14.12.2016

Eis schmilzt schichtweise

Oberflächen-spezifische Spektroskopie zeigt Ent­stehung der Schmelz­schicht.

Schon vor über 150 Jahren fand Michael Faraday heraus, dass auch unter­halb des Gefrier­punkts auf Eis noch eine dünne Wasser­schicht exis­tiert. Diese Schicht ist unter anderem essen­tiell für das Gleit­ver­halten beim Ski­fahren und die Bewe­gung der Gletscher. Die Exis­tenz der wasser­ähn­lichen Schicht wird seit langem von Wissen­schaft­lern unter­sucht und kontro­vers disku­tiert: Bei welcher Tempe­ratur wird die äußere Schicht flüssig? Wie hängt die Dicke der Flüs­sig­keits­schicht von der Tempe­ratur ab? Und wie ändert sich die Dicke? Konti­nuier­lich? In Stufen? Bis­herige Versuche zeigten meist ein konti­nuier­liches An­wachsen der Schicht­dicke. Nahe dem Schmelz­punkt wurden Flüssig­keits­schichten mit bis zu 45 Nano­metern Dicke beob­achtet. Das ist mit bloßem Auge nicht wahr­nehm­bar.

Abb.: Eis schmilzt schichtweise. (Bild: MPIP)

Forscher des MPI für Polymerforschung ist es jetzt in Zusammen­arbeit mit Kollegen aus den USA, den Nieder­landen und Japan gelungen, die Eigen­schaften dieser quasi-flüs­sigen Schicht auf mole­ku­larer Ebene mittels fortge­schrit­tener ober­flächen-spezi­fischer Spektro­skopie zu unter­suchen und per Computer­simu­lation zu erklären. Das Team um Ellen Backus ging den Fragen nach, wie sich die dünne Schmelz­schicht auf Eis bildet, wie sie an­wächst und ob sie sich von normalem Wasser unter­scheidet.

Um den Prozess zu verstehen, steckten die Forscher viel Energie und Ehr­geiz in das Her­stellen iden­tischer, etwa zehn Zenti­meter großer, per­fekter, defekt­freier Eis­kristalle. Die orien­tierten Kristalle wurden so ge­schnitten, dass die Forscher genau wussten, wie die Wasser­mole­küle an der Ober­fläche ange­ordnet sind. Wasser­mole­küle in der Flüssig­keit haben eine schwä­chere Wechsel­wirkung mit ein­ander als im Eis­kristall. Mittels eines spezi­ellen Spektro­skopie­ver­fahrens und dem geziel­tem Auf­tauen des Eis­würfels konnte die Verän­derung der Wechsel­wirkung direkt an der Grenz­fläche zwischen Eis und Luft unter­sucht werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die erste molekulare Eis­schicht schon bei -38 Grad Celsius ge­schmol­zen ist, der Start­tempe­ratur der Unter­suchungen. Wird die Tempe­ratur auf -16 Grad Celsius erhöht, geht auch die zweite mole­kulare Schicht in eine Flüssig­keit über. Das Auf­schmel­zen erfolgt demzu­folge nicht konti­nuier­lich, sondern in einzel­nen Lagen. Computer­simu­la­tionen bestä­tigen diese Erklä­rung der Experi­mente.

„Eine weitere wichtige Frage war für uns, ob sich die ent­stan­dene Flüssig­keit bei diesen tiefen Tempe­ra­turen von nor­malem Wasser unter­scheidet“ sagt Mischa Bonn vom MPI für Polymer­forschung. In der Tat ent­spricht die flüssig­keits­ähn­liche Schicht bei -4 Grad Celsius nicht der von unter­kühltem Wasser, sondern eher der von Eis. Das zeigt sich darin, dass sie stär­kere Wasser­stoff­bin­dungen auf­weist als nor­males Wasser. Diese Resul­tate sind nicht nur bedeu­tend für das Ver­ständ­nis des Schmelz­ver­haltens von Eis, sondern helfen auch Klima­forschern bei der Er­klä­rung kata­ly­tischer Reak­tionen auf Eis­kris­tallen und Wasser­tröpf­chen in der Atmo­sphäre.

MPIP / RK

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