Einstein-Experiment im Höhenflug
Beeinflusst Gravitation tatsächlich alle Arten von Uhren in gleicher Weise, wie von der ART voraussagt?
Gemäß der Gravitations-Rotverschiebung der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge gehen Uhren umso langsamer, je tiefer sie sich im Gravitationspotential einer Masse befinden – je näher sie also zum Beispiel einem Himmelskörper sind. Dieser Effekt zeigt sich an Spektrallinien, die sich zum roten Ende des Spektrums hin verschieben. Die ART sagt auch voraus, dass die Schwerkraft den Gang aller Uhren in gleicher Weise beeinflusst, unabhängig davon, wie diese Uhren physikalisch oder technisch realisiert sind. Neuere Theorien der Gravitation lassen allerdings vermuten, die Art der Uhr habe sehr wohl Einfluss auf die Stärke der Gravitations-Rotverschiebung.
Abb.: Mikro-integrierter Extended Cavity Diode Laser (ECDL) für die Spektroskopie an Rubidium-Atomen im Weltraum. Damit wurden am 23.4. 2015 Tests an Bord der Höhenforschungsrakete TEXUS/FOKUS durchgeführt. (Bild: FBH, P. Immerz)
Um dies zu testen, wurden gestern in dem vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt finanzierten Projekt FOKUS verschiedene Uhrentypen mit einer Höhenforschungsrakete in den Weltraum geschickt. Dort herrschen beste Testbedingungen, denn das Gravitationspotenzial variiert hierbei besonders stark. So lässt sich prüfen, ob sich der Gang der Uhren tatsächlich unterscheidet – und schließlich auch, ob eine der neueren Gravitationstheorien eine genauere Beschreibung als Einstein liefert.
Die ersten Experimente im Weltraum wurden nun erfolgreich durchgeführt: Ein Team von Wissenschaftlern hat einen hochstabilen Quarzoszillator, der wie eine moderne Armbanduhr im Radiofrequenzbereich „tickt“, und ein komplettes Lasersystem zum Vergleich in den Weltraum geschossen. Herzstück des Lasersystems ist ein mikrointegriertes Halbleiterlasermodul, das am Berliner Ferdinand-Braun-Institut entwickelt, gebaut und getestet wurde. An der Humboldt-Universität zu Berlin fand die Gesamtintegration des Lasersystems statt. Die Frequenz der Halbleiterlaser wird in einem von der Universität Hamburg entwickelten Modul auf einen atomaren Übergang der Rubidium-Atome stabilisiert. Diese bilden im Verbund mit den Lasern eine optische Atomuhr, die physikalisch nach einem anderen Prinzip als die Quarzuhr arbeitet und etwa zehn Millionen Mal schneller „tickt“ als diese. Für den Vergleich des Gangs der beiden Uhren wird ein von der projektleitenden Firma Menlo Systems entwickelter optischer Frequenzkamm eingesetzt.
Die Wissenschaftler demonstrierten mit den Tests erstmals, dass derartige „optische Atomuhren“ und die dafür benötigten Lasersysteme im Weltraum für Tests der Gravitations-Rotverschiebung und andere Präzisionsmessungen eingesetzt werden können. Mit der anspruchsvollen Technologiedemonstration haben sie auch die technologischen Grundlagen für Tests des Einstein‘schen Äquivalenzprinzips mit Kalium- und Rubidium-Atominterferometern im Rahmen des Projekts MAIUS gelegt. MAIUS ist Teil der DLR-geförderten QUANTUS-Mission, bei der neue quantenphysikalische Technologien entwickelt werden sollen, mit denen sich Atome kühlen, einfangen und manipulieren lassen. Auch die weitere Miniaturisierung der Lasermodule soll vorangetrieben und ein vollautomatisierter Quantensensor im All getestet werden. Langfristiges Ziel ist hier die Überprüfung des Einstein’schen Äquivalenzprinzips, nach dem alle Körper in einem Gravitationspotential „gleich schnell fallen“.
Unzählige Fallturmexperimente am Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation ZARM in Bremen bereiteten das ausgeklügelte Experiment im Weltraum vor. Das Lasermodul wurde am Ferdinand-Braun-Institut im Rahmen des Joint Lab Laser Metrology mit der Arbeitsgruppe Optische Metrologie der HU Berlin realisiert. Das Joint Lab untersucht und entwickelt seit Längerem ultrapräzise und extrem kompakte Halbleiter-Lasermodule für den Einsatz im All. Deren Kernstück ist ein Distributed-Feedback-Laser (DFB-Laser), der Licht in einem sehr engen Frequenz- beziehungsweise Wellenlängenbereich abgibt. Diese spektrale Schmalbandigkeit ist eine der zentralen Anforderungen an das Lasermodul, das für die Spektroskopie der Rubidium-Atome und damit für Präzisionsmessungen benötigt wird. Mithilfe einer weltweit einmaligen, hybriden Mikrointegrationstechnologie wird der Diodenlaserchip zusammen mit elektronischen und optischen Komponenten zu einem überaus kompakten, raketentauglichen Aufbau integriert. Schließlich müssen die nur handtellergroßen Module auch unter den extrem rauen Bedingungen im Weltraum reibungslos funktionieren. Beim Raketenstart sind sie starken mechanischen Belastungen ausgesetzt, bei denen Beschleunigungen bis zum achtfachen der Erdbeschleunigung einwirken.
Abb.: TEXUS 51 ist am 23. April 2015 um 9.35 Uhr vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in Nordschweden gestartet. Die Forschungsrakete erreichte eine Höhe von rund 259 Kilometern. (Bild: EADS Astrium)
„Unsere Integrationstechnologie ermöglicht aber auch Belastungen bis zum Dreißigfachen der Erdbeschleunigung“, sieht sich Andreas Wicht, der die Arbeitsgruppe Lasermetrologie am FBH leitet, für künftige Anforderungen gut gerüstet. „Wir arbeiten zudem an spektral noch schmalbandigeren Lasern mit hybrid-integriertem optischen Verstärker, die sich für noch komplexere Experimente exzellent eignen.“ Damit baut das FBH zugleich sein Know-how im Bereich der optischen und spektroskopischen Präzisionsmessungen aus, die zu den präzisesten und genauesten Messverfahren unserer Zeit gehören und weitere Anwendungen eröffnet.
Weitere Nutzlasten des TEXUS-51-Flugs waren das Experiment ParSiWal zur Bestimmung der Qualität und Wirkungsgrad von Silizium-Solarzellen, SITI-2 – Signaltransduktion in Zellen des Immunsystems in Schwerelosigkeit der Uni Magdeburg, sowie Transition from columnar to equiaxed solidification in a transparent model alloy TRACE-3 vom Forschungszentrum ACCESS in Aachen.
FVB / OD