07.11.2012

Dunkle Materie im Goldenen Zeitalter

In den letzten vierzig Jahren entstand das Standard-Modell der kosmischen Evolution. Ein Review-Artikel in den Annalen der Physik fasst die Entwicklung zusammen.

Ähnlich abenteuerlich wie unseren Vorfahren die Idee angemutet haben mag, dass unsere Erde keine Scheibe und nicht der Mittelpunkt des Universums ist, mag heute vielen von uns die Vorstellung vorkommen, dass nur ein kleiner Teil der Materie unseres Universums „normale“, direkt beobachtbare Materie sein soll. Der große Rest, so glauben viele Wissenschaftler, besteht aus einer obskuren „Dunklen Materie“. Dies jedoch ist kein Rückfall in ein alchimistisches Zeitalter, die Theorie der Dunklen Materie ist auf der Basis handfester Berechnungen entstanden. Mithilfe ausgefeilter Computersimulationen konnte nach und nach das heutige Standardmodell unseres Kosmos aufgestellt werden.

Abb.: Die Galaxienverteilung in der Millenium-Simulation. (Bild: C. S. Frenk & S. D. M. White, Ann. Phys. (Berlin))


Dieses Modell erklärt, wie sich die Strukturen des Weltalls von einem Urknall ausgehend entwickelt haben. Carlos S. Frenk vom Institute for Computational Cosmology an der Unversity of Durham, UK, und Simon D. M. White, Direktor des Max-Planck Instituts für Astrophysik in Garching, zwei Wissenschaftler, die federführend an grundlegenden Berechnungen und Simulationen beteiligt waren, zeichnen die Stationen dieser herausragenden Erfolgsgeschichte der Physik in einem aktuellen Review-Artikel nach, der in einem frei zugänglichen Sonderheft der Annalen der Physik zum Thema „Dunkle Materie“ erschienen ist.

Das Standard-Model beschreibt die Geometrie und den Materieinhalt des Universums, es erklärt, wie dessen Strukturen – unsere vielfältigen Galaxien in verschiedenen Größen und Geometrien, die Gruppen und Anhäufungen von Galaxien, das komplette kosmische Netz von Filamenten aus Gas und Leerräumen – aus einem heißen und weitgehend gleichförmigen Urknall entstanden sind. Diese erstaunliche Fülle scheint aus winzigen Fluktuationen erwachsen zu sein, die in einer Periode der Aufblähung des Kosmos sehr rasch nach Entstehung unseres Universums auftraten. Während der folgenden 13,7 Milliarden Jahre wurden diese kleinen Störungen durch die ständige Einwirkung von Gravitationskräften verstärkt, vor allem aufgrund von Dunkler Materie, wie man heute vermutet.

Bereits in den siebziger Jahren kam die Theorie auf, dass alle Galaxien von einer Art dünnem Mantel, einem „Halo“ aus Dunkler Materie umgeben sind. Im heutigen Standard-Modell macht die Dunkle Materie etwa fünf Sechstel der gesamten Materie aus. Aktuellen Hypothesen zufolge handelt es sich dabei um schwach wechselwirkende nicht-baryonische Elementarteilchen, die in den frühen Stadien der Kosmischen Evolution entstanden. Simulationen gaben zudem eine Vorstellung davon, wie die Dunkle Materie in den Halos verteilt sein könnte.

Die Forscher geben in ihrem Artikel einen Überblick über das Standard-Modell der kosmischen Entstehung. Die Schwerpunkte liegen dabei auf den nicht-linearen Prozessen, die das nahezu einheitliche Universum, das aus dem Urknall hervorging, in die hochstrukturierte Welt umgewandelt haben, die wir heute beobachten können. Sie zeichnen nach, wie Computersimulationen beim Verständnis dieser Umwandlungsprozesse eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben. Die Autoren erläutern die Gravitationsphänomene, die mit der Dunklen Materie verbunden sind, und diskutieren, welche entscheidenden, aber komplexeren Prozesse die direkt beobachtbaren baryonischen Komponenten geformt haben.

Die Vorstellungen, die in das Modell eingeflossen sind, können experimentell belegt werden. Die Theorien zur Geometrie des Universums und zu den Bedingungen bei der Entstehung des Universums fanden durch Messungen der Temperaturfluktuationen der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung sowie durch Beobachtungen der kosmischen Struktur auf großer Skala Bestätigung. Was noch bleibt, ist ein Nachweis der Annahme, dass die Dunkle Materie aus nicht-baryonischen, schwach wechselwirkenden Elementarteilchen besteht.

Aber auch so bleibt, trotz Standard-Modell, noch sehr viel Raum für Spekulationen, kontroverse Theorien und ausgeklügelte Experimente. Eine völlig unerwartete Entdeckung im letzten Jahrzehnt bestätigt das: Die beschleunigte Expansion des Universums. Verantwortlich soll eine unbekannte „Dunkle Energie“ sein, die sich aber noch weniger greifen lässt als die Dunkle Materie. Diese sollte sich immerhin irgendwann im Labor direkt oder indirekt durch Strahlung bei ihrer Auslöschung detektieren lassen.

K. Mädefessel-Herrmann

PH

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