14.09.2018

Effizienter Rückbau von Kernkraftwerken

Neue Methode bestimmt Art und Menge der zu entsorgenden, radioaktiven Stoffe.

Wenn ein Kern­kraftwerk stillgelegt und zurückgebaut wird, stellt der Umgang mit der verbleibenden Radio­aktivität eine der größten Heraus­forderungen dar. Der Betrieb der Anlage führt dazu, dass bestimmte Komponenten und bauliche Strukturen mit Radio­nukliden belastet sind. Neben der Kontamination von Oberflächen spielt dabei die Aktivierung eine wichtige Rolle, bei der ursprüng­lich nicht radio­aktive Stoffe im Inneren von Bauteilen durch die während des Betriebs herrschende Neutronen­strahlung in Radionuklide umgewandelt werden. Dieser Prozess führt beispiels­weise dazu, dass im bio­logischen Schild, einer rund ein bis zwei Metern dicken Beton­struktur, die den Reaktor­druck­behälter umgibt, Radio­nuklide wie Calcium-41 entstehen. Ein Teil des Betons muss deshalb nach der Still­legung als radio­aktiver Abfall entsorgt werden.

Abb.: Projektleiter Matthias Dewald am Detektor der AMS-Anlage der Kölner Universität. Hier werden die gesuchten Radionuklide gezählt, nachdem sie von den übrigen Ionen aus der Probe getrennt wurden. (Bild: S. Dokter, GRS)

Möglichst genau zu wissen, welche Radio­nuklide in welcher Menge in Anlagen­teilen vorhanden sind, ist für viele Aspekte der Still­legung wichtig – etwa für die Planung des Strahlen­schutzes oder die Wahl geeigneter Methoden für die Dekon­tamination von Kompo­nenten. Entscheidend ist dieses radio­aktive Inventar auch dafür, welche Materia­lien aus dem Rückbau wieder­verwendet oder als konven­tioneller Abfall entsorgt werden können und welche als radio­aktiver Abfall einzu­ordnen sind. Für die Bestimmung des radio­aktiven Inventars spielen Messungen eine wesent­liche Rolle. Die Messung ober­flächlicher Konta­minationen stellt dabei meist kein Problem dar. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Messung der Radio­nuklide innerhalb akti­vierter Strukturen.

Vor Ort können von diesen Radio­nukliden nur diejenigen gemessen werden, die Gamma­strahlung aussenden. Für die Bestimmung der übrigen wird in diesen Fällen auf Leit­nuklide und Nuklid­vektoren zurück­gegriffen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass in bestimmten Anwendungs­fällen – etwa in der Wand des biolo­gischen Schilds – Gamma­strahler und andere, schwerer messbare Radio­nuklide in einem bestimmten Mengen­verhältnis auftreten. Aus der Menge des leicht messbaren Leit­nuklids lässt sich so die Menge der übrigen Radio­nuklide bestimmen. Diese Methode stößt allerdings unter bestimmten Umständen an Grenzen. Hat das Leitnuklid eine kurze Halbwerts­zeit und zerfällt deshalb schneller als die übrigen Nuklide des Vektors, kann bereits nach einigen Jahren die ver­bleibende Menge des Leitnuklids zu gering sein, um gemessen zu werden. Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn als Leit­nuklid nur ein Element in Frage kommt, das von vornherein nur in sehr geringen Spuren vorhanden ist.

Forscher der Gesell­schaft für Anlagen- und Reaktor­sicherheit (GRS) haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, das radio­aktive Inventar von akti­viertem Beton mit einer der genauesten Methode zu untersuchen, die derzeit zur Bestimmung kleinster Stoff­mengen zur Verfügung steht. In einem Forschungs­projekt nutzen die Fachleute dazu gemeinsam mit Wissen­schaftlern der Abteilung Nuklear­chemie und des Instituts für Kernphysik der Univer­sität zu Köln die Beschleuniger-Massen­spektrometrie – kurz AMS, accelerator mass spectro­metry. Dabei wird die Substanz einer Messprobe zunächst in einen Ionen­strahl umgewandelt. Aus diesem Strahl werden dann in einem ersten Massen­spektrometer die Ionen abgetrennt, die dieselbe Masse aufweisen wie das gesuchte Radionuklid. Bei den danach verbleibenden Ionen kann es sich aber sowohl um einzelne Atome als auch um ionisierte Moleküle mit derselben Masse handeln. Der Beschleu­niger sorgt dafür, dass alle Molekül­verbindungen zerstört werden, so dass nur noch ein Strahl aus einzelnen ionisierten Atomen übrig bleibt. Dieser Strahl wird dann in einem zweiten Massen­spektrometer erneut anhand der Masse gefiltert, so dass am Ende nur die gesuchten Nuklide in einem Detektor gezählt werden.

