hinreichend genaue Kenntnis der beteiligten Konstanten. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hat man bei der Messung dieser Konstanten große Fortschritte erzielt. Speziell für die Messung der Planck- und der Avogadro-Konstante werden in der PTB die „rundesten“ Silizium-Kristallkugeln der Welt hergestellt. Sie erlauben es, nach Festlegung des Zahlenwertes der Planck-Konstante dann durch Abzählen der Atome in der Kugel, das Sorgenkind Kilogramm zu definieren und zu realisieren.

Bis 2018 liegen also noch spannende Entwicklungen vor uns, um dann die Vision von Max Planck nach mehr als hundert Jahren Wirklichkeit werden zu lassen!

Joachim Ullrich, Physikalisch-Technischen Bundesanstalt

Dieses Editorial von Joachim Ullrich, Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), kommentiert einen Artikel in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit von PTB-Forschern, die eine Neudefinition des Amperes mit Einzel-Elektronenquellen erreichen wollen. Diesen Artikel finden Sie hier (nur frei für Online-Abonnenten).

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