18.02.2025

Einstein-Problem führt zu neuen Materialien

Molekülmuster in aperiodischen Oberflächen mit neuartigen physikalische Eigenschaften.

Kann man eine Fläche mit einer einzigen Form – einer Kachel – so parkettieren, dass sich das Muster niemals wiederholt? 2022 wurde erstmals eine mathematische Lösung für dieses Einstein-Problem gefunden. Empa-Forschende haben nun auch eine chemische Lösung entdeckt: Ein Molekül, das sich auf einer Fläche von selbst zu komplexen, sich nicht wiederholenden Mustern anordnet. Die so entstehende aperiodische Oberfläche könnte gar neuartige physikalische Eigenschaften aufweisen.

Abb.: Dreiecke und Defekte: Durch die Chiralität der Moleküle passen die...
Abb.: Dreiecke und Defekte: Durch die Chiralität der Moleküle passen die einzelnen Dreieckskacheln nie ganz genau aneinander. Es entstehen Defekte und Versätze, die der Fläche ihre Aperiodizität verleihen.
Quelle: Empa

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Karl-Heinz Ernst forscht er an der Kristallisation von Molekülen an Metalloberflächen. Dass ihn das Einstein-Problem eines Tages beruflich beschäftigen würde, hätte er nicht erwartet – bis sein Doktorand Jan Voigt mit ungewöhnlichen Ergebnissen eines Experiments auf ihn zukam. Bei der Kristallisation eines bestimmten Moleküls auf einer Silberoberfläche bildeten sich anstelle der erwarteten regelmäßigen Struktur unregelmäßige Muster, die sich nie zu wiederholen schienen. Noch verwunderlicher: Bei jeder erneuten Durchführung des Experiments fielen die Muster anders aus. Erst vermuteten Ernst und Voigt einen experimentellen Fehler. Doch der merkwürdige Befund war echt. Nun galt es herauszufinden, warum sich die Moleküle so einzigartig verhielten.

Ernst und Voigt interessieren sich für die Chiralität, die viele organische Moleküle auszeichnet. Chirale Strukturen sind zwar chemisch identisch aufgebaut, lassen sich aber nicht durch Rotation ineinander überführen. Essenziell ist diese Eigenschaft insbesondere in der Pharmazie. Über die Hälfte aller modernen Medikamente sind chiral. Die Kontrolle der Händigkeit bei der Synthese organischer Moleküle ist daher von enormem Interesse für die Chemie. Eine der Möglichkeiten ist die Kristallisation von chiralen Molekülen. Doch sie ist noch nicht vollständig verstanden. Dieses Verständnis wollten die Forscher mit ihrem Experiment ursprünglich fördern. Dafür nahmen sie ein ganz besonderes Molekül, eines, das seine Händigkeit bei Raumtemperatur leicht wechselt – etwas, was die meisten chiralen Moleküle praktisch nie tun.

„Wir haben erwartet, dass sich die Moleküle nach ihrer Händigkeit im Kristall anordnen“, erklärt Karl-Heinz Ernst, „also entweder abwechselnd oder in Gruppen mit derselben Händigkeit.“ Stattdessen fügten sich die Moleküle scheinbar willkürlich zu unterschiedlich großen Dreiecken zusammen, die auf der Oberfläche ihrerseits unregelmässige Spiralen bildeten – die nicht-wiederholende oder aperiodische Struktur, die die Forschenden zunächst für einen Fehler hielten. Voigt und Ernst gelang es, die molekularen Muster zu entschlüsseln – nicht nur durch Physik und Mathematik, sondern auch durch das Ausprobieren mit Puzzleteilen am Computer oder gar zuhause am Küchentisch. Komplett willkürlich ist die Anordnung der Moleküle nämlich nicht. Sie bilden Dreiecke, die zwischen zwei und 15 Moleküle pro Seite messen. Bei jeder Versuchsdurchführung dominierte jeweils eine Dreiecksgröße. Außerdem waren Dreiecke eine Größe größer und eine Größe kleiner vertreten, aber keine weiteren.

„Unter unseren experimentellen Bedingungen wollen die Moleküle die Silberoberfläche so dicht wie möglich bedecken, weil das energetisch am günstigsten ist“, erklärt Ernst. „Aufgrund der Chiralität passen die Dreiecke, die sie bilden, an den Rändern aber nicht exakt zusammen und müssen sich leicht versetzt anordnen.“ Damit die Fläche trotzdem so effizient wie möglich ausgefüllt wird, braucht es die kleineren und größeren Dreiecke. Bei dieser Anordnung entstehen außerdem an manchen Stellen Defekte. „Defekte sind eigentlich energetisch ungünstig“, so Ernst weiter. „Sie ermöglichen in diesem Fall aber eine dichtere Anordnung der Dreiecke, was die verlorene Energie wieder kompensiert.“ Dieses Gleichgewicht erklärt auch, warum die Forschenden nie zweimal dasselbe Muster vorgefunden haben: Wenn alle Muster von ihrem Energiezustand her gleich sind, entscheidet die Entropie.

Das molekulare Einstein-Problem ist gelöst – aber was bringt uns diese Erkenntnis? „Oberflächen mit Defekten auf atomarer oder molekularer Ebene können besondere Eigenschaften aufweisen“, erklärt Ernst. „Gerade für eine aperiodische Oberfläche wie unsere wurde vorhergesagt, dass sich die Elektronen darin anders verhalten und daraus eine neue Art von Physik entstehen könnte.“ Um dies zu untersuchen, müsste man allerdings das aperiodische Molekül unter dem Einfluss von Magnetfeldern auf einer anderen Oberfläche untersuchen. Das überlässt Karl-Heinz Ernst, der inzwischen im Ruhestand ist, nun anderen. „Ich habe ein bisschen zu viel Respekt vor der Physik“, schmunzelt der Chemiker.

Empa / JOL

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