02.10.2017

Elektronengas in warmer, dichter Materie

Erste vollständige Beschreibung der thermo­dynamischen Eigen­schaften wechsel­wirkender Elektronen.

Elek­tronen umgeben den Kern aller Atome, sind essen­tiell zur Bildung von Molekülen, bestimmen maßgeblich die Eigen­schaften von Fest­körpern und Flüssig­keiten und fungieren als Ladungs­träger des elek­trischen Stroms. Trotz ihrer Allgegen­wärtigkeit ließ sich das Verhalten von mit­einander wechsel­wirkenden Elektronen bisher nicht exakt beschreiben. Vor allem bei extremen Dichten wie im Inneren von Planeten oder in Sternen kamen bisher ledig­lich Näherungs­modelle zum Einsatz.Um genau solchen Bedin­gungen geht es einem Forschungs­team von Physikern der Christian-Albrechts-Univer­sität zu Kiel. In Zusammen­arbeit mit Kollegen aus den USA und Groß­britannien ist es ihnen gelungen, das Ver­halten von Elektronen unter diesen extremen Bedin­gungen durch exakte Simu­lationen zu beschreiben. Damit lösen die Wissen­schaftler ein Problem, das die Physik seit Jahr­zehnten beschäftigt.

Abb.: In der Natur kommt die warme dichte Materie des Elektronengases unter anderem im Inneren von Planeten vor wie hier im Jupiter. (Bild: NASA / JPL / SwRI / MSSS / G. Fiset)

Wie sich Elek­tronen makro­skopisch ver­halten, lässt sich oft einfach beschreiben, zum Beispiel der Zusammen­hang zwischen elek­trischer Spannung, Wider­stand und Strom­stärke. Auf mikro­skopischer Ebene unter­liegt ihr Verhalten jedoch den Gesetzen der Quanten­mechanik, was das Lösen kompli­zierter mathe­matischer Gleichungen erfordert. Von besonderer physika­lischer Bedeutung ist in diesem Zusammen­hang das homo­gene Elektronen­gas. Hierbei handelt es sich um ein Modell, das wichtige Eigen­schaften von Elektronen beschreibt. Es ist unter anderem wichtig, um Phäno­mene wie die Supra­leitung oder Leitungs­elektronen in Fest­körpern zu verstehen. Außerdem bildet das Modell die Grundlage für die Dichte­funktional­theorie. Sie ist die derzeit meist verbrei­tete Simulations­methode in der Physik und der Chemie und wird auch zur Unter­suchung von Material­eigen­schaften in der Wirtschaft eingesetzt.

Simu­lationen des Elektronen­gases waren in der Vergan­genheit auf Elektronen im Bereich tiefer Temperaturen beschränkt. In jüngster Zeit wächst jedoch das Interesse an Materie unter extremen Bedin­gungen – zehn­tausendmal wärmer als die Raum­temperatur und bis zu hundert­mal dichter als gewöhn­liche Fest­körper. „Das Verhalten von Elek­tronen bei end­lichen Tempera­turen akkurat zu beschreiben, ist ein bisher unge­löstes Problem, das seit Jahr­zehnten im Fokus der Wissen­schaft steht“, sagt Michael Bonitz, Pro­fessor für Theo­retische Physik und Leiter des Kieler Forschungs­teams. In der Natur kommt diese „warme dichte Materie“ unter anderem im Inneren von Planeten vor sowie im Erdkern. Im Labor kann sie experi­mentell erzeugt werden, wenn zum Beispiel ein Fest­körper mit einem Hoch­intensitäts­laser oder einem freien Elektronen-Laser wie dem European XFEL bei Hamburg beschossen wird. Warme dichte Materie ist außerdem relevant für die Trägheits­fusion, die zukünftig eine nahezu unbe­grenzte Quelle sauberer Energie dar­stellen könnte.

Um das Verhalten von Elektronen im Bereich der warmen dichten Materie zu beschreiben, kombi­nierten die Kieler Physiker neue Simulations­verfahren. Frühere Ergebnisse basierten auf ver­schiedenen Modellen, die zum Teil schwer nach­prüfbare Näherungen enthielten. Mithilfe aufwen­diger Computer­simulationen konnten die Kieler Physiker die kom­plexen Gleichungen des Elektronen­gases jetzt jedoch exakt lösen. In Zusammen­arbeit mit Kollegen vom Los Alamos National Labora­tory und dem Imperial College London gelang den Forschern damit die erste voll­ständige und finale Beschreibung der thermo­dynamischen Eigen­schaften wechsel­wirkender Elektronen im Bereich der warmen dichten Materie.

„Diese Ergeb­nisse sind die ersten exakten Daten in diesem Bereich und werden unser Ver­ständnis von Materie bei end­licher Tempe­ratur auf eine neue Stufe heben“, erklärt Bonitz. „Unter anderem können nun erstmals die teils seit 40 Jahren exis­tierenden Modelle über­prüft werden. Wir konnten bereits Ab­weichungen von 10 bis 15 Prozent nach­weisen.“ Am Ende ihrer jahre­langen Arbeit stehen jetzt also kon­krete Zahlen und Formeln, die wichtig für den Vergleich mit Experi­menten sind. Sie werden Eingang in weiter­führende Theorien finden und damit auch andere Wissen­schaftler in ihren Forschungen weiter­bringen, so hoffen die Kieler.

CAU Kiel / JOL

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