Eine außergewöhnliche Form des Kohlenstoffs
Untersuchung der photophysikalischen Eigenschaften von Carbin.
„Kohlenstoff nimmt eine absolute Sonderstellung im Periodensystem der Elemente ein und bildet mit seiner extrem großen Zahl an chemischen Verbindungen die Grundlage allen Lebens“, sagt Dirk Guldi von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. „Die bekanntesten Beispiele sind dreidimensionaler Graphit und Diamant. Aber auch zweidimensionales Graphen, eindimensionale Nanoröhren und nulldimensionale Nanodots eröffnen neue Möglichkeiten für elektronische Anwendungen der Zukunft.“ Von besonderer Bedeutung ist auch Carbin – eine einzige, sehr lange Kette von Kohlenstoffatomen. Welche photophysikalischen Eigenschaften Carbin besitzt haben jetzt Guldi und seine Kollegen untersucht – und ein tiefergreifendes Verständnis für diese außergewöhnliche Form des Kohlenstoffs entwickelt.
Carbin ist ein synthetisch hergestelltes Allotrop des Kohlenstoffs und gilt als Material mit äußerst interessanten elektronischen und mechanischen Eigenschaften. „Doch Kohlenstoff zeigt in dieser Form eine hohe Reaktivität“, betont Clémence Corminboeuf von der schweizerischen Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne EPFL. „So lange Ketten sind äußerst instabil und entsprechend schwierig zu charakterisieren.“ Dem internationalen Forschungsteam ist diese Charakterisierung über Umwege dennoch gelungen.
Die Wissenschaftler haben bisherige Annahmen hinsichtlich der photophysikalischen Eigenschaften von Carbin hinterfragt und neue Erkenntnisse gewonnen. Das Forschungsteam stützte sich dabei vor allem auf Oligoine. „Wir können Carbin-Ketten in definierter Länge herstellen und vor Zersetzung schützten, indem wir an den Kettenenden eine Art Stoßstange aus Atomen einbauen. Diese chemisch ausreichend stabile Verbindungsklasse wird Oligoine genannt“, erklärt Holger Frauenrath von der EPFL.
Das Team hat gezielt zwei Serien von Oligoinen hergestellt – mit unterschiedlicher Symmetrie und mit bis zu 24 alternierenden Dreifach- und Einfachbindungen. Im Anschluss daran verfolgten sie mittels Spektroskopie die Deaktivierungsprozesse der jeweiligen Moleküle von der Anregung durch Licht bis hin zur vollständigen Relaxation. „So konnten wir den gesamten Deaktivierungsweg der Oligoine aus einem angeregten Zustand zurück in den ursprünglichen Grundzustand mechanistisch erfassen – und dank der gewonnen Daten eine Vorhersage über die Eigenschaften von Carbin treffen“, bilanziert Rik Tykwinski von der University of Alberta in Kanada.
Eine wichtige Erkenntnis dabei: Die optische Bandlücke erwies sich als deutlich kleiner als bisher angenommen. Die Bandlücke beschreibt die elektrische Leitfähigkeit von Kristallen, Metallen und Halbleitern. „Das ist ein Riesenvorteil“, sagt Guldi, „Je kleiner die Bandlücke ist, desto weniger Energie muss zugeführt werden, um Strom zu leiten.“ Diese wichtige Eigenschaft besitzt zum Beispiel Silizium, das aktuell in Mikrochips ebenso steckt wie in Solarzellen. Carbin könnte – dank seiner ausgezeichneten photophysikalischen Eigenschaften – eines Tages Silizium ergänzen.
FAU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Zirzlmeier et al.: Optical gap and fundamental gap of oligoynes and carbyne, Nat. Commun. 11, 4797 (2020); DOI: 10.1038/s41467-020-18496-4 - AG Guldi, Physikalische Chemie I, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- Laboratory of Macromolecular and Organic Materials (H. Frauenrath), Institute of Materials, Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, Schweiz
- Tykwinski Group, Dptm. of Chemistry, University of Alberta, Edmonton, Kanada