Elektronentomographie mit 1000 fps
Schonendes Highspeed-Verfahren setzt neue Maßstäbe für 3D-Aufnahmen aus der Nanowelt.
Wissenschaftler des Ernst Ruska-Centrums am Forschungszentrum Jülich haben mit einem Transmissionselektronenmikroskop rund 3500 Bilder in 3,5 Sekunden aufgenommen. Die Bildserie dient als Datenbasis für die tomographische 3D-Rekonstruktion. Bislang waren zehn bis sechzig Minuten und die zehnfache Elektronenstrahldosis nötig, um entsprechende Bildserien anzufertigen. Die schonende Aufnahmetechnik eignet sich insbesondere zur Untersuchung von biologischen Zellen, Bakterien und Viren. Deren Struktur wurde durch überkritische Elektronenstrahldosen bisher oftmals geschädigt. Zudem ermöglicht es das Verfahren, dynamische Prozesse wie chemische Reaktionen oder elektronische Schaltvorgänge in Echtzeit und 3D mit Sub-
Abb.: Elektronentomograpische 3D-Rekonstruktion eines Nanoröhrchens (orange) auf einer Kohlenstoff-Trägerschicht (blau; Bild: V. Migunov et al., / NPG; CC BY 4.0)
Die Elektronentomographie ist mit der Computertomographie verwandt, die aus der Forschung und dem klinischen Alltag mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist. Elektronentomographische Abbildungen sind allerdings deutlich trennschärfer als diejenigen röntgenstrahlbasierter Verfahren. Das Auflösungsvermögen der Elektronentomographie ist das mit Abstand beste, das heute technisch möglich ist. Die Methode eignet sich daher auf einzigartige Weise, um etwa Viren und Bakterien nach Ansatzpunkten für medizinische Wirkstoffe abzusuchen oder neuartige Nanomaterialien für unterschiedliche Anwendungsgebiete, von der Nanoelektronik bis hin zur Energietechnik, zu erforschen.
„Die Beschleunigung und Senkung der Strahlungsdosis eröffnet neue Perspektiven, speziell für die Lebenswissenschaften und für die Erforschung weicher Materie“, schwärmt Rafal Dunin-Borkowski. Bei dem Verfahren nimmt ein Transmissionselektronenmikroskop in rascher Folge Bilder aus unterschiedlichen Winkeln von der Probe auf, die meist weniger als einen Mikrometer dick ist. „Die einzelnen Bilder zeigen keinen Querschnitt durch die Probe. Stattdessen überlagern sich die Informationen aus unterschiedlichen Schichten ähnlich wie bei einem Röntgenbild und werden anschließend gemeinsam auf eine Ebene projiziert“, erklärt der Kodirektor des Ernst Ruska-Centrums sowie Direktor am Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-5). Daher sind Algorithmen notwendig, mit denen sich aus einer Bildserie am Computer die dreidimensionale Darstellung berechnen lässt.
Die erzielbare Auflösung wird dabei durch die präparatschädigende Wirkung des Elektronenstrahls beschränkt. Insbesondere weiche, biologische Proben „vertragen“ nur eine begrenzte Anzahl von Bildern. Ihre empfindlichen Strukturen, beispielsweise Proteinstrukturen, werden durch hochenergetische Elektronen schnell zerstört. Um die Elektronenstrahldosis zu verringern, haben die Forscher des Ernst Ruska-Centrums ihr Elektronenmikroskop mit einem neuartigen Detektor ausgestattet. Die verwendete Single-Electron-Detection-Kamera kann einfallende Elektronen direkt erfassen, ohne sie vorab in Photonen, also Licht, umwandeln zu müssen – wie es bislang üblich ist.
„Die jüngste Generation von Detektorchips besitzt eine sehr hohe Empfindlichkeit, was bedeutet, dass man für die gleiche Aufnahmequalität mit einer zwei- bis dreimal kleineren Elektronenstrahldosis auskommt“, erläutert Vadim Migunov, tätig am Ernst-Ruska-Centrum und dem Jülicher Peter-Grünberg-Institut. Kollegen von ihm am Jülicher Zentralinstitut für Engineering, Elektronik und Analytik (ZEA-2) haben die Elektronik des Chips mitentwickelt. Sie sorgt dafür, dass sich die Daten deutlich schneller auslesen und damit extrem schnelle Aufnahmeraten erzielen lassen.
Abb.: Die Bildserie dient als Datenbasis für die tomographische 3D-Rekonstruktion (Bild: V. Migunov et al. / NPG; CC BY 4.0) Caption
Zur Überprüfung des verbesserten Verfahrens hat Vadim Migunov gemeinsam mit seinen Kollegen vom Ernst-Ruska-Centrum ein anorganisches Nanoröhrchen aus Lanthaniden untersucht. Derartige Strukturen werden aktuell mit großem Interesse erforscht, da sie sich möglicherweise für die Stromgewinnung aus Abwärme sowie für neuartige Lichtquellen und Katalysatoren eignen. „Durch die Aufnahmerate von rund tausend Bildern pro Sekunde wird es beispielsweise erstmals möglich, mittels Elektronentomographie schnelle Prozesse in 3D auf der Nanoskala und in Echtzeit zu beobachten – beispielsweise chemische Reaktionen, an denen Katalysatoren beteiligt sind, Kristallwachstumsprozesse oder Phasenzustandswechsel“, erklärt Migunov.
Untersuchungen mit besserer zeitlicher und räumlicher Auflösung könnten beispielsweise helfen zu erklären, wie es zum Funktionsverlust von Nanokatalysatoren kommt. Derartige Nanopartikel lassen sich unter anderem zur Gewinnung von Wasserstoff oder zur Abtrennung schädlicher Klimagase einsetzen. Ihr Wirkungsgrad hängt maßgeblich davon ab, wie sich die Atome an Oberflächen anordnen, an denen sich die chemischen Reaktionen abspielen.
Darüber hinaus bringt das neue Verfahren weitere Vorteile mit sich. Nur wenige Sekunden Rechenzeit sind nötig, um die 3D-Struktur am Rechner zu rekonstruieren. Die zeitliche Verzögerung fällt also sehr gering aus, was es Wissenschaftlern ermöglicht, laufende Experimente praktisch live in 3D mitzuverfolgen.
FZJ / OD