11.10.2016

Diffusion in komplexen Systemen

Eingefangene Atome offenbaren Dynamik jenseits der Brownschen Bewegung.

Durch eine Kombination aus Experimenten und Theorie konnte erstmals die Diffusion einzelner Atome in perio­dischen Systemen verstanden werden. Die Wechsel­wirkung von einzelnen Atomen mit Licht bei ultra­tiefen Tempe­raturen fast am absoluten Nullpunkt liefert neue Erkennt­nisse zur Ergo­dizität, der Grundannahme der Thermo­dynamik. Untersuchungen an ultrakalten Atomen, die an der TU Kaisers­lautern durch­geführt wurden, liefern nun ein Verständnis für die Diffusion in perio­dischen Strukturen, relevant für verschiedenste komplexe Systeme.

Abb.:Fluoreszenzaufnahmen der Diffusion eines einzelnen Atoms. (Bild: TU Kaiserslautern / AG Widera)

Diffusion in komplexen Systemen kann sehr verschiedene Eigen­schaften haben: Tumor­bewegung in Lebewesen, DNA-Transport in Zellen, Ionen­bewegung in Batterien, atomare Bewegung auf Ober­flächen – all dies sind Diffusions­vorgänge in komplexen Systemen. An der Aufklärung der zugrunde­liegenden Mechanismen besteht großes Interesse, die eines Tages bis weit in alltägliche Anwendungen reichen könnten. Physiker der TU Kaisers­lautern haben zusammen mit Wissen­schaftlern der Univer­sitäten Erlangen-Nürnberg und Kyoto in Japan einen wichtigen Schritt zum grund­legenden Verständnis der komplexen Diffusion und der Inter­pretation ihrer experimentellen Daten gemacht.

Für die Studie entwickelte das Kaisers­lauterer Team um Artur Widera ein neuartiges Modell­system: Ein einzelnes Atom wird mit Lasern bis fast auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt und in einer Falle aus Licht in einem Vakuum gefangen. Das Atom wird dann in eine durch ein Licht­feld erzeugte Umgebung eingebracht, in der die Licht-Absorption und Licht-Emission der Atome wie Stöße mit einem anderen Teilchen wirken. In dieser Umgebung kann die Diffusion nach Belieben eingestellt und die Bewegung des Atoms mit einer Kamera verfolgt werden. Parallel entwickelten theore­tische Physiker aus Erlangen-Nürnberg und Kyoto ein Modell zur Beschreibung der Dynamik des Systems. Zentraler Aspekt hierbei war, die Vorgänge im Hinblick auf die physika­lische Größe der Ergo­dizität zu verstehen. Dank der hervor­ragenden Über­einstimmung von Experiment und Theorie konnten nun Diffusions­vorgänge jenseits der Brownschen Bewegung verstanden werden.

Die Bewegung einzelner Zellen im Körper oder der Transport von Ladungs­trägern in Energie­speichern sind nur im Zusammen­hang mit der jeweiligen Umgebung zu verstehen. Die Teilchen dieser Umgebung stoßen permanent mit einer Zelle oder einem Ladungs­träger und beein­flussen so ihre Bewegung. Diese Vorgänge können in vielen Fällen durch die Brownsche Bewegung mit der Theorie von Einstein beschrieben werden. Manchmal lassen sich die Beo­bachtungen allerdings nicht mit diesem Modell beschreiben, bisweilen kann man dem System diese nicht-Brownsche Dynamik auf den ersten Blick nicht ansehen.

Ein zentraler Aspekt der Studien war es, das atomare System auf Zeitskalen zu untersuchen, die relevant für die Etablierung von Ergo­dizität sind. Ergo­dizität ist die Grundlage für die Thermo­dynamik und eine wichtige Größe für die Beschreibung von Diffusions­vorgängen. In einfachen Worten besagt die Ergodizitätshypothese, dass in einer Ansammlung von Teilchen die Bewegung eines einzelnen Teilchens repräsen­tativ für das gesamte Ensemble ist. Diese Annahme wird in der Regel allen beobachteten Phänomenen unseres Alltags zugrunde gelegt. Das gilt streng gesehen für die meisten Systeme allerdings nur für sehr große Zeiträume. Die Wissen­schaftler konnten in ihrer Stud­ie nun zeigen, dass selbst „normal“ erscheinende Diffusions­vorgänge in bestimmten Fällen die Ergodizität auf überraschend langen Zeitskalen verletzen können. Diese Ergebnisse haben interes­sante Konse­quenzen für das Verständnis der Diffusion in komplexen Systemen und können zum Beispiel helfen, Beo­bachtungen und Messungen in bio­logischen Systemen neu zu bewerten und zu inter­pretieren.

TU Kaiserslautern/ JOL

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