Eis schmilzt schichtweise
Oberflächen-spezifische Spektroskopie zeigt Entstehung der Schmelzschicht.
Schon vor über 150 Jahren fand Michael Faraday heraus, dass auch unterhalb des Gefrierpunkts auf Eis noch eine dünne Wasserschicht existiert. Diese Schicht ist unter anderem essentiell für das Gleitverhalten beim Skifahren und die Bewegung der Gletscher. Die Existenz der wasserähnlichen Schicht wird seit langem von Wissenschaftlern untersucht und kontrovers diskutiert: Bei welcher Temperatur wird die äußere Schicht flüssig? Wie hängt die Dicke der Flüssigkeitsschicht von der Temperatur ab? Und wie ändert sich die Dicke? Kontinuierlich? In Stufen? Bisherige Versuche zeigten meist ein kontinuierliches Anwachsen der Schichtdicke. Nahe dem Schmelzpunkt wurden Flüssigkeitsschichten mit bis zu 45 Nanometern Dicke beobachtet. Das ist mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar.
Abb.: Eis schmilzt schichtweise. (Bild: MPIP)
Forscher des MPI für Polymerforschung ist es jetzt in Zusammenarbeit mit Kollegen aus den USA, den Niederlanden und Japan gelungen, die Eigenschaften dieser quasi-
Um den Prozess zu verstehen, steckten die Forscher viel Energie und Ehrgeiz in das Herstellen identischer, etwa zehn Zentimeter großer, perfekter, defektfreier Eiskristalle. Die orientierten Kristalle wurden so geschnitten, dass die Forscher genau wussten, wie die Wassermoleküle an der Oberfläche angeordnet sind. Wassermoleküle in der Flüssigkeit haben eine schwächere Wechselwirkung mit einander als im Eiskristall. Mittels eines speziellen Spektroskopieverfahrens und dem gezieltem Auftauen des Eiswürfels konnte die Veränderung der Wechselwirkung direkt an der Grenzfläche zwischen Eis und Luft untersucht werden.
Die Ergebnisse zeigen, dass die erste molekulare Eisschicht schon bei -38 Grad Celsius geschmolzen ist, der Starttemperatur der Untersuchungen. Wird die Temperatur auf -16 Grad Celsius erhöht, geht auch die zweite molekulare Schicht in eine Flüssigkeit über. Das Aufschmelzen erfolgt demzufolge nicht kontinuierlich, sondern in einzelnen Lagen. Computersimulationen bestätigen diese Erklärung der Experimente.
„Eine weitere wichtige Frage war für uns, ob sich die entstandene Flüssigkeit bei diesen tiefen Temperaturen von normalem Wasser unterscheidet“ sagt Mischa Bonn vom MPI für Polymerforschung. In der Tat entspricht die flüssigkeitsähnliche Schicht bei -4 Grad Celsius nicht der von unterkühltem Wasser, sondern eher der von Eis. Das zeigt sich darin, dass sie stärkere Wasserstoffbindungen aufweist als normales Wasser. Diese Resultate sind nicht nur bedeutend für das Verständnis des Schmelzverhaltens von Eis, sondern helfen auch Klimaforschern bei der Erklärung katalytischer Reaktionen auf Eiskristallen und Wassertröpfchen in der Atmosphäre.
MPIP / RK