Ein bisschen Teilchen, ein bisschen Welle
Delayed-Choice-Experiment erlaubt stufenloses Umschalten zwischen komplementären Quanteneigenschaften.
Eine der sonderbarsten Eigenschaften der Quantenwelt ist die Welle-Teilchen-Dualität ihrer Objekte. Je nachdem, welchen experimentellen Aufbau man wählt, zeigen Quantenobjekte typische Wellen- oder Teilcheneigenschaften. Ein bekanntes Beispiel für dieses Verhalten ist das Mach-Zehnder-Interferometer. Hier tritt ein Photon durch einen Strahlteiler und läuft dann durch das Interferometer. Am Ende des Strahlgangs werden die beiden Teilstrahlen wieder zusammengeführt. Führt man an dieser Stelle einen zweiten Strahlteiler ein, der beide Teilstrahlen wieder rekombiniert, so wird dadurch unentscheidbar, welchen Weg das Photon gegangen ist und in den Detektorsignalen zeigt sich Interferenz.
Abb.: Wie die gemessene Interferenz zeigt, ist der Übergang von teilchen- zu wellenartigem Verhalten fließend. (Bild: S.-B. Zheng et al.)
Diese Interferenz hängt vom Phasenunterschied der beiden Wegstrecken ab. Auf diese Weise hat man also die Welleneigenschaften des Lichts bestimmt. Verzichtet man auf den Strahlteiler, so verschwindet die Interferenz und stattdessen lässt sich der Weg des Photons bestimmen. Wie Niels Bohr bereits bei der Entstehung der Quantenmechanik herausarbeitete, ist dieses komplementäre Verhalten des Photons den beiden unterschiedlichen Messanordnungen geschuldet. Man kann dieses Experiment aber noch weiter auf die Spitze treiben, wie ein internationales Forscherteam nun zeigen konnte.
Die Wissenschaftler um John Martinis von der University of California in Santa Barbara und Andrew Cleland von der University of Chicago wandelten hierzu ein berühmtes Gedankenexperiment von John Archibald Wheeler ab. Um auszuschließen, dass Informationen vom Messaufbau auf das Photon übertragen werden, kann man erst nach dem Durchgang des Photons durch den ersten Strahlteiler entscheiden, den zweiten Strahlteiler in den Strahlgang zu bringen. Solche Delayed-Choice-Experimente sind bislang in verschiedenen Varianten durchgeführt worden und konnten dank der raumartigen Trennung der Komponenten sicherstellen, dass in der Quantenmechanik nicht etwa verborgene Parameter unterschlagen werden.
Eine andere Möglichkeit besteht nun darin, das Experiment so zu variieren, dass der zweite Strahlteiler nicht in einem wohldefinierten klassischen Zustand ist, sondern ebenfalls ein Quantenobjekt ist, das sich in einer Superposition zweier Zustände befindet. Um diese Variante des Wheelerschen Gedankenexperiments zu realisieren, übersetzten es die Wissenschaftler in supraleitende Quantenbits, die sie mit Hilfe von Mikrowellen manipulierten.
Sie benötigten nur zwei Quantenbits, die sie über einen supraleitenden Wellenleiter-Resonator miteinander koppelten. Die Quantenbits realisierten sie mit Hilfe von Squids – supraleitende Ringe mit Josephson-Kontakten. Das Testbit diente als Testobjekt, das Kontrollbit war für das Einstellen des Resonators und das Auslesen des Systemzustands zuständig. Der Resonator hatte eine fest eingestellte Frequenz von 6,205 Gigahertz. Die Frequenz der beiden Quantenbits konnten die Forscher variieren, um unterschiedlich starke Kopplungen einzustellen. Mit diesem Aufbau ließ sich zwar keine raumartige Trennung der beiden Komponenten erreichen. Aber konzeptionell ist das Experiment trotzdem dem Wheelerschen Gedankenexperiment ähnlich. Denn das Testbit kann nicht wissen, in welchem Zustand sich das Kontrollbit befindet – schließlich ist es in einer Superposition.
Das Testbit besaß zwei Zustände, den Grund- und einen angeregten Zustand. Zu Beginn des Experiments befand es sich im Grundzustand. Durch Kopplung mit dem Resonator vollführte sein Zustand eine Rotation im Zustandsraum und geriet so eine Überlagerung zwischen beiden Zuständen. Die beiden Zustände entsprechen den beiden Wegen im Mach-Zehnder-Interferometer. Die Phasendifferenz zwischen ihnen spiegelt sich dementsprechend in der Interferenz der Endzustände wieder. Eine zweite Kopplung mit dem Resonator entsprach dem zweiten Strahlteiler im Mach-Zehnder-Interferometer. In welchem Zustand der Resonator war, konnten die Forscher über das Kontrollbit einstellen.
Der Clou bei diesem Aufbau: Da das Kontrollbit ebenfalls ein Quantenobjekt ist, ließ sich so der Zustand des Resonators als Superposition einstellen. Das ist so, als ob sich in einem Mach-Zehnder-Interferometer der zweite Strahlteiler in einer quantentypischen Überlagerung aus „da“ und „nicht da“ befände. Mit diesem Experiment lässt sich also zwischen Wellen- und Teilchenverhalten stufenlos hin- und herschalten. Die Messungen entsprachen den theoretischen Erwartungen. Durch Quantentomographie der Wignerfunktion konnten die Wissenschaftler das Quantenverhalten des Systems zweifelsfrei nachweisen.
Mit diesem Experiment ist es erstmals gelungen, in einem Delayed-Choice-Experiment einen Strahlteiler in eine Superposition zu bringen und die Stärke dieser Superposition zu kontrollieren. Damit lässt sich auch der Übergang vom Quanten- zum klassischen Verhalten des Gesamtsystems erforschen. Die Ergebnisse sind in Einklang mit der Quantenmechanik und Bohrs Prinzip der Komplementarität. In Zukunft könnten solche Schaltungen aber auch für die Quanteninformationsverarbeitung von Interesse werden – etwa um verschiedene Quantenbits miteinander zu verschränken.
Dirk Eidemüller
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RK