24.01.2017

Die Vermessung des Nichts

Manipulation des elektrischen Vakuumfelds erzeugt Abwei­chungen vom Grund­zustand des leeren Raums.

Forschern der Uni Konstanz ist ein bedeutender Schritt hin zu einem völlig neuen experimentellen Zugang zur Quantenphysik gelungen. Das Team um Alfred Leitenstorfer kann das elektrische Vakuumfeld manipulieren und somit Abweichungen vom Grundzustand des leeren Raumes hervorrufen, die nur im Rahmen der Quantentheorie des Lichts verstanden werden können. Damit liefert das Team einen weiteren Beweis für die Korrektheit ihrer ersten Ergebnisse, die bereits im Oktober 2015 veröffentlicht wurden: Die direkte Vermessbarkeit des Nichts. Mit diesem grundlegenden wissenschaftlichen Fortschritt sind entscheidende Beiträge zu lang ausstehenden Problem­lösungen denkbar. Diese erstrecken sich über einen breiten Bereich vom vertieften Verständnis der Quantennatur der Strahlung bis zur Erfor­schung attraktiver Materialeigenschaften wie zum Beispiel der Hoch­tempe­ratur-Supraleitung.

Abb.: Detailansicht des Experiments zur Subzyklen-Quantenelektrodynamik. (Bild: U. Konstanz)

Möglich wurden diese fundamentalen Einblicke mit einer weltweit führenden Technologie, die im Arbeitsbereich von Leitenstorfer entwickelt wurde. Spezielle Lasersysteme erzeugen Lichtimpulse, die nur wenige Femto­sekunden lang sind und damit kürzer als eine halbe Lichtschwingung im abgetasteten Spektralbereich. Die extreme Empfindlichkeit der Methode erlaubt es, elektromagnetische Fluktuationen selbst in Abwesenheit von Intensität aufzuspüren, also in vollkommener Dunkelheit. Die Existenz dieser Vakuum-Fluktuationen folgt theoretisch aus der Heisenbergschen Unschärfe­relation. Leitenstorfer und sein Team konnten sie erstmals direkt nachweisen – und zwar im mittleren infraroten Frequenzbereich, wo selbst die konven­tio­nellen Zugänge zur Quantenphysik bislang nicht funktionieren.

Die Experimente sind vom Grundkonzept her neuartig: Anstatt der bisher üblichen Frequenzdomänen-Ansätze nutzt das Team einen Zugang, der direkt in der Zeitdomäne arbeitet. Anstelle der Analyse von Licht in einem schmalen Frequenzband werden hier zu einem bestimmten Zeitpunkt elektrische Feldamplituden gemessen. Untersucht man verschiedene Punkte in der Zeit, so ergeben sich charakteristische Rauschmuster, die eine detaillierte Aussage über den dort vorliegenden Quantenzustand des Lichts erlauben. Indem sich der Messimpuls mit dem zu untersuchenden Quantenfeld gemeinsam bei Lichtgeschwindigkeit durch den Raum ausbreitet, können die Forscher quasi die Zeit anhalten. Letztlich verhalten sich Raum und Zeit in diesen Experi­menten vollkommen äquivalent – ein Hinweis auf die inhärent relativistische Natur elektromagnetischer Strahlung.

Weil der neue Zugang die zu messenden Photonen weder absorbieren noch verstärken muss, ist es möglich, das elektromagnetische Grundrauschen des Vakuums und somit auch die von den Experimentatoren herbeigeführten Abweichungen von diesem Grundzustand direkt zu detektieren. „Wir können den Quantenzustand analysieren, ohne dass wir ihn in erster Näherung verändern“, stellt Leitenstorfer fest. Für die Manipulation des Vakuumfeldes nutzen die Forscher eine neue Strategie zur Herstellung gequetschen Lichts. Mit einem intensiven Impuls des Femtosekundenlasers wird die Licht­geschwin­dig­keit in einem bestimmten Bereich der Raumzeit gezielt verändert. Durch diese lokale Modulation der Ausbreitungsgeschwindigkeit wird das Vakuumfeld gequetscht, was gleichbedeutend ist mit einer Umverteilung der Vakuum-Fluktuationen.

Abb.: Schematische Darstellung der raumzeitlichen Abweichungen vom Niveau der nackten Vakuum-Fluktuationen des elektrischen Felds, welche durch Deformation der Raumzeit erzeugt und in der Zeitdomäne abgetastet werden. Die farbige Hyperfläche kombiniert eine longitudinale Zeitspur (rote Linie) mit der transversalen Modenfunktion. (Bild: U. Konstanz)

Während bei zeitlich ansteigender Lichtgeschwindigkeit die Fluktu­ations­ampli­tuden eine positive Abweichung vom Vakuum-Rauschen aufweisen, kommt es bei ihrer Verzögerung zu einem erstaunlichen Phänomen: Das gemessene Rauschniveau ist geringer als im Vakuum-Zustand – geringer als im absoluten Nichts. Mit den bisher bekannten Methoden wäre eine solche direkte Messung nicht möglich, da sie bei der Analyse entweder die Photonen absorbieren, den Quantenzustand somit zerstören, oder ihn verstärken müssten, um überhaupt Signale zu erhalten.

Ist das Rauschmuster bei geringer Quetschung noch einigermaßen symme­trisch um das Vakuum-Niveau herum verteilt, ergibt sich bei zunehmender Stärke eine Abnahme, die zwangsläufig gegen Null hin sättigt. Im Gegensatz dazu steigt das wenige Femtosekunden später angehäufte Über­schuss­rauschen nicht­linear an – eine direkte Konsequenz aus dem Produktcharakter der Unschärferelation. Dieses Phänomen ist gleichzusetzen mit der Er­zeu­gung eines hoch nichtklassischen Zustandes des Lichtfeldes, bei dem beispielsweise immer zwei Photonen gleichzeitig im selben Volumen von Raum und Zeit auftreten.

Als nächstes wollen die Forscher die Grenzen des anscheinend nicht-destruk­tiven Charakters der Methode verstehen. An sich sollte jede experi­mentelle Analyse eines Quanten­systems dieses verändern. Möglicherweise liegt der Schlüssel zu diesem Kontext in der Tatsache begründet, dass derzeit noch viele Einzelmessungen gemacht werden müssen, um eine Aussage zu erhalten: Zwanzig Millionen Wiederholungen in der Sekunde. Ob es sich dabei um eine schwache Messung nach konven­tio­neller Sprechweise der Quantentheorie handelt, können die Wissenschaftler noch nicht mit Be­stimmt­heit sagen.

Der neue experimentelle Zugang zur Quantenelektrodynamik stellt erst die dritte Methode überhaupt dar für das Studium des Quantenzustands von Licht. Grundsätzliche Fragen stellen sich: Was genau ist der Quantencharakter des Lichts? Was ist eigentlich ein Photon? So viel steht für Leitenstorfer und seine Kollegen fest: Auf jeden Fall kein quantisiertes Energiepaket, sondern eher ein Maß für die lokale Quantenstatistik in der Raumzeit.

U. Konstanz / RK

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