12.12.2014

Eine Kugel Eis-XVI bitte!

Die 17. kristalline Form von Wasser ist die bis­lang leich­teste – neue For­schungen für Energie­erzeu­gung und -speiche­rung mög­lich.

Die Entdeckung einer neuen Art von Eis könnte zu einem verbes­serten Ver­ständ­nis geolo­gischer Prozesse auf unserem Planeten führen – und dadurch helfen, neue Lösungen bei Herstellung, Transport und Speicherung von Energie zu finden. Eis-XVI, das Eis mit der geringsten bekannten Dichte, hat eine hoch­gradig symme­trische Struktur aus Käfigen, die Gas-Moleküle und -Atome einfangen können, um Verbindungen zu formen, die als Einschluss­verbindungen – Clathrate oder Käfigverbindungen – oder Gas-Hydrate bekannt sind.

Abb.: Extrahieren von Neon-Atomen aus der sll-Clathrate-Struktur (Bild: Falenty et al. / NPG)


Solche Einschlussverbindungen sind bekannt dafür, dass sie sehr große Mengen von Methan und anderen Gasen im Permafrost sowie in den ausgedehnten mehrere hundert Meter dicken Sediment­schichten am Meeresgrund speichern. Deren potenzielle Zersetzung könnte erhebliche Auswirkungen für unseren Planeten haben. Daher ist ein verbessertes Verständnis ihrer Eigenschaften von so großer Bedeutung.

Die von Wissenschaftlern der Universität Göttingen und des Instituts Laue Langevin gefundene erste leere Käfigverbindung dieser Art besteht aus einem Rahmen von Wasser­molekülen, bei dem alle Gastmoleküle fehlen. Lange Zeit galt diese Konstellation als hypothetisch. Diese leere Einschlussverbindung spielt eine wichtige Rolle in unserem Verständnis der physikalischen Chemie von Gashydraten. Die Forschungen an diesen könnten helfen, den Transport von Gas und Öl durch Pipelines in Gegenden mit niedrigen Temperaturen zu erleichtern, sowie bisher unnutzbare Reservoirs von natürlichem Gas am Meeresboden erschließen.

Um die Probe von Eis-XVI zu erstellen, synthetisierten die Forscher eine mit Neongas-Atomen gefüllte Einschlussverbindung, die sie anschließend entfernten. Dafür pumpten sie diese bei niedrigen Temperaturen vorsichtig heraus. Mit kleinen Atomen wie die von Neongas konnten die Käfigverbindungen geleert werden, ohne dass ihre empfindliche Struktur gefährdet wurde.

Dafür wurde die Neon-Käfigverbindung bei Temperaturen von zirka 140 Kelvin im Vakuum gepumpt, während das Hochfluss-Difrakto­meter D20 des ILL die Daten der Neutronen­beugung erhob. Die so aufgenommenen Beugungs­bilder erlaubten es den Forschern, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die Käfigverbindung vollständig geleert war. Zudem lieferten sie ein vollständiges Bild der entstandenen Struktur.

Als ein stabiler kristalliner Feststoff, der vollständig aus H2O-Molekülen zusammen­gesetzt wird, bildet die leere Einschlussverbindung eine neue Phase von Eis. Eis-XVI ist das siebzehnte entdeckte Eis und von allen bekannten kristallinen Formen von Wasser diejenige mit der geringsten Dichte. Es wird auch erwartet, dass es eine stabile Niedrig­temperatur-Konfigu­ration von Wasser bei negativem Druck darstellt. Bis jetzt ist es die einzige experimentell erzeugte Form von Eis mit der Struktur einer Käfigverbindung.

Da die leere Käfigverbindung als ein Referenzrahmen für zahlreiche molekulare Simulationen von Gashydraten benutzt wird, haben sich Wissen­schaftler bis heute auf annähernde theoretische Modelle gestützt, um ihre Arbeit zu untermauern. Die Rahmen­struktur der leeren Käfig­verbindung, die am ILL erreicht wurde, macht es möglich, deren grundlegende strukturelle und thermo­dynamische Eigenschaften genauer zu bestimmen. Die Fähigkeit, solche leeren Käfigstrukturen zu schaffen und zu beobachten, hat das Potenzial, das Verständnis solcher Gashydrate erheblich zu verbessern.

