08.07.2021

Eisiger Ursprung organischer Moleküle im All

Phasenübergang zu polykristallinen Kohlenmonoxid-Eis untersucht.

Astro­physiker um Jiao He vom Max-Planck-Institut für Astronomie haben einen Mechanismus gefunden, der die Entstehung komplexer organischer Moleküle im All erklären könnte ­– eine noch offene Schlüssel­frage. Sie fanden in Labor­experimenten ungewöhnliche Eis-Eigenschaften, die auch jene eisbedeckten Staubkörner aufweisen sollten, die chemische Reaktionen im Weltraum ermöglichen. Der Übergang zu poly­kristallinen Kohlen­monoxid-Eis hilft eingebetteten Molekülen und Radikalen, innerhalb des Eises zueinander finden und ebnet so den Weg für komplexere chemische Reaktionen. 

Abb.: In den frühen Stadien der Stern­entstehung dürfte das Eis auf...
Abb.: In den frühen Stadien der Stern­entstehung dürfte das Eis auf kosmischen Staub­körnern einen Phasen­übergang durch­laufen. (Bild: NASA / JPL-Caltech / MPIA)

Die Weiten zwischen den Sternen sind fast, aber eben nicht ganz leer – und in den dünnen Gas- und Staubwolken, die sich dort draußen finden, haben Astronomen in den letzten Jahrzehnten immer mehr komplexe Moleküle entdeckt. Interessanter Weise ist eine ganze Reihe der rund 200 bekannten inter­stellaren Molekülarten im interstellaren Raum organisch. Hier auf der Erde sind solche Moleküle die Grundlage des Lebens, wie wir es kennen. Das hat zu der Frage geführt, ob inter­stellare organische Moleküle in irgendeiner Weise mit der Entstehung des Lebens auf der Erde und möglicher­weise auch des Lebens auf anderen Planeten in Verbindung stehen könnten. Ein mögliches Szenario sieht vor, dass Meteoriten organische inter­stellare Moleküle in kleine Teiche hier auf der Erde transportieren und so die Voraus­setzungen für die Entstehung von Leben schaffen.

Doch wie können sich im inter­stellaren Raum überhaupt komplexe organische Moleküle bilden? Die dortigen interstellaren Molekülwolken haben enorm niedrige Dichten. Selbst die dichtesten solcher Wolken mit etwa hunderttausend Gasteilchen pro Kubik­zentimeter entsprechen einem Ultra­hochvakuum. Gewöhnliche chemische Reaktionen, bei denen Moleküle oder Atome aufeinander treffen und sich dann miteinander verbinden, laufen unter solchen Bedingungen viel zu selten ab, um etwas anderes als sehr einfache Moleküle zu erzeugen. In den 1960er Jahren begannen Astronomen die Idee zu entwickeln, dass inter­stellare Staubkörner als „kosmische Laboratorien“ dienen könnten, in denen komplexere chemische Reaktionen ablaufen könnten. Solche Staubkörner, die entweder auf Kohlenstoff oder Silikaten basieren, bilden sich typischerweise in den äußeren Schichten von kühlen Sternen oder infolge von Supernova-Explosionen. In einer interstellaren Molekül­wolke würden solche Staubkörner eine äußere Schicht aus Wassereis ansammeln, und solche eisigen Schichten wiederum würden dann als winzige kosmische Chemie­labore dienen.

Das Eis, das ein kosmisches Staub­teilchen umhüllt, hat eine zwiebel­artige Struktur mit Dutzenden von aufeinander­folgenden Schichten. Die inneren Schichten bestehen vor allem aus Wassereis, enthalten aber auch Moleküle wie Kohle­ndioxid, Ammoniak, Methan und andere. Chemisch gesehen sind die äußeren Schichten viel interessanter. Hier ist der Haupt­bestandteil Kohlenmonoxid-Eis, gemischt mit anderen Komponenten wie den organischen Verbindungen Methanol oder Formaldehyd. Es kann auch Wasserstoff- und Sauerstoff­atome enthalten, sowie Radikale, die sich besonders eifrig an chemischen Reaktionen beteiligen: Hydroxy-Gruppen, Formyl-Radikale, Methoxy-Gruppen, Hydroxy­methyl-Gruppen und andere. Frühere Labor­experimente zeigten, dass Reaktionen zwischen diesen reaktiven Spezies in den CO-reichen Eisschichten zur Bildung zahlreicher interessanter komplexer organischer Moleküle führen.

Eine wichtige Aufgabe der Labor-Astrochemie ist die Bestimmung der Diffusions­raten verschiedener Atome, Moleküle und Radikale auf und innerhalb des Eismantels eines Staubkorns. Die Ergebnisse für festes Eis sind entmutigend: Mit Ausnahme kleiner Wasserstoff­atome und -moleküle ist die Diffusion in Eis bei zehn Kelvin außer­ordentlich langsam. Das ist ein großes Problem für die Bildung von komplexeren Molekülen. Wenn die Ausgangs­stoffe nicht gerade zufällig nebeneinander­sitzen, finden die notwendigen chemischen Reaktionen unter solchen Bedingungen einfach nicht statt. Das war die Situation, als Francis Toriello, damals Doktorand an der Syracuse University, und seine Betreuer Jiao He und Gianfranco Vidali von der Syracuse University sich daran machten, die Bildung von CO-Eisschichten auf Staub­körnern genauer zu untersuchen. 

