Elektrisierte Wassertropfen
Elektrostatik beeinflusst Bewegung von Tropfen auf Oberflächen.
Etwas so Einfaches wie die Bewegung von Wassertropfen auf Oberflächen sollte eigentlich verstanden sein – würde man annehmen. De facto gibt es aber bisher noch zahlreiche offene Fragen zu den Kräften, die auf einen gleitenden Tropfen wirken. Ein Forscherteam des MPI für Polymerforschung und der TU Darmstadt fand nun heraus: Neben der Oberflächenenergie und der viskosen Reibung innerhalb des Tropfens spielt auch die Elektrostatik eine bedeutende Rolle.
Der Regen prasselt auf die Autoscheibe, der Fahrtwind drückt die Tropfen zur Seite. Doch wie genau sich die Tropfen auf der Scheibe bewegen konnte bislang niemand präzise vorhersagen. Dabei ist ein solches Verständnis in zahlreichen Bereichen wichtig, etwa für das autonomen Fahren: So sollen beispielsweise in die Windschutzscheibe eingebaute Kameras die Straße und die Verkehrssituation im Blick behalten – die Oberfläche der Scheibe muss dafür so gestaltet sein, dass die Tropfen vollständig vom Fahrtwind heruntergeblasen werden und die Sicht auch bei Regen frei bleibt. Andere Beispiele mit umgekehrtem Vorzeichen sind Anwendungen, bei denen Tropfen auf Oberflächen haften bleiben müssen, etwa beim Aufbringen von Sprühfarbe oder bei Pflanzenschutzmitteln.
„Bis jetzt ging man davon aus, dass die Oberflächenbeschichtung dafür verantwortlich ist, wie sich der Tropfen auf einer Fläche bewegt – also die ersten paar Moleküllagen“, sagt Hans-Jürgen Butt vom MPI für Polymerforschung. So hängt es beispielsweise von der Oberfläche ab, ob sich eine kugelige oder eine flache Tropfenform ausbildet. Mag der Tropfen die Oberfläche, presst er sich platt auf sie, um möglichst viel Kontakt zu haben. Behagt ihm die Oberfläche nicht, wie beim Lotuseffekt, kugelt er sich zusammen. Auch war klar: Bewegt sich ein Tropfen, tritt viskose Reibung innerhalb des Tropfens auf, die dessen Fortbewegung ebenfalls beeinflusst.
Doch weder die Kapillarkraft noch die viskoelastische Kraft können die Unterschiede in der Geschwindigkeit erklären, mit der sich Tropfen über verschiedene Oberflächen bewegen. Fragen warf insbesondere die Tatsache auf, dass die Tropfen auf unterschiedlichen Substraten unterschiedlich schnell laufen – auch dann, wenn diese mit der gleichen Beschichtung überzogen wurden und es somit eigentlich keinen Unterschied geben sollte.
Die Forscher führten daher eine zunächst mysteriöse Extrakraft ein. Um ihr auf die Spur zu kommen, veranstaltete Xiaomei Li aus dem Team eine Art Tropfenrennen. „Ich habe die Tropfen auf verschiedenen Substraten gefilmt, aus ihrer Bewegung Geschwindigkeitsprofile und Beschleunigungsprofile erstellt, die bereits bekannten Kräfte herausgerechnet und daraus wiederum die Kraft kalkuliert, die wir bislang noch nicht im Blick hatten“, erklärt sie.
Das erstaunliche Ergebnis: Die berechnete Kraft stimmt mit einer elektrostatischen Kraft überein, die die Forscher in einem Modell vor einigen Jahren erstmals beschrieben haben. Indem die Forscher die experimentellen Ergebnisse mit diesem numerischen Modell verglichen, konnten sie zuvor verwirrende Tropfenbahnen erklären.
Rutschen zuvor neutrale Tröpfchen über einen Isolator, können sie sich elektrisch aufladen: Die Elektrostatik spielt dort also eine bedeutende Rolle. Auf einem elektrisch leitenden Substrat dagegen gibt der Tropfen seine Ladung umgehend wieder an das Substrat ab. Die elektrostatische Kraft hat also einen großen Einfluss: Sie muss für Wasser, wässrige Elektrolyte und Ethylenglykol auf allen getesteten hydrophoben Oberflächen berücksichtigt werden. Die Ergebnisse des Teams werden die Kontrolle der Tropfenbewegung in vielen Anwendungen verbessern angefangen vom Drucken über die Mikrofluidik oder das Wassermanagement bis hin zur Stromerzeugung über tröpfchenbasierten Minigeneratoren.
MPIP / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
X. Li et al.: Spontaneous charging affects the motion of sliding drops, Nat. Physics, online 14. April 2022; DOI: 10.1038/s41567-022-01563-6 - Physik der Grenzflächen (H.-J. Butt), Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Mainz