Mit dieser Methode lässt sich äußerst präzise messen. Mit der AMS ließe sich ein einzelnes Radionuklid in einer Menge von bis zu zehn Billiarden anderen, nicht radio­aktiven Nukliden aufspüren. Auf die Idee, diese Mess­methode für die Unter­suchung von Abfällen aus der Still­legung von Kern­kraftwerken zu nutzen, hat die Forscher die Geschichte der „Eismumie Ötzi“ gebracht: „Bei Ötzi wurde mit einem Beschleu­niger-Massen­spektrometer gemessen, wieviel Kohlenstoff-14 in seinen Über­resten zu finden ist. Früher hat man für solche Messungen noch Verfahren wie die Flüssig­szintil­lation genutzt, die bislang auch noch in der Kerntechnik angewendet wird. Inzwischen ist die AMS bei der Alters­bestimmung oder der Spuren­analyse in der Klima­forschung das Mittel der Wahl - das Verfahren ist einfach deutlich präziser und weniger aufwendig als die übrigen. Deshalb lag es für uns nahe, das auch auf unsere Frage­stellungen anzuwenden“, erklärt der Physiker Matthias Dewald, der das Projekt bei der GRS leitet.

Aktuell werten die Forscher in einer der zwei AMS-Anlagen der Univer­sität Köln Beton-Proben aus, die zuvor im Forschungs­reaktor Triga in Mainz bestrahlt wurden. „Dort können wir innerhalb von Sekunden bis zu einigen Minuten zu einer Akti­vierung der Proben kommen, wie sie in einem Kern­kraftwerk erst nach vielen Jahren Betriebs­zeit erreicht ist. Der Triga ist für uns so etwas wie ein Zeitraffer“, so Dewald. Um in den Proben verschiedene Konzen­trationen der gesuchten Radio­nuklide zu erzeugen, wurde die Dauer der Bestrahlung variiert. Als konkrete Zielmarke haben sich die Wissenschaftler eine Konzen­tration des Radionuklids Calcium-41 in der Größen­ordnung zwischen eins zu zehn Milliarden und eins zu einer Billion gesetzt. Dies entspricht ungefähr der Konzen­tration, die nach der Still­legung eines Kern­kraftwerks im biolo­gischen Schild zu finden ist.

Zusätzlich zu den AMS-Messungen werden einige der Proben auch mithilfe der Gamma­spektroskopie ausgewertet. Diese Methode macht sich den Umstand zunutze, dass jedes Radionuklid, das Gamma­strahlen emittiert, dies in einem ganz spezifischen Energie­bereich tut. In dem Projekt können die Wissen­schaftler anhand dieses energe­tischen Finger­abdrucks ermitteln, welche Gamma­strahler sich in welchen Mengen­verhältnissen in den Proben befinden. Zusammen mit den Ergebnissen aus der AMS wird es damit möglich zu prüfen, wie realitäts­nah die bislang verwendeten Nuklidvektoren sind. Daneben lässt sich auch klären ob andere, sehr lang­lebige Radio­nuklide wie das Calcium-41 als Leit­nuklide in Frage kommen.

Die ersten Analyse­ergebnisse bestätigen nach Einschätzung von Matthias Dewald den Ansatz, auf das für die Kern­technik neue Verfahren zu setzen: „Wir konnten bereits erste Unterschiede zwischen den von uns gemessenen Radionuklid-Zusammen­setzungen und Nuklid­vektoren feststellen, die uns aus der Literatur bekannt sind. Wie relevant diese Unterschiede sind und ob das Konsequenzen für die Frei­messung von Still­legungs-Abfällen hat, lässt sich aber heute noch nicht sagen – da liegt noch Arbeit vor uns.“ In der nächsten Projekt­phase sollen Proben aus den biolo­gischen Schilden zweier still­gelegter Reaktoren untersucht werden, um die Ergebnisse aus den voran­gegangenen Unter­suchungen weiter abzusichern. Bis Ende 2019 soll das Projekt abge­schlossen sein. Ein ausführ­licher Bericht soll Anfang 2020 veröffent­licht werden.

Auf längere Sicht streben Dewald und seine Kollegen einen Material­wechsel an: Nach dem Beton soll mittels AMS akti­viertes Graphit untersucht werden, das in Reaktoren verbaut wurde. Das findet sich nicht nur in Reaktoren der Tscher­nobyl-Baulinie RBMK, sondern wurde auch in Deutschland im Hoch­temperatur­reaktor THTR-300 in Hamm und in mehreren Forschungs­reaktoren verwendet.

GRS / JOL

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