Nach einem von He entwickelten Plan erzeugte Toriello eine Ultrahoch­vakuum-Umgebung, in die er eine kleine goldbeschichtete Kupfer­scheibe mit einem Durchmesser von 13 Millimetern einbrachte. Die Scheibe soll die Oberfläche eines kosmischen Staubkorns darstellen. Sie ist an einer externen Kühl­vorrichtung befestigt und kann kontrolliert auf Temperaturen bis hinunter zu fünf Kelvin abgekühlt werden. Indem die Forscher Wasserdampf oder CO-Gas in die Kammer leiten, können sie systematisch Schichten aus Wassereis oder CO-Eis auf der Scheibe wachsen lassen. Die Eisschichten werden dann mit einem Infrarot­spektrometer beobachtet: Eine Lampe strahlt Infrarotlicht auf das Eis, und das reflektierte Licht wird analysiert. Die Art und Weise, wie das Material Licht bei bestimmten Wellen­längen absorbiert, gibt Aufschluss über die Eigenschaften des Eises.

In einer Reihe von Experimenten präparierten die Forscher einen mehr­schichtigen Wassereis-Kern und legten dann bei einer Temperatur von sechs Kelvin unterschiedlich dicke Kohlen­monoxid-Eisschichten darauf. Anschließend erwärmten sie die Probe auf zwanzig Kelvin und beobachteten die ganze Zeit die Infrarot­spektren. Bei etwa zehn Kelvin passierte etwas Interessantes: Das Infrarot­spektrum verschob sich in einer Weise, die die Forscher als Phasen­übergang interpretieren. Unterhalb dieser Temperatur befand sich das Kohlenmonoxid-Eis in einer amorphen Phase, in der die CO-Moleküle in alle Richtungen aneinander­klebten. Oberhalb dieser Temperatur ändert sich die Phase, wahrscheinlich in eine poly­kristalline Phase.

Um herauszufinden, was dies für die Rolle des CO-Eises als kosmisches Labor bedeutet, bauten die Forscher eine zweite Version des Experiments auf, bei der etwas Kohlendioxid beigemischt wurde, als die ersten CO-Eisschichten entstanden. Das CO2 sollte ganz allgemein für jede Art von zusätz­licher chemischer Substanz stehen, die an der Eisschicht des kosmischen Staubs anhaften könnte. Unterhalb von zehn Kelvin war alles wie erwartet: Die CO2-Moleküle saßen einzeln im Eis fest und waren nicht in der Lage, sich zusammen­zufinden, und damit potenziell an chemischen Reaktionen teilzunehmen. Doch in der Zeit, in der der Phasen­übergang stattfand, änderte sich die Situation drastisch. Anschließend zeigte der Infrarot­spektrograph ein starkes Signal von Clustern aus CO2-Molekülen. Während der Übergangs­phase zur poly­kristallinen Form des CO-Eises konnten sich die CO2-Moleküle und vermutlich auch andere Radikale und Moleküle offenbar im Eis bewegen und auf diese Weise geeignete Ausgangs­bedingungen für chemische Reaktionen schaffen. 

Ausgehend von ihren experi­mentellen Ergebnissen stellten die Forscher allgemeinere Berechnungen dazu an, was der Phasenübergang für eisbedeckte Staubkörner in riesigen interstellaren Wolken bedeuten sollte. Sie kamen zu dem Schluss, dass der Phasen­übergang in den poly­kristallinen Zustand in solchen Wolken die Regel sein sollte: In den allerersten Stadien der Stern­entstehung, wenn Teile der Wolke zu kollabieren beginnen und sich infolgedessen aufheizen. Dabei sollte das CO-Eis auf den Staubkörnern in der Umgebung polykristallin werden. Während dieses Phasen­übergangs könnten die Radikale und Moleküle freier wandern als sonst, und größere Molekül­ansammlungen bilden.

Extrapoliert man von CO2 auf komplexere Moleküle oder auf Radikale, könnte das die Effizienz der auf Staubkörnern basierenden kosmischen Chemie­labore erklären: Mit der Zeit würden kosmische Staubkörner Eis sowie Radikale oder Moleküle aufsammeln. Sobald die Sternentstehung einsetzt, würde der Phasen­übergang dafür sorgen, dass zahlreiche dieser Radikale und Moleküle sich zusammenfinden könntn. Damit wären die Bedingungen gegeben, unter denen chemische Reaktionen stattfinden und komplexere Moleküle entstehen können. Angesichts der bisher durchg­eführten Experimente ist dies ein reizvolles Szenario. Möglicher­weise ist diese Art des Betriebs­ablaufs kosmischer Chemielabore von erheblicher Bedeutung für die Entstehung komplexer organischer Moleküle und schließlich des Lebens. 

Als nächstes plant Jiao He zusammen mit seinen Kollegen eine Version des Experiments, bei der Radikale und andere Moleküle als CO2 dem Phasenübergang unterworfen werden. Sollte dies zum gleichen Clustering-Effekt führen, wäre das ein weiterer Schritt, um die Rolle des Übergangs zu polykristallinem CO-Eis in interstellarer Wolken zu etablieren.

MPIA / JOL

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