Nach dem World Energy Outlook der Internationalen Energie Agentur aus dem Jahr 2007 übersteigt die Gesamtmenge von Methangas, das in Käfig­strukturen am Meeresgrund gebunden ist, bei weitem die ökonomisch ausbeutbaren Reserven „konventioneller“ Kohlenstoff­reserven wie Kohle, Erdöl oder natürliches Gas. Diese Reserven sind aktuell schwer auszubeuten, sind aber Gegenstand intensiver Erforschung.

Thomas Hansen, beteiligter Instrumenten­wissenschaftler am D20 des ILL, sagt: „Es bleibt anzumerken, dass Gashydrate auch mit Kohlendioxid gebildet werden können, das bei den Bedingungen am Meeresgrund stabil sein kann. Es besteht also die Möglichkeit, Methan zu aus dem Methanhydrat zu extrahieren, um es in nutzbringende Energie umzuwandeln, indem man es mit CO2 ersetzt. Anders gesagt: Wir könnten CO2 im Austausch für Methan in Gas-Hydraten auf den Meeres­grund bringen. Die damit verbundenen Heraus­forderungen sind natürlich gewaltig und die Machbarkeit bleibt noch fraglich. Diese Möglichkeit bleibt dennoch äußerst faszinierend und ist es wert, weiter erforscht zu werden.“

Abb.: Ausschnitt aus der Kristall­struktur von Eis XVI – Wassermoleküle (kleine rote Punkte) werden durch Wasserstoff­brückenbindungen (weiße Verbindungen) zusammen­gehalten und bilden eine dreidimensionale Käfigstruktur. Normalerweise sind die polyedrischen Käfige mit Gasmolekülen gefüllt, in Eis XVI sind sie aber leer. (Bild: W. F. Kuhs, GAU)

Seine Team-Kollegen Andrzej Falenty und Werner Kuhs von der Universität Göttingen gehören zum Projekt SUGAR. Das Ziel von SUGAR ist es, die wissen­schaftlichen, technischen und ökonomischen Möglichkeiten eines solchen Unterfangens zu untersuchen. Die Bundes­regierung finanziert das Projekt, ähnliche Aktivitäten gibt es aktuell in Japan, China, Indien und weiteren Ländern.

„Leere Einschlussverbindungen waren Jahre lang Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Spekulationen, weil deren tatsächliche Existenz ziemlich unsicher war. Mit der dieser Entdeckung kommen wir aus dem Bereich der Spekulationen. Mehr noch: Sie liefert uns einen neuen Edelstein aus der faszinierenden Schatzkiste von Eis-Phasen. Das Bestimmen der Eigen­schaften von Eis-XVI wird ein weiterer Meilenstein für jedes Modell sein, das die physikalischen Eigen­schaften von Wasser beschreiben will. Das allein ist schon ein enormer Fortschritt. Mit diesem Verständnis hoffen wir, Fortschritte bei den damit verbundenen Fragen zum Thema Energie zu machen”, ergänzt Helmut Schober, Wissenschafts­direktor des ILL.

Ein Gebiet, bei dem die Forschung mit Käfigstrukturen unmittel­bareren Nutzen haben wird, ist die Wartung von Pipelines, durch die Gas mit hohem Druck und bei niedriger Temperatur transportiert wird. Diese Bedingungen können dazu führen, dass sich Gashydrate in den Rohren bilden, die diese verstopfen können. Um diese zu verhindern, wendet die Industrie weltweit rund 500 Millionen US-Dollar im Jahr auf. Angesichts der hohen ökonomischen Bedeutung solcher Pipelines, stellt das einen hohen Kosten­faktor dar, der mit weiteren Forschungen an Käfig­verbin­dungen reduziert werden kann.

ILL / OD

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