30.10.2018

Energiesparende Speichertechnik wird hitzebeständig

Magnetoelektrische Multiferroika behalten magnetische Eigenschaften bis hundert Grad Celsius.

Multiferroika gelten als Wundermaterial für künftige Datenspeicher – sofern man ihre besonderen Eigenschaften auch bei den Betriebs­temperaturen von Computern erhalten kann. Diese Aufgabe haben Forscher am Paul Scherrer Institut (PSI) mit Kollegen von Institut Laue-Langevin ILL in Grenoble jetzt gelöst. Damit haben sie das Material einen weiteren Schritt Richtung Praxis­tauglichkeit gebracht. Vom Einsatz multi­ferroischer Materialien verspricht man sich energie­sparsamere Computer, weil für die magnetische Daten­speicherung ein elektrisches Feld ausreichen würde. Um das zu erzeugen, sind viel weniger Strom und Kühlung nötig als bei herkömmlichen Magnet­speichern.

Abb.: Das mattgraue Pellet ist ein geschichteter Kupfer-Eisen-Perowskit, ein Kristall. (Bild: PSI / M. Fischer)

Multiferroika vereinen in sich magnetische und elektrische Eigenschaften und bilden damit ein Material, das außer­ordentlich selten ist. Die meisten derartigen Materialien zeigen diese beiden Eigenschaften nur bei Temperaturen weit unter dem Gefrier­punkt. Dass die magnetischen Eigenschaften jetzt auch bei einhundert Grad stabil sind, erreichen die Forscher über einen Trick. Sie verwenden kleinere Atome als bisher, wodurch das Material im Inneren kompakter wird. Das reicht aus, um seine Struktur hitze­resistent zu machen und seine wichtigen magnetischen Eigenschaften zu erhalten.

Bei Multiferroika erhält man die nötigen magnetischen Funktionen durch Anlegen eines elektrischen statt eines magnetischen Feldes, weil in dem Material beide physikalische Eigenschaften mit­einander gekoppelt sind. Dieser Zustand tritt normalerweise nur im Tief­temperatur­bereich bei weniger als minus 173 Grad Celsius auf und verliert sich bei Alltags­temperaturen wieder. Einer Arbeits­gruppe am PSI ist es bereits vor zwei Jahren gelungen, die Temperatur­grenze nach oben auf 37 Grad Celsius zu verschieben. Das war ein großer Fortschritt, doch immer noch zu wenig, um an einen Einsatz in Laptops und anderen, sich stark erhitzenden Daten­speichern zu denken. Jetzt haben es die Marisa Medarde und Tian Shang geschafft, ein magneto­elektrisches, multi­ferroisches Material so zu stabilisieren, dass es die wichtigen magnetischen Eigenschaften dauer­haft auch bei 100 Grad Celsius noch behält. Diese Temperatur ist mehr als 60 Grad Celsius höher als bisher möglich, freut sich Medarde. Es ist zwar noch viel Forschungs­arbeit erforderlich, doch es ist viel näher an einem möglichen Einsatz in Computern.

Die noch relativ junge Materialklasse der magneto­elektrischen Multi­ferroika besteht aus verschiedenen Gemischen von chemischen Elementen. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie enthalten gleichzeitig kleine Magnete und eine Kombination aus positiven und negativen elektrischen Ladungen, einen elektrischen Dipol. Elektrische Dipole lassen sich normalerweise durch Anlegen eines elektrischen Feldes beeinflussen, die kleinen Magnete durch Anlegen eines magnetischen Feldes.

Bei einem multi­ferroischen Material genügt ein elektrisches Feld für beides. In der Praxis lassen sich elektrische Felder viel einfacher und kosten­günstiger erzeugen. Sie verbrauchen viel weniger Strom. Das macht die magneto­elektrischen Multi­ferroika aus ökonomischer Perspektive so interessant. Die Forscher am PSI verwenden Barium, Kupfer, Eisen und seltene Erden und erhitzen sie zwei Tage lang bis auf über 1100 Grad Celsius. Dann kühlen sie die Pulver langsam auf Raum­temperatur, pressen sie zu Pellets und erhitzen sie nochmals fünfzig Stunden. Anschließend werden sie in flüssigem Stick­stoff schlag­artig abgekühlt. Das matt­graue Pellet, welches bei dieser Prozedur entsteht, ist ein geschichteter Kupfer-Eisen-Perowskit, ein Kristall.

