01.06.2017

Elektromagnetisches schwarzes Loch

Röntgenblitz bewirkt bislang stärkste Ionisation eines Moleküls.

Mit einem ultraintensiven Röntgenblitz haben Forscher ein einzelnes Atom in einem Molekül kurzzeitig in eine Art „elektro­magnetisches schwarzes Loch“ verwandelt. Anders als Schwarze Löcher im Weltall saugt das beschossene Atom allerdings nicht mit seiner Schwerkraft Materie aus der Umgebung an, sondern Elektronen über seine elektrische Ladung – und lässt damit sein Molekül innerhalb eines winzigen Sekunden­bruchteils explodieren. Die Untersuchung liefert entscheidende Informationen für die Analyse von Bio­molekülen mit Hilfe von Röntgen­lasern.

Abb.: Das helle Röntgenlicht schlägt so viele Elektronen aus dem Iodatom (rechts), dass dieses wie eine Art elektromagnetisches Schwarzes Loch die Elektronen der Methylgruppe (links) absaugt, die schließlich ebenfalls davongeschleudert werden. (Bild: DESY / Science Communication Lab)

Die Forscher beschossen Iodmethan-Moleküle (CH3I) mit dem Röntgenlaser LCLS am US-Beschleuniger­zentrum SLAC in Kalifornien. Die Blitze erreichten dabei eine Intensität von 100 Billiarden Kilowatt pro Quadrat­zentimeter. Das extrem energiereiche Röntgenlicht schlug 54 der 62 Elektronen aus dem Molekül, so entstand ein 54-fach positiv geladenes Molekül. „Das ist unseres Wissens die höchste Ionisation, die je mit Licht erreicht worden ist“, erläutert Robin Santra aus dem Forscher­team, Leitender DESY-Wissenschaftler am Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL).

Diese Ionisation geschieht aber nicht auf einen Schlag. „Die Methyl­gruppe CH3 ist quasi blind für die Röntgenstrahlung“, sagt Santra, der auch Physikprofessor an der Universität Hamburg ist. „Der Röntgen­blitz entreißt zunächst dem Iodatom fünf bis sechs seiner Elektronen. Durch die resultierende hohe positive Ladung saugt das Iodatom die Elektronen von der Methyl­gruppe ab wie eine Art atomares Schwarzes Loch.“ Tatsächlich ist die Kraft auf die Elektronen dabei sogar wesentlich stärker als die eines typischen astro­physikalischen Schwarzen Lochs mit der Masse von etwa zehn Sonnen. „Solch ein echtes Schwarzes Loch könnte durch seine Gravitation auf ein Elektron keine vergleichbar hohe Kraft ausüben, egal wie nah man das Elektron an das Schwarze Loch heranbringt“, erläutert Santra.

Der Vorgang ist so schnell, dass die abgesaugten Elektronen noch vom selben Röntgenblitz hinaus­katapultiert werden. Es entsteht eine Ketten­reaktion, in deren Verlauf dem Iodmethan bis zu 54 seiner 62 Elektronen entrissen werden – alles in weniger als einer billionstel Sekunde. „Auf diese Weise sammelt sich eine extreme positive Ladung innerhalb eines zehntel milliardstel Meters. Das zerreißt das Molekül“, sagt Daniel Rolles von DESY und der Kansas State University.

Die Beobachtung dieser ultraschnellen Dynamik hat große Bedeutung für die Analyse komplexer Moleküle mit Freie-Elektronen-Röntgenlasern (XFEL) wie LCLS in Kalifornien oder dem European XFEL bei Hamburg, der gerade in Betrieb genommen wird. Diese Laser-Anlagen erzeugen extrem intensives Röntgenlicht, mit dem sich unter anderem die räumliche Struktur komplexer Moleküle auf einzelne Atome genau bestimmen lässt. Aus diesen Struktur­informationen schließen etwa Biologen auf die genaue Funktionsweise von Biomolekülen. Ihre atomare Struktur geben die Moleküle preis, bevor sie explodieren, wie andere Wissenschaftler bereits gezeigt haben. Für die Untersuchung der Dynamik von Biomolekülen, wie etwa bei der Photo­synthese, ist allerdings die Wirkung der Röntgen­strahlung auf die Elektronen von Bedeutung.

Das Iodmethan diente bei dieser Untersuchung als Modellsystem. „Iodmethan ist als relativ einfaches Molekül gut geeignet, um die Prozesse der Strahlungsschädigung in anderen, komplexer aufgebauten organischen Verbindungen zu verstehen“, sagt Artem Rudenko von der Kansas State University. „Wenn mehr Nachbarn als die einzelne Methyl­gruppe vorhanden sind, können noch mehr Elektronen eingesaugt werden.“ Dem Team von Robin Santra ist es dabei erstmals gelungen, diese ultra­schnelle Dynamik auch theoretisch zu beschreiben. Das war nur durch die Entwicklung eines neuen, weltweit einmaligen Computer­programms möglich. „Es ist nicht nur das erste Mal, dass diese Untersuchung gelungen ist, wir haben sogar eine numerische Beschreibung des Vorgangs“, betont Sang-Kil Son vom CFEL, der für das Entwicklungs­team des Computer­programms verantwortlich ist. „Die Daten haben hohe Relevanz für Untersuchungen an Freie-Elektronen-Röntgenlasern, denn sie zeigen im Detail, was bei Strahlungs­schäden tatsächlich passiert.“

An der Untersuchung waren außer DESY, der Kansas State University und SLAC die Tohoku-Universität in Japan, das Max-Planck-Institut für Kernphysik, die Universität für Wissenschaft und Technik Peking, die Universität Århus in Dänemark, die Physikalisch-Technische Bundes­anstalt, das Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, das Argonne National Laboratory in den USA, die Sorbonne-Universität in Paris, das Brookhaven National Laboratory in den USA, die University of Chicago, die North­western University in Evanston (USA) und die Universität Hamburg beteiligt.

DESY / DE

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