30.11.2017

Eiskalte Neutronen in allen Variationen

Mainzer TRIGA-Reaktor steigert Ausbeute an ultrakalten Neutronen nach Update deutlich.

Vor rund zehn Jahren hat die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein neues Forschungs­feld betreten: die Erzeugung von ultrakalten Neutronen für die physikalische Grundlagen­forschung. Nach dem jüngsten Upgrade der Anlage können die beteiligten Wissenschaftler, Physiker und Chemiker, nun einen bedeutenden Durchbruch vermelden. Durch ihre Maßnahmen steigerten sie die Ausbeute an ultrakalten Neutronen (UCN) im Vergleich zu einer früheren Messung um das Dreieinhalb­fache. Sie haben damit auch die Voraussetzungen geschaffen, um Ende 2017 empfindlichere Messungen zur Ermittlung der Lebens­dauer des freien Neutrons zu starten.

Abb.: Blick in die Reaktorhalle mit Strahlrohr C vorne links und Strahlrohr D hinten links (Bild: T. Hartmann)

Neutronen liegen normalerweise nicht in freier Form vor, sondern sind als neutrale Teilchen im Atomkern gebunden. Freie Neutronen sind instabil und zerfallen mit einer Lebensdauer von etwa 15 Minuten. Am Forschungsreaktor TRIGA Mainz können freie Neutronen erzeugt und durch Wechsel­wirkung mit festem Deuterium bei etwa minus 270 Grad Celsius so verlangsamt werden, dass sie nur noch eine Geschwindigkeit von zirka fünf Metern pro Sekunde aufweisen. In diesem abgebremsten Zustand lassen sich freie Neutronen speichern und stehen für Experimente zur Verfügung.

Grundlagenforscher interessieren sich besonders dafür, durch Hoch­präzisions­messungen die Eigenschaften des freien Neutrons genau zu bestimmen, vor allem die Lebensdauer und das elektrische Dipol­moment. Neuerdings kommen Untersuchungen zur elektrischen Ladung des Neutrons und Messungen zum Neutron­zerfall hinzu. „Für all diese Experimente und Messungen ist die vorhandene Dichte an ultrakalten Neutronen der limitierende Faktor“, erklärt Werner Heil, einer der verantwortlichen Wissenschaftler der UCN-Einrichtung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Neue Quellen zur Produktion von UCN werden derzeit weltweit entwickelt. Am TRIGA Mainz besteht die Möglichkeit, Neutronen im Pulsbetrieb zu erzeugen, das heißt der Reaktor kann alle fünf Minuten gepulst werden und liefert dabei einen hohen Neutronenfluss. Diese Neutronen werden nach dem Abbremsen an einem Block aus festem Deuterium durch einen Neutronen­leiter, ähnlich einem Lichtleiter in der Optik, zum Experiment außerhalb des Reaktors geleitet.

Die Anlage wurde nun durch das jüngste Upgrade noch verbessert. Die Installation eines Helium­verflüssigers direkt vor Ort ermöglicht eine bessere Kühlung des Deuterium­kristalls und schafft die Voraussetzung, um Langzeit­experimente durchführen zu können. Der Transport der Neutronen vom Reaktor zum Experimentierplatz erfolgt durch elektropolierte Edelstahlrohre mit extrem glatter Oberfläche, um Neutronen­verluste zu vermeiden. Diesem Zweck dient auch eine neue Beschichtung der Rohrinnen­wände mit einer Nickel-58-Molybdän­legierung.

Mit diesem Maßnahmenbündel ist es gelungen, 8,5 ultrakalte Neutronen pro Kubik­zentimeter zu speichern. „Gegenüber der letzten Messung vor einem halben Jahr haben wir die Ausbeute um das Dreieinhalb­fache gesteigert“, erklärt Norbert Trautmann vom Institut für Kernchemie. Als Speicher­gefäß diente jeweils ein standardisierter Zylinder aus Edelstahl, den das Paul-Scherrer-Institut (PSI) in der Schweiz speziell für normierte Messungen bereitstellt. Das Gefäß hat ein Volumen von 32 Litern, entspricht damit in etwa den typischen Speicher­gefäßen für Experimente und kommt weltweit zum Einsatz. Es gilt derzeit als die verlässlichste Methode für derartige Messungen. 8,5 UCN pro Kubikmeter bringt Mainz in die Spitzenliga. „Wir sind jetzt mit den besten Instituten voll konkurrenzfähig“, sagt Heil.

„Die höhere UCN-Dichte ist besonders für die Lebensdauer­experimente wichtig, die Ende des Jahres starten sollen“, erläutert Tobias Reich, Leiter des Instituts für Kernchemie, das den TRIGA-Reaktor beherbergt. Diese Experimente erfolgen im Rahmen des Exzellenzclusters „Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of Matter" (PRISMA), der den Ausbau von Infrastruktur und Personal an der Mainzer UCN-Quelle unterstützt hat. Die Wissenschaftler versprechen sich von der verbesserten Leistung in Zukunft eine neue Qualität der Experimente in wesentlich kürzerer Zeit. Die genaue Bestimmung der Lebensdauer des freien Neutrons ist von größtem Interesse, weil die beiden üblicherweise benutzten Methoden – die Speicherung von ultrakalten Neutronen in materiellen Gefäßen und die Neutron-Strahlmethode mit dem Nachweis der Zerfallsprodukte (Protonen) im Flug – unterschiedliche Ergebnisse liefern, was entweder an unerkannten systematischen Fehlern liegt oder auf eine „neue Physik“ hinweist.

Die UCN-Messungen erfolgten am Strahlrohr D des TRIGA Mainz. Diese Quelle wird hauptsächlich im Impulsbetrieb gefahren und steht auch externen Nutzern zur Verfügung. „Für künftige Experimente, beispielsweise für Lebensdauer­messungen, können wir die Quelle drei Wochen durchgehend im Zweischicht­betrieb von 8 bis 24 Uhr nutzen“, ergänzt Christopher Geppert, Betriebsleiter des Reaktors.

U. Mainz / DE

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

EnergyViews

EnergyViews
Dossier

EnergyViews

Die neuesten Meldungen zu Energieforschung und -technologie von pro-physik.de und Physik in unserer Zeit.

Meist gelesen

Themen