Ein neuer Blick auf die Plattentektonik
Aktive Rolle von Versatzstücken der Mittelozeanischen Rücken.
Gewaltige Kräfte im Erdinneren verschieben seit Jahrmillionen die Kontinente und Ozeanbecken. Was Alfred Wegener 1915 als Vorstellung veröffentlichte, ist seit den 1960er Jahren allgemein anerkanntes Wissen über unseren Planeten. Dass die Theorie der Plattentektonik so lange benötigte, um sich durchzusetzen, hat zwei Gründe. Zum einen liegen die geologischen Formationen, die für ihr Verständnis am wichtigsten sind, in großen Tiefen am Grund der Ozeane und zum anderen wirken die Steuerungsmechanismen im Erdinneren unterhalb des Meeresbodens. Viele Details der Plattentektonik sind deshalb bis heute unklar.
Nun stellen Wissenschaftler des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Southern University of Science and Technology in Shenzhen und der Firma Geomodelling Solutions eine bisherige Grundannahme der Plattentektonik infrage. Dabei geht es um Transformstörungen. „Das sind Versatzstücke der Mittelozeanischen Rücken. Ihnen wurde bisher eine rein passive Rolle innerhalb der Plattentektonik zugewiesen. Unsere Analysen zeigen aber, dass sie durchaus aktiv an der Gestaltung der Meeresböden beteiligt sind“, sagt Ingo Grevemeyer vom Geomar. Zum Verständnis der Studie hilft ein Blick auf eine globale Übersichtskarte der Ozeanböden. Selbst bei grober Auflösung sind auf solchen Karten die mehrere Zehntausend Kilometer langen Mittelozeanischen Rücken zu erkennen. Sie markieren die Grenzen von Erdplatten. Dazwischen gelangt heißes Material aus dem Erdinneren an die Oberfläche, erkaltet dort, bildet neuen Meeresboden und drückt den älteren Meeresboden auseinander. „Das ist der Motor, der die Platten in Bewegung hält“, erklärt Grevemeyer.
Allerdings bilden die Mittelozeanischen Rücken keine ununterbrochenen Linien. Sie sind in beinahe regelmäßigen Abständen von Quertälern zerschnitten. Die einzelnen Segmente der Rücken beginnen oder enden jeweils versetzt an diesen Einschnitten. „Das sind die Transformstörungen. Weil die Erde eine Kugel ist, kommt es bei den Plattenbewegungen immer wieder zu Verwerfungen, die diese Transformstörungen hervorrufen“, erklärt Lars Rüpke. An den Transformstörungen kann es zu Erdbeben kommen und sie hinterlassen am Meeresboden lange Narben, die Bruchzonen. Bisher ging die Forschung aber davon aus, dass die zwei Platten an Transformstörungen nur aneinander vorbeigleiten, dass dabei aber weder Meeresboden gebildet noch vernichtet wird.
Die Forscher haben sich nun verfügbares Kartenmaterial von vierzig Transformstörungen in allen Ozeanbecken angesehen. „Bei allen Beispielen konnten wir erkennen, dass die Transformtäler deutlich tiefer sind als die angrenzenden Bruchzonen, die bislang als einfache Fortsetzungen der Transformtäler galten“, sagt Colin Devey. Außerdem erkannte das Team Spuren von umfangreichem Magmatismus an den äußeren Ecken der Schnittpunkte zwischen Transformtälern und den Mittelozeanischen Rücken. Mit Hilfe ausgefeilter numerischer Modelle fand das Team eine Erklärung für das Phänomen. Demnach ist die Plattengrenze entlang der Transformstörung in der Tiefe zunehmend schräg, so dass eine Scherung auftritt. Das führt zu einer Dehnung des Meeresbodens und den tiefen Transformtälern. Der Magmatismus an den äußeren Ecken zu den Mittelozeanischen Rücken füllt die Täler wieder auf, so dass die Bruchzonen deutlich flacher werden. Damit ist die ozeanische Kruste, die an den Ecken entsteht, die einzige Kruste im Ozean, die durch zweistufigen Vulkanismus gebildet wird.
Welche Auswirkungen dies auf ihre Zusammensetzung oder beispielsweise die Verteilung von Metallen in der Kruste hat, ist noch unbekannt. Da Transformstörungen ein ganz typisches und häufiges Phänomen entlang der aktiven Plattengrenzen in den Ozeanen sind, ist diese neue Erkenntnis ein wichtiger weiterer Beitrag zur Theorie der Plattentektonik und damit zum Verständnis unseres Planeten. „Eigentlich war die Beobachtung offensichtlich. Aber es gibt einfach noch zu wenig hoch aufgelöste Karten vom Meeresboden, so dass es bislang niemandem aufgefallen ist“, sagt Grevemeyer.
Geomar / JOL