20.11.2015

Einstein wusste, wovon er sprach

Einstein war ein beständiger Kritiker der Quantenphysik. Doch gerade wegen seiner scharfsinnigen Argumente förderte er den Erfolg dieser neuartigen Beschreibung der Natur. 

Einstein kritisierte zeitlebens die Quantenphysik. Heute wissen wir, dass er nicht recht hatte. War er nur unflexibel? Schließlich ist seine große Leistung die Relativitätstheorie. Oder? Ich meine, man tut Einstein hier unrecht.

Immerhin hat Einstein 1922 seinen Nobelpreis – rückwirkend für 1921 – für die Quantenphysik bekommen. Er wusste also, wovon er sprach. Einstein erhielt ihn für die Lichtquantenhypothese, die er 1905 veröffentlichte. In diesem Annus Mirabilis gibt es mindestens drei weitere Arbeiten, die nach meiner Meinung nobelpreiswürdig sind: die Spezielle Relativitätstheorie, die Arbeit, in der er die berühmteste Gleichung der Physik, E=mc2, vorstellte, seine Erklärung der Braunschen Molekularbewegung – und schließlich die Quantenhypothese.

Einstein war dabei der Konflikt der Teilchenhypothese mit den Wellenphänomenen von vornherein klar. Ein Teilchen kann ja nur durch einen der Spalte eines Doppelspaltexperiments durchgehen. Wie kommen dann die Interferenzstreifen für schwache Intensitäten zustande? Gerhard Rempe zeigt in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit sehr schön die moderne Sicht: Es ist die Information, die kritisch ist. Nur wenn keine Information darüber vorliegt, durch welchen der beiden Spalte das Teilchen tritt, gibt es Interferenz.

Berühmt ist Einsteins Aussage „Gott würfelt nicht“. Damit meinte er, dass jedes einzelne Ereignis im Prinzip eine Ursache haben muss. Die Quantenphysik sagt dazu nein. Einsteins Kritik kam offenbar aus seinem tiefen Wunsch, dass die Physik in allen Fällen eine Wirklichkeit beschreiben sollte, die unabhängig von der Beobachtung existiert. Diese Ansicht kommt in der Quantenphysik an ihre Grenzen.

Besonders ausgeprägt ist das im Fall der Verschränkung. Zwei durch den gemeinsamen Quantenzustand beschriebene Teilchen können so verbunden sein, dass die Messung an einem den Zustand des anderen ändert, unabhängig von Raum und Zeit. Einstein mochte dies nicht, seine Klassifikation als „spukhaft“ ist wohlbekannt. Heute sind alternative Erklärungen, die ohne „Spuk“ auskommen und annehmen, dass für jede Messung Eigenschaften existieren, die im Vorhinein irgendwo definiert sind, vielfach widerlegt. Die derzeit laufenden Arbeiten zu einem endgültigen Experiment, das alle denkbaren Schlupflöcher hierfür schließt, werden von Johannes Kofler in Physik in unserer Zeit wunderschön diskutiert.

Fundamentale Experimente haben in der Geschichte der Physik wiederholt nicht nur unsere Neugierde zufriedengestellt, sondern Tore für neue Anwendungen geöffnet. Wir befinden uns mitten in der Entwicklung der Quanteninformation, die gekennzeichnet ist durch Begriffe wie Quantenteleportation, Quantenkryptographie und Quantencomputer. Wenn schon die spukhafte Fernwirkung auf eine Spannung in unseren Auffassungen von Raum, Zeit und Quantenphysik hinweist, wird das Problem vollends klar, wenn wir uns vor Augen führen, dass das Zusammenführen von Gravitation und Quantenphysik bis heute nicht gelungen ist.

Claus Kiefer diskutiert in Physik in unserer Zeit die Grundannahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie und die Schwierigkeiten, die sich der Quantisierung in den Weg stellen. Seit nun bald hundert Jahren ringen einige der intelligentesten Vertreter unserer Spezies mit der Vereinigung von Gravitation und Quantenphysik, ohne dass wir zu einer generell akzeptierten Ansicht gekommen sind, die auch experimentelle Konsequenzen zeigt. Vielleicht haben wir einfach noch nicht die richtigen Fragen gestellt. Vielleicht ist unser Denken nach wie vor zu sehr von vorquantenphysikalischen Konzepten geprägt.

So war es offenbar auch bei Einsteins Umgang mit fundamentalen Begriffen. Dass er mit seiner Kritik der Quantenphysik unrecht hatte, sollte man ihm nicht zu stark ankreiden. Immerhin hat er wichtige Eigenschaften der modernen Theorie erkannt: den Zufall und die Verschränkung. Beide haben zu Anwendungen geführt, an die damals niemand dachte. Einstein würde sich sicher darüber sehr freuen, ebenso darüber, dass sowohl die Spezielle wie auch die Allgemeine Relativitätstheorie aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Ohne sie würden unsere Satellitennavigationssysteme unbrauchbar falsche Ergebnisse liefern. Wie so oft kommen die wichtigen Anwendungen aus unerwarteter Ecke. So wird es auch mit der Quanteninformation sein.

Anton Zeilinger, Universität Wien

Mit diesem Editorial kommentiert Anton Zeilinger von der Universität Wien drei Artikel, die in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen sind. Hierin befassen sich die Autoren mit grundlegenden Fragen der Quantenphysik und Allgemeinen Relativitätstheorie.

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