Die Physik der Pandemie
Neue Ausgabe von Physikkonkret der DPG beleuchtet die Beiträge der Physik zur Bekämpfung von COVID-19.
Die Bekämpfung des Coronavirus SARS- CoV-2 stellt eine gewaltige Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. Ge- meinsam mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen leisten Physiker dabei wichtige Beiträge – von modernen Messtechniken über Experimente zu den Verbreitungsmechanismen des Virus bis hin zur Modellierung der epidemiologischen Gesamtdynamik. Bereits im Februar 2020 war es mithilfe von Röntgenlicht aus der Beschleunigeranlage Bessy II des Helmholtz-Zentrums Berlin gelungen, die Struktur eines Schlüsselproteins des Coronavirus aufzuklären, das an der Vermehrung der Viren beteiligt ist. Solche Erkenntnisse helfen bei der Suche nach Wirkstoffen.
Das gleiche Ziel verfolgen die Forscher an der Röntgenstrahlungsquelle Petra III vom Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg. Sie testen in einem speziell entwickelten Verfahren parallel mehrere tausend bestehende Wirkstoffe daraufhin, ob sie als Medikamente gegen SARS-CoV-2 geeignet sind. Und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts und der Universität Erlangen-Nürnberg versuchen live zu verfolgen, wie lebende Coronaviren in die Zellen des Menschen eindringen und was genau bei einer Infektion geschieht.
Solange aber keine Medikamente oder Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus verfügbar sind, bleiben Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus unerlässlich. Die Wirkung von Schutzmasken und Abstandsregeln wird dazu in fluiddynamischen Untersuchungen der Ausbreitung von Tröpfchen und Aerosolen nach dem Atmen, Niesen oder Husten untersucht. Die Dynamik von Epidemien ist ein Kernthema der Physik und Mathematik stochastischer Prozesse. Die hier entwickelten Modelle analysieren, welche Parameter über die mittlerweile wohlbekannte Reproduktionszahl R hinaus wichtig sind, und welche Rolle statistische Ausreißer – wie Superspreaders oder Großveranstaltungen – spielen.
Forscher des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen haben die Ausbreitung des Coronavirus sowie die Wirkung verschiedener Maßnahmen zu seiner Eindämmung modelliert. Demnach haben die von der Bundesregierung und den Regierungschefs der Länder beschlossenen Kontakt-Beschränkungen vom 22. März 2020 in der Tat verhindern können, dass sich das Coronavirus in Deutschland weiterhin exponentiell ausbreiten konnte. Entsprechende Zeitserienanalysen der COVID-19-Fall- und -Todeszahlen listet das von Horizon 2020 der Europäischen Union gefördertes Projekt OSCOVIDA (Open Science COVID Analysis) zeitnah auf, dessen Quellcode und Daten für jedermann frei verfügbar sind.
Eines ist sicher: Die Corona-Pandemie lässt sich umso wirkungsvoller eindämmen, je mehr Wissenschaftsdisziplinen zusammenwirken und auf diese Weise der Politik und Gesellschaft eine möglichst belastbare Entscheidungsbasis schaffen. Die Physik als Grundlagenwissenschaft aller Naturerkenntnis leistet dazu vielfältige Beiträge und spielt eine wichtige Rolle bei der Vernetzung der verschiedenen Erkenntnisebenen.
DPG / JOL