22.07.2016

Druckzelle erreicht eine Billion Pascal

Weltrekord an der Universität Bayreuth ermöglicht neue Experimente in Physik, Chemie und Geowissenschaften.

Extreme Drücke und Temperaturen, die im Labor mit hoher Präzision erzeugt und kontrolliert werden, sind ideale Voraus­setzungen für die Physik, Chemie und Material­forschung. Sie ermöglichen es, Strukturen und Eigen­schaften von Materialien aufzuklären, neue Materialien für industrielle Anwendungen zu synthetisieren, neue Materie­zustände zu entdecken, zu einem vertieften Verständnis von Materie vorzudringen und damit beispiels­weise Einblicke in den Aufbau und die Dynamik der Erde sowie anderer Planeten zu gewinnen. Daher besteht weltweit ein starkes Forschungsinteresse daran, die im Labor erzeugten und für Material­analysen genutzten Drücke immer weiter zu steigern.

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Abb.: Nachdem ein kugelförmiger nanokristalliner Diamant in zwei Halbkugeln getrennt worden ist, werden die Halbkugeln für den Einsatz in einer doppelseitigen Diamantstempelzelle vorbereitet. (Bild: L. Dubrovinsky, N. Dubrovinskaia)

Als magische Grenze galt bisher die Marke von 1 Terapascal. Dieser Druck ist dreimal höher als der Druck, der im Zentrum der Erde herrscht. Zum Vergleich: Dieser Druck würde auf einer Finger­spitze lasten, wenn man darauf 100 Exemplare des Eiffelturms übereinander stapeln könnte. Eben diese Grenze hat ein inter­nationales Forschungs­team um Natalia Dubro­vinskaia und Leonid Dubro­vinsky von der Universität Bayreuth jetzt erstmals erreicht und überschritten.

Es sind kugelförmige nano­kristalline Diamanten, mit denen jetzt die Tür in eine neue Dimension der Material­forschung aufgestoßen wurde. Wissen­schaftler an der Universität Bayreuth hatten die durch­sichtigen Kugeln, die einen Durchmesser zwischen 10 und 20 Mikro­metern aufweisen, im Labor synthetisiert. Wie sich herausstellte, besitzen sie aufgrund ihres einzig­artigen Gefüges eine ganz unge­wöhnliche Druck­festigkeit. Sie erweisen sich als höchst wider­standsfähig, wenn äußere Drücke auf sie einwirken.

Mit einer Ionen­strahlanlage haben sie die super­harten Diamant-Kugeln zunächst in zwei Halbkugeln getrennt. Diese Hälften wurden anschließend in einer doppelseitigen Diamant­stempel­zelle installiert. Während die dazwischen einge­zwängten Material­proben steigenden Drücken ausgesetzt waren, wurden sie an einer Elektronen­synchrotron-Anlage in Chicago mit Röntgen­strahlen durchleuchtet. Die Beugungs­muster, die aus diesen techno­logisch sehr anspruchs­vollen Unter­suchungen hervorgingen, brachten es an den Tag: Die Grenze von 1 Terapascal war erreicht und überschritten.

Abb.: Leonid Dubrovinsky montiert eine zweistufige Diamantstempelzelle an der Elektronensynchrotron-Anlage des Argonne National Laboratory in Chicago. (Bild: N. Dubrovinskaia)

Diamant­stempel­zellen als solche kommen in der Hochdruck- und Hoch­temperatur­forschung schon seit langem zum Einsatz: Dabei wird die Probe des zu untersuchenden Materials zwischen zwei Diamanten platziert. Diese Diamanten pressen die Material­probe aus entgegen­gesetzten Richtungen zusammen, wobei Drücke bis zu etwa 250 Gigapascal entstehen können. Aber am Bayerischen Geo­institut BGI und am Labor für Kristal­lographie der Universität Bayreuth wurde diese Forschungs­technik schon vor wenigen Jahren entscheidend weiter­entwickelt. Die hier konstruierten doppel­seitigen Diamant­stempel­zellen ermöglichen die Erzeugung von viel höheren Drücken. Denn in diesen Zellen wird auf jedem der beiden Diamanten ein halber nano­kristalliner Diamant befestigt. Die Köpfe dieser Halbkugeln stehen exakt einander gegenüber. So können sie die extremen Drücke, die von außen seitens der größeren Diamanten auf sie ausgeübt werden, an die zwischen ihnen befindliche Material­probe weitergeben und zwar ohne dabei zerstört zu werden. Die Pointe dieses zweistufigen Verfahrens liegt darin, dass der an die Material­probe weitergegebene Druck verviel­facht wird. Denn die Köpfe der Halbkugeln, welche die Material­probe berühren, haben eine wesentlich kleinere Fläche als ihre kreis­förmigen Unter­flächen, mit denen sie an den größeren Diamanten befestigt sind.

Eine wesent­liche Ursache für die Druck­festigkeit von nano­kristallinen Diamanten ist ihre Korngröße. Bei den nano­kristallinen Diamanten, mit denen in zwei­stufigen Zellen jetzt erstmals ein Kompressions­druck von mehr als 1 Terapascal erzeugt werden konnte, liegt sie zwischen 2 und 15 Nanometern. Die jetzt präsentierten Forschungs­ergebnisse eröffnen aber nicht allein wegen der Über­schreitung von 1 Terapascal neue Möglich­keiten für die physika­lische, chemische und geowissen­schaftliche Material­forschung. Spezielle Dichtungen, welche die Wissen­schaftler in den doppelseitigen Diamant­stempel­zellen installiert haben, bilden wesentliche Voraus­setzungen dafür, dass nicht nur Festkörper, sondern auch Material­proben in ursprüng­lich flüssigem oder gas­förmigem Zustand bei Drücken von über 1 Terapascal analysiert werden können.

Abb.: Schema einer zweistufigen Diamantstempelzelle: Zwei Diamant-Halbkugeln (blau) werden an den gegenüberliegenden Diamanten (orange) einer herkömmlichen Diamantstempelzelle befestigt. Die Materialprobe (rot) befindet sich zwischen den Köpfen der Halbkugeln, die sich aufeinander zubewegen und die Probe von beiden Seiten einem immer stärkeren Druck aussetzen. (Bild: E. Bykova / C. Göppner)

„Wir freuen uns sehr darüber, dass es uns zusammen mit unseren Forschungs­partnern gelungen ist, die inter­nationale Hochdruck- und Hoch­temperatur­forschung in dieser Weise voran­zubringen“, erklärt Natalia Dubro­vinskaia. Die Forschungs­ergebnisse seien für zahlreiche Forschungs­zweige von erheblicher Relevanz, insbesondere für die Physik und Chemie der Festkörper, die Material­wissenschaft, die Geophysik und die Astrophysik. Ebenso könne die Industrie davon profitieren, beispielsweise wenn es um die Entwicklung neuer Wasser­stofftechno­logien oder hochleistungs­fähiger Supra­leiter geht.

An der Studie waren zusammen mit dem Bayerischen Geo­institut BGI und dem Labor für Kristal­lographie der Universität Bayreuth zahlreiche weitere Forschungs­partner beteiligt: das Center for Advanced Radia­tion Sources an der Univer­sität Chicago, die European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble, die Universität Antwerpen, das Karlsruher Institut für Techno­logie (KIT) sowie die Baltische Föderale Immanuel-Kant-Universität in Kali­ningrad.

U Bayreuth / JOL

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