Die Vermessung des Erdinneren
Neues hochauflösendes 3D-Modell zum globalen Erdaufbau.
Verschiedene Erdplatten drücken und schieben gegeneinander und bilden so nach und nach Gebirge, Vulkane oder verursachen Erdbeben. Um die Vorgänge der Plattentektonik besser zu verstehen, ist die Lithosphäre – die Erdkruste und der darunter liegende Erdmantel – von entscheidender Bedeutung. Die Europäische Weltraumorganisation ESA hat jetzt ein neues 3D-Modell veröffentlicht, um die Lithosphäre genauer als bisher zu beschreiben. An dem internationalen Projekt sind auch Wissenschaftler aus dem Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) beteiligt, die dafür konventionelle geophysikalische Methoden mit satellitengestützten Daten kombinierten. Vom 29. März bis 1. April wird das gesamte Forschungsprojekt Ergebnisse und Anwendungsmöglichkeiten der Methode bei der vom Kieler Team ausgerichteten internationalen „3D-Earth Spring School“ online vorstellen.
Bei einem Erdbeben treten seismische Wellen auf, deren Geschwindigkeit gemessen wird, um mehr über die Verteilung der physikalischen Eigenschaften im Erdinneren zu erfahren. Wie schnell sich diese Wellen ausbreiten, wird hauptsächlich von der Temperatur und von der Dichte des Gesteins bestimmt. „Satellitengestützte Gravitationsdaten können hier wertvolle Ergänzungen liefern, denn die Gesteinsdichte beeinflusst die Stärke des Schwerkraftsignals. Außerdem ermitteln Satelliten sehr genaue Daten für die gesamte Erdoberfläche und decken damit auch Gebiete ab, in denen es kaum Bodenmessungen gibt", erklärt Geophysiker Nils Holzrichter aus der Arbeitsgruppe Satelliten- und Aerogeophysik.
Das neue 3D-Modell der Lithosphäre kombiniert globale Gravitationsdaten des GOCE-Satelliten –Gravity field and steady-state ocean circulation explorer, seismologische Beobachtungen und Gesteinsinformationen. „Mit der Kombination von Satelliten-, Erdbeben- und Gesteinsdaten können wir gewissermaßen mit einer Lupe auf das bekannte Schalenmodell des Erdinneren schauen und die einzelnen Schichten viel genauer als bisher differenzieren“, erklärt Holzrichter, der unter anderem die Daten für das 3D-Modell aufbereitet hat. „Da es sich um ein globales Referenzmodell handelt, lassen sich damit auch Studien aus verschiedenen Regionen der Welt besser miteinander vergleichen.“
Angewendet hat das Kieler Forschungsteam das Modell bereits auf das Laurentidische Eisschild: Die massive Eisschicht bedeckte während der letzten Eiszeit Teile des heutigen Kanadas und der USA und drückte die Landmassen mit ihrem Gewicht nieder. Vor 20.000 Jahren schmolzen die Gletscher ab und seitdem hebt sich der nordamerikanische Kontinent wieder an. „Mit unserer Methode lässt sich konkreter als bisher ermitteln, welche weitere Hebung noch zu erwarten ist“, sagt Wolfgang Szwillus. Demnach ist mit einer weiteren Hebung von mindestens 200 Metern zu rechnen. Dass auch 20.000 Jahre nach Abschmelzen der Gletscher die Prozesse nicht abgeschlossen sind, zeigt, wie träge der Erdmantel reagiert hat. „Ein besseres Verständnis davon, wie schnell die Lithosphäre auf Eismassenverluste reagiert, ist mit Blick auf den Klimawandel ausgesprochen wichtig“, ergänzt Szwillus.
CAU Kiel / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. M. Reusen et al.: Long‐Wavelength Gravity Field Constraint on the Lower Mantle Viscosity in North America, JGR Solid Earth 125, e2020JB020484 (2020); DOI: 10.1029/2020JB020484 - J. Fullea et al.: WINTERC-G: mapping the upper mantle thermochemical heterogeneity from coupled geophysical-petrological inversion of seismic waveforms, heat flow, surface elevation and gravity satellite data, Geophys. J. Int., online 10. März 2021; DOI: 10.1093/gji/ggab094
- Satelliten- und Aerogeophysik, Christian-Albrechts-Universität, Kiel