Die Schweife der Hyaden
Gaia-Daten zeigen beginnende Auflösung des offenen Sternhaufens.
Im Laufe ihres Lebens verlieren offene Sternhaufen kontinuierlich Sterne an ihre Umgebung. Dadurch entstehende, langgestreckte Gezeitenschweife bieten Einblicke in Entwicklung und Auflösung eines Sternhaufens. Im Milchstraßensystem sind diese Schweife bisher nur bei massereichen Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien entdeckt worden. Für offene Sternhaufen wurde dieses Phänomen lediglich theoretisch vorhergesagt. Forscher der Uni Heidelberg und des MPI für Astronomie haben erstmals die Existenz eines Gezeitenschweifs bei einem offenen Sternhaufen nachgewiesen – in den Hyaden, also dem Sternhaufen, der der Sonne am nächsten liegt. Die Forscher nutzten die im April 2018 veröffentlichten Daten des Astrometrie-Satelliten Gaia, der seit fünf Jahren den Sternenhimmel systematisch erfasst. Gaia liefert dabei keine direkten Himmelsaufnahmen, sondern misst die Bewegungen und Positionen der Sterne.
Offene Sternhaufen sind Ansammlungen von Hunderten bis zu wenigen Tausend Sternen, die nahezu gleichzeitig aus einer kollabierenden Gaswolke entstanden sind und sich in etwa mit derselben Geschwindigkeit durch den Raum bewegen. Verschiedene Einflüsse führen allerdings dazu, dass sie sich bereits nach einigen Hundert Millionen Jahren auflösen: Gegen die Eigengravitation, die die Sterne aneinander bindet, arbeitet unter anderem die Gezeitenwirkung einer Galaxie. Dadurch werden Sterne aus dem Haufen herausgezogen. Während der Bewegung eines Sternhaufens durch die Milchstraße führt dies zur Ausbildung von Gezeitenschweifen. Es ist der Beginn vom Ende eines offenen Sternhaufens.
Aus den Gaia-Daten konnten die Astronomen zwei Gezeitenschweife der Hyaden mit insgesamt etwa fünfhundert Sternen identifizieren, die sich bis zu 650 Lichtjahre entfernt von dem Sternhaufen erstrecken. Dabei geht einer der beiden Schweife dem offenen Sternhaufen voraus, der andere folgt diesem nach, wie Siegfried Röser von der Uni Heidelberg erläutert: „Unsere Entdeckung zeigt, dass es möglich ist, die Bahnen einzelner Sterne der Milchstraße zu ihrem Entstehungsort in einem Sternhaufen zurückzuverfolgen.“ Der Wissenschaftler geht davon aus, dass dies nur der Auftakt für weitere bedeutende Forschungsergebnisse in der galaktischen Astronomie ist.
U. Heidelberg / RK