Diffusion in komplexen Systemen
Eingefangene Atome offenbaren Dynamik jenseits der Brownschen Bewegung.
Durch eine Kombination aus Experimenten und Theorie konnte erstmals die Diffusion einzelner Atome in periodischen Systemen verstanden werden. Die Wechselwirkung von einzelnen Atomen mit Licht bei ultratiefen Temperaturen fast am absoluten Nullpunkt liefert neue Erkenntnisse zur Ergodizität, der Grundannahme der Thermodynamik. Untersuchungen an ultrakalten Atomen, die an der TU Kaiserslautern durchgeführt wurden, liefern nun ein Verständnis für die Diffusion in periodischen Strukturen, relevant für verschiedenste komplexe Systeme.
Abb.:Fluoreszenzaufnahmen der Diffusion eines einzelnen Atoms. (Bild: TU Kaiserslautern / AG Widera)
Diffusion in komplexen Systemen kann sehr verschiedene Eigenschaften haben: Tumorbewegung in Lebewesen, DNA-Transport in Zellen, Ionenbewegung in Batterien, atomare Bewegung auf Oberflächen – all dies sind Diffusionsvorgänge in komplexen Systemen. An der Aufklärung der zugrundeliegenden Mechanismen besteht großes Interesse, die eines Tages bis weit in alltägliche Anwendungen reichen könnten. Physiker der TU Kaiserslautern haben zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Kyoto in Japan einen wichtigen Schritt zum grundlegenden Verständnis der komplexen Diffusion und der Interpretation ihrer experimentellen Daten gemacht.
Für die Studie entwickelte das Kaiserslauterer Team um Artur Widera ein neuartiges Modellsystem: Ein einzelnes Atom wird mit Lasern bis fast auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt und in einer Falle aus Licht in einem Vakuum gefangen. Das Atom wird dann in eine durch ein Lichtfeld erzeugte Umgebung eingebracht, in der die Licht-Absorption und Licht-Emission der Atome wie Stöße mit einem anderen Teilchen wirken. In dieser Umgebung kann die Diffusion nach Belieben eingestellt und die Bewegung des Atoms mit einer Kamera verfolgt werden. Parallel entwickelten theoretische Physiker aus Erlangen-Nürnberg und Kyoto ein Modell zur Beschreibung der Dynamik des Systems. Zentraler Aspekt hierbei war, die Vorgänge im Hinblick auf die physikalische Größe der Ergodizität zu verstehen. Dank der hervorragenden Übereinstimmung von Experiment und Theorie konnten nun Diffusionsvorgänge jenseits der Brownschen Bewegung verstanden werden.
Die Bewegung einzelner Zellen im Körper oder der Transport von Ladungsträgern in Energiespeichern sind nur im Zusammenhang mit der jeweiligen Umgebung zu verstehen. Die Teilchen dieser Umgebung stoßen permanent mit einer Zelle oder einem Ladungsträger und beeinflussen so ihre Bewegung. Diese Vorgänge können in vielen Fällen durch die Brownsche Bewegung mit der Theorie von Einstein beschrieben werden. Manchmal lassen sich die Beobachtungen allerdings nicht mit diesem Modell beschreiben, bisweilen kann man dem System diese nicht-Brownsche Dynamik auf den ersten Blick nicht ansehen.
Ein zentraler Aspekt der Studien war es, das atomare System auf Zeitskalen zu untersuchen, die relevant für die Etablierung von Ergodizität sind. Ergodizität ist die Grundlage für die Thermodynamik und eine wichtige Größe für die Beschreibung von Diffusionsvorgängen. In einfachen Worten besagt die Ergodizitätshypothese, dass in einer Ansammlung von Teilchen die Bewegung eines einzelnen Teilchens repräsentativ für das gesamte Ensemble ist. Diese Annahme wird in der Regel allen beobachteten Phänomenen unseres Alltags zugrunde gelegt. Das gilt streng gesehen für die meisten Systeme allerdings nur für sehr große Zeiträume. Die Wissenschaftler konnten in ihrer Studie nun zeigen, dass selbst „normal“ erscheinende Diffusionsvorgänge in bestimmten Fällen die Ergodizität auf überraschend langen Zeitskalen verletzen können. Diese Ergebnisse haben interessante Konsequenzen für das Verständnis der Diffusion in komplexen Systemen und können zum Beispiel helfen, Beobachtungen und Messungen in biologischen Systemen neu zu bewerten und zu interpretieren.
TU Kaiserslautern/ JOL