29.07.2022

Ein Kühlschrank für wenige Nanokelvin

Neue Methode basiert auf einem rotierenden Feld aus Mikrowellen.

Forscher am Max-Planck-Institut für Quantenoptik MPQ haben eine neuartige Mikrowellen-Kühl­technik für molekulare Gase entwickelt, die es ermöglicht, polare Moleküle bis auf wenige Nanokelvin abzukühlen. Damit stellten sie einen neuen Tieftemperatur­rekord auf und ebnen den Weg zu neuen Formen von Quanten­materie, die bislang experimentell nicht zugänglich waren.

Abb.: Blick in die Haupt­vakuumkamer des Molekül­experiments. In der Mitte...
Abb.: Blick in die Haupt­vakuumkamer des Molekül­experiments. In der Mitte werden vier Hochspannungs­kupferdrähte zu einer Ultrahoch­vakuum-Glasküvette geführt, in der die ultrakalten polaren Moleküle erzeugt wurden. (Bild: MPQ)

Wird ein stark verdünntes Gas auf extrem tiefe Temperaturen abgekühlt, zeigen sich bizarre Eigenschaften. So formen manche Gase ein Bose-Einstein-Kondensat. Ein anderes Beispiel ist die Suprasolidität: ein Zustand, bei dem sich Materie wie eine reibungslose Flüssig­keit mit periodischer Struktur verhält. Besonders mannigfache und aufschluss­reiche Formen von Quanten­materie erwarten die Physiker beim Kühlen von Gasen, die aus polaren Molekülen bestehen. Sie sind gekennzeichnet durch eine ungleichmäßige elektrische Ladungs­verteilung. Anders als freie Atome können sie rotieren, vibrieren und sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. Allerdings ist es schwierig, molekulare Gase auf ultratiefe Temperaturen zu kühlen. Die Forschenden in Garching haben nun eine einfache und effektive Möglichkeit geschaffen, um dieses Hemmnis zu beseitigen. Sie basiert auf einem rotierenden Feld aus Mikro­wellen. 

Für ihre Experimente verwendeten die Forscher ein Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen (NaK), die durch Laserlicht in einer optischen Falle einge­sperrt waren. Um das Gas zu kühlen, setzte das Team auf die Verdampfungs­kühlung. „Diese Methode funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip, wie man es von einer Tasse heißen Kaffees kennt”, sagt Xin-Yu Luo, Leiter des Labors für ultrakalte polare Moleküle: Im Kaffee stoßen ständig Wasser-Moleküle zusammen und tauschen dabei einen Teil ihrer Bewegungs­energie aus. Kollidieren zwei besonders energiereiche Moleküle, kann eines davon schnell genug werden, um dem Kaffee zu entkommen – es dampft aus der Tasse. Das andere Molekül bleibt mit weniger Energie zurück. So kühlt sich der Kaffee allmählich ab. Auf dieselbe Weise lässt sich ein Gas bis auf wenige Nanokelvin über dem absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad Celsius abkühlen.

Allerdings: „Besteht das Gas aus Molekülen, müssen diese bei sehr tiefen Temperaturen zusätzlich stabilisiert werden“, sagt Luo. Der Grund liegt in der im Vergleich zu ungebundenen Atomen deutlich komplexeren Struktur von Molekülen. Dadurch lassen sich ihre Bewegungen bei Kolli­sionen nur schwer kontrollieren. Die Moleküle können sich bei Zusammenstößen ineinander verhaken. Bei polaren Molekülen kommt hinzu: „Sie verhalten sich wie winzige Magnete und können – wie diese – zusammen­backen, wodurch sie für das Experiment verloren­gehen“, erklärt Andreas Schindewolf. Diese Schwierig­keiten haben sich in den letzten Jahren als enormes Hindernis für die Forschung erwiesen. 

Um das Hindernis zu beseitigen, setzten die Garchinger Forscher auf einen Trick: die zusätzliche Anwendung eines speziell präparierten elektro­magnetischen Feldes, das als energe­tische Abschirmung der Moleküle dient – und sie am Verfangen und Verklumpen hindert. „Diesen Energieschirm realisierten wir durch ein starkes, rotierendes Mikro­wellenfeld”, erklärt Andreas Schindewolf. „Das Feld bewirkt eine Rotation der Moleküle mit einer höheren Frequenz.“ Kommen sich zwei Moleküle zu nahe, können sie daher zwar Bewegungs­energie austauschen – doch zugleich richten sie sich so zueinander aus, dass sie sich abstoßen und rasch wieder voneinander entfernen.

Um ein Mikrowellenfeld mit den erforder­lichen Eigenschaften zu erzeugen, platzierten die Forscher eine schrauben­förmige Antenne unter der optischen Falle mit dem Gas aus Natrium-Kalium-Molekülen. „Die Rate, mit der sich die Moleküle ineinander verhakten, wurde dadurch um mehr als eine Größen­ordnung reduziert“, sagt Xin-Yu Luo. Zudem entstand unter dem Einfluss des Feldes eine starke und weitreichende elektrische Wechsel­wirkung zwischen den Molekülen. „Sie stießen infolge­dessen viel häufiger zusammen als ohne das rotierende Mikrowellenfeld – im Schnitt rund 500-mal pro Molekül“, sagt der Physiker. „Das genügte, um das Gas durch den Verdampfungs­effekt bis dicht an den absoluten Nullpunkt zu kühlen.“ 

Bereits nach einer drittel Sekunde erreichte die Temperatur rund 21 Nanokelvin – und lag damit deutlich unter der kritischen Fermi-Temperatur. Sie markiert die Grenze, ab der Quanten­effekte das Verhalten eines Gases bestimmen – und bizarre Phänomene sich bemerkbar machen. „Die von uns erreichte Temperatur ist die bislang tiefste in einem Gas aus polaren Molekülen“, freut sich Luo. Und der Forscher ist überzeugt, dass sie durch technische Verfei­nerungen des experimentellen Aufbaus sogar noch zu weit tieferen Temperaturen gelangen können.

Die Resultate könnten weitreichende Folgen für die Forschung an Quanten­effekten und Quantenmaterie haben. „Da die neue Kühltechnik so simpel ist, dass sie sich auch in die meisten experi­mentellen Aufbauten mit ultrakalten polaren Molekülen integrieren lässt, dürfte die Methode bald eine breite Anwendung finden – und zu etlichen neuen Erkenntnissen beitragen“, meint Immanuel Bloch, Direktor der MPQ-Abteilung für Quanten-Vielteilchen­systeme. „Denn die Kühlung per Mikro­wellenfeld erschließt nicht nur eine Reihe neuer Untersuchungen an eigenartigen Materie­zuständen wie Suprafluidität oder Supra­solidität“, sagt Bloch. „Sie könnte überdies in Quanten­technologien nützlich sein.“ Zum Beispiel in Quantencomputern, wo sich Daten vielleicht durch ultrakalte Moleküle speichern ließen. 

MPQ / JOL

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