04.02.2020

Ein Quantum Festkörper

Abkühlung eines schwebenden Nanoteilchens in den Grundzustand.

Ein Team von Wissenschaftern der Universität Wien, der Öster­reichischen Akademie der Wissen­schaften und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) brachte mithilfe eines Lasers ein Nano­teilchen aus Glas zum Schweben und kühlten es erstmals bis in das Quantenregime. Obwohl es in einer Umgebung bei Raum­temperatur gefangen war, wurde die Bewegung des Teilchens aus­schließlich durch die Gesetze der Quantenphysik bestimmt. 

Abb.: Erstmals kühlten Forscher ein schwebendes Nano­teilchen in den...
Abb.: Erstmals kühlten Forscher ein schwebendes Nano­teilchen in den Quanten­grundzustand dank der kohärenten Streuung auf dem Gebiet der Hohlraum-Optik. (Bild: L. Magrini & Y. Coroli, U. Wien)

Quanten­eigenschaften einzelner Atome können durch Laserlicht kontrolliert und manipuliert werden. Selbst große Wolken aus Hunderten von Millionen von Atomen können in das Quanten­regime gebracht werden. Dadurch entstehen makroskopische Quanten­zustände der Materie wie Quantengase oder Bose-Einstein-Kondensate, die heutzutage auch in neuartigen Quanten­technologien zum Einsatz kommen. Ein nächster spannender Schritt ist es nun diese Techniken zur Quanten­kontrolle auch auf Festkörper zu erweitern. Im Gegensatz zu Atomwolken hat ein Festkörper eine milliarden­fach höhere Dichte und alle Atome bewegen sich zwangsläufig gemeinsam entlang eines gemeinsamen Massenschwer­punktes. Dies sollte neue makro­skopische Quanten­zustände mit großen Massen ermöglichen.

Das Erreichen dieses neuen Parameter­regimes ist jedoch keineswegs eine einfache Weiter­entwicklung. Ein erster Schritt um die nötige Quanten­kontrolle zu erreichen besteht darin, das zu untersuchende Objekt von den Einflüssen der Umgebung zu isolieren und seiner Bewegung sämtliche thermische Energie zu entziehen. Erst nach dem Abkühlen auf Temperaturen sehr nahe dem absoluten Nullpunkt dominiert die Quanten­mechanik die Bewegung des Teilchens. Um dies zu zeigen, wählten die Forscher ein Experiment mit einer Glaskugel, die etwa tausendmal kleiner als ein typisches Sandkorn ist und einige hundert Millionen Atome enthält. Die Isolation von der Umgebung wird durch optisches Halten des Teilchens in einem stark fokus­sierten Laserstrahl im Hochvakuum erreicht, ein Trick, der erstmals vor einigen Jahrzehnten vom Nobelpreisträger Arthur Ashkin vorgestellt wurde und der auch zur Kontrolle von Atomen eingesetzt wird. „Die eigent­liche Heraus­forderung besteht für uns darin, die Teilchen­bewegung in ihren Quantengrundzustand zu kühlen. Die Laserkühlung über atomare Übergänge ist gut etabliert und bietet sich für Atome auch an, aber sie funktioniert nicht für Festkörper“, sagt Uros Delic von der Universität Wien.

Aus diesem Grund nutzt das Team eine Methode zur Kühlung mit Laserlicht, die vom öster­reichischen Physiker Helmut Ritsch an der Universität Innsbruck und – unabhängig – auch von Vladan Vuletic und dem Nobelpreisträger Steven Chu vorgeschlagen wurde. Sie hatten vor kurzem das Prinzip der Hohlraum­kühlung durch kohärente Streuung demonstriert, dabei jedoch noch weit weg vom Quantenregime operiert. „Wir haben unser Experiment aufgerüstet und sind nun in der Lage, nicht nur mehr Hinter­grundgas zu entfernen, sondern auch mehr Photonen zur Kühlung hinein­zuschicken“, sagt Delic. Auf diese Weise kann die Bewegung der Glasperle direkt in das Quantenregime gekühlt werden. „Es ist eine erstaunliche Situation: Die Oberfläche der Glaskugel ist extrem heiß, etwa 300 Grad Celsius, weil der Laser das Material erwärmt. Aber die Bewegung des Massenmittelpunkts des Teilchens ist ultrakalt, etwa 0,00001 Grad vom absoluten Nullpunkt entfernt, und wir können zeigen, dass sich das heiße Teilchen wie ein Quanten­teilchen verhält.“

Die Forscher sind vom Ausblick, den ihre Arbeit eröffnet, begeistert. Die Quanten­bewegung von Festkörpern wurde in den letzten zehn Jahren von Gruppen aus aller Welt, auch aus dem Wiener Team, untersucht. Bisher bestanden die meisten experi­mentellen Systeme aus nano- und mikro­mechanischen Resonatoren, im Wesentlichen Trommeln oder Sprungbretter, die an einer Trägerstruktur fixiert sind. „Optische Levitation erlaubt viel mehr Freiheit: Durch die Manipulation der optischen Falle – oder sogar das Ausschalten – können wir die Bewegung der Nanoteilchen auf völlig neue Weise kontrollieren“, sagt Nikolai Kiesel, Assistenz­professor an der Universität Wien. Verschiedene Vorschläge in dieser Richtung wurden unter anderem von den Physikern Oriol Romero-Isart und Peter Zoller in Innsbruck gemacht und könnten nun Realität werden. In Kombination mit dem neu erreichten Quantenregime erwarten die Forscher zum Beispiel Perspektiven für eine neue Art von hoch­sensitiven Messgeräten, das Erforschen grund­legender Prozesse von Wärmekraft­maschinen im Quantenregime sowie die Untersuchung von Quanten­phänomenen mit großen Massen eröffnet. „Vor einem Jahrzehnt haben wir dieses Experiment begonnen, motiviert durch die Aussicht auf eine neue Kategorie von Quanten­experimenten. Nun haben wir endlich das Tor dazu geöffnet.“

U. Wien / JOL

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