Dynamik von Atomen auf Oberflächen
Angelagerte Ionen beeinflussen Atombewegungen stärker als bisher angenommen.
In Batterien, Brennstoffzellen oder technischen Beschichtungen laufen zentrale chemische Prozesse an der Oberfläche von Elektroden ab. Dabei bewegen sich Atome über die Oberfläche, die in Kontakt mit Flüssigkeiten steht. Doch wie dies genau geschieht, ist noch wenig erforscht. Diese Bewegungsabläufe und die Rolle der beteiligten chemischen Komponenten wollen Physiker der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel besser verstehen. Dafür beobachteten sie mit hoher Auflösung, wie sich Schwefelatome auf Kupferelektroden bewegen, die in unterschiedlichen Salzlösungen eingetaucht sind. Mikroskopische Videoaufnahmen zeigten, dass diese Bewegungen von Ionen gesteuert werden, die sich auf der Oberfläche der Elektrode angelagert hatten. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, solche Bewegungsabläufe gezielt zu kontrollieren und damit beispielsweise Beschichtungsprozesse in der Mikroelektronikindustrie zu optimieren.
Abb.: Computersimulationen legen nahe, dass Schwefelatome (gelb) in Gegenwart einer Schicht aus Bromionen (magenta) ihre Position verändern, indem sie kurz in das Metall abtauchen. (Bild: Deuchler)
„Ionen oder Moleküle, die sich an einer Oberfläche anlagern, können dort ablaufende Reaktionen entscheidend beeinflussen, auch wenn sie daran nicht direkt beteiligt sind“, sagt Olaf Magnussen, Leiter der Arbeitsgruppe „Grenzflächenphysik“ am Institut für Experimentelle und Angewandte Physik. „Spectator species“ werden diese Atome in der Chemie genannt. Welchen Einfluss solche atomaren Zuschauer auf Reaktionen an Grenzflächen genau haben, ist in den meisten Fällen aber nur ansatzweise bekannt. Weitere Erkenntnisse darüber könnten helfen, diese Prozesse besser zu steuern.
In ihrem Experiment untersuchte die Forschungsgruppe Kupferelektroden in Salzlösungen, die Chlor- oder Bromionen enthielten. Diese Ionen lagerten sich als Zuschauer auf der Kupferoberfläche an. Anschließend fügten die Forscher kleine Mengen von Schwefelatomen hinzu und beobachteten deren Wärmebewegung auf der Oberfläche der Elektrode. Dazu verwendeten sie ein besonderes Rastertunnelmikroskop, das einzelne Atome selbst in Salzlösungen sichtbar machen kann. Da dies nur bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt funktioniert, bewegen sich die Atome verhältnismäßig schnell, die Mikroskopbilder müssen also in kurzer Zeit aufgenommen werden. Im Rastertunnelmikroskop tastet eine winzige Metallspitze die Elektrode ab und erstellt so ein Bild ihrer Oberfläche. Dies dauert in Standardgeräten typischerweise eine Minute. Über mehrere Jahre hat die Kieler Arbeitsgruppe ihr Mikroskop so weiterentwickelt, dass es bis zu zwanzig Abbildungen pro Sekunde erstellen kann. Mit diesem weltweit einzigartigen Instrument ist es möglich, in einem Video festzuhalten, wie sich Atome auf einer Oberfläche bewegen.
Die entstandenen Aufnahmen überraschten das Forschungsteam: In beiden Salzlösungen hing die Bewegungsgeschwindigkeit der Schwefelatome stark von der Spannung ab, die an der Elektrode angelegt wurde. Bereits bei einer Erhöhung der Spannung um ein Zehntel Volt änderte sich die Bewegungsgeschwindigkeit um das Zehnfache. Während sich die Schwefelatome auf der Oberfläche mit Chlorionen bei hoher Spannung langsamer bewegten, veränderten sie ihre Position auf der Oberfläche mit Bromionen schneller. „Chlor und Brom sind sich chemisch sehr ähnlich – dieses unterschiedliche Verhalten hatten wir nicht erwartet“, betont Björn Rahn, der diese Untersuchungen als Teil seiner Doktorarbeit bei Magnussen durchführte.
Hinweise auf die Ursache dieser Unterschiede lieferten Computersimulationen der Arbeitsgruppe von Eckhard Pehlke aus dem Institut für Theoretische Physik und Astrophysik. „Der Grund, dass Schwefel sich auf Oberflächen mit Chlor- und Bromionen so gegensätzlich verhält, liegt darin, dass die zwei Ionen unterschiedliche Bewegungsmechanismen auslösen“, erläutert Pehlke die Berechnungen. Während sich Schwefelatome in Gegenwart von Chlorionen nur auf der Oberfläche bewegen, legen die Berechnungen für die Oberfläche mit Bromionen die Vermutung nahe, dass die Schwefelatome beim Verändern ihrer Position kurzzeitig in das Metall eintauchen.
Die Computersimulationen bestätigen, dass die Brom- und Chlorionen auf der Oberfläche mehr sind als passive Zuschauer und die chemischen Prozesse stattdessen direkt beeinflussen. Diese Erkenntnisse der Grundlagenforschung helfen nicht nur, elementare Prozesse an Grenzflächen besser zu verstehen. „Unsere Ergebnisse sind auch ein erster Schritt, um solche elektrochemischen Prozesse besser zu steuern“, blickt Magnussen in die Zukunft.
CAU Kiel / JOL