Das Besondere an dem Material ist seine Kristallgitterstruktur: wie mehrere aufeinander­gestapelte Gitter­käfige, an deren Ecken Barium- und Yttrium­atome sitzen. Die Lage der verschiedenen Atome ist durch die Gitter­struktur festgelegt. Im Inneren der Käfige befinden sich kleine Magnete aus Kupfer und Eisen. Normalerweise richten sich zwei Magnete parallel oder entgegen­gesetzt zueinander aus. Es kann aber passieren, dass die magnetischen Kräfte aus ganz verschiedenen Richtungen wirken. Dann pendeln die Magnete wie kleine Kompass­nadeln: frustrierte Magnete.

Um diesen instabilen Zustand zu vermeiden und trotzdem den Magnetismus zu erhalten, ordnen sich die Kupfer-Eisen-Magnete zu einer Spirale. Vergrößert würde das aussehen wie viele übereinander­gelegte Kompassnadeln, die jeweils in eine Richtung um ein kleines Stück verdreht sind. Diese Spiralform kann eine elektrische Polarisation bewirken und damit für die ferro­elektrischen Eigenschaften in dem Material verantwortlich sein, erklärt Medarde. Wenn die Magnete also spiral­förmig angeordnet sind, induzieren sie in dem Gitter elektrische Dipole und das Material bekommt beide, an­einander gekoppelte Eigen­schaften – elektrische und magnetische.

Bei Normaltemperaturen verlieren die Kompassnadeln ihre spiral­förmige Anordnung, wodurch auch die gekoppelten multi­ferroischen Eigen­schaften verschwinden. Dass man durch sehr schnelle Abkühlung die Magnet­spiralen in dem Material einfrieren kann, hatten Medarde und ihre Gruppe bereits in einer früheren Arbeit gezeigt. In ihrer neuesten Arbeit haben sich Medarde und Shang nun dem Fein­tuning des multi­ferroischen Kristall­gitters angenommen. Mit mikro­skopisch kleinen Anpassungen ist es ihnen gelungen, dessen Temperatur­stabilität bis auf 100 Grad Celsius anzuheben.

Dafür hat Shang das Material nicht nur extrem schnell abgekühlt, sondern zusätzlich zu einem Trick gegriffen, den Chemiker schon lange kennen: Er verkleinerte einfach die Abstände zwischen einigen Atomen in dem Kristall­gitter, wodurch sie näher zueinander rückten. Infolge der nun kompakteren Bau­weise änderten sich die elektro­magnetischen Kräfte in dem Kristall derart, dass die Spiral­struktur des Kupfer-Eisen-Magneten auch bei höheren Temperaturen noch stabil blieb. Shang erreichte dies, indem er einige Barium­atome in dem Kristall­gitter durch die kleineren Atome des Elements Strontium ersetzte. Das Strontium gab er bei der Herstellung des Materials im Reaktions­ofen mit dazu, bevor er es schließ­lich auf die bewährte Weise wieder abkühlte.

Shang untersuchte das grauschwarze Material mittels verschiedener Mess­methoden, unter anderem in der Neutronenquelle SINQ, einer Groß­forschungs­anlage am PSI. Mithilfe spezieller Instrumente gelang es ihm, den Finger­abdruck der Magnet­spiralen zu identifizieren. Mit einem Neutronen­diffraktometer fand er heraus, an welchen Stellen im Kristall­gitter die Atome liegen und wie weit sie jeweils von­einander entfernt sind.

Die schnelle Abkühlung des Materials zusammen mit der Abstands­änderung zwischen den Atomen hat den Effekt summiert. Der Stabilitäts­bereich der Magnet­spirale liegt jetzt deutlich höher als vorher, sagt Shang. Damit hat er den Temperatur­bereich erreicht, den man für den Einsatz in Computern braucht. Dennoch wird es den Physikern zufolge noch eine Weile dauern, bis das Material in den Daten­speichern der Zukunft verwendet werden kann. Hierfür muss es auch in Dünn­schicht­filmen funktionieren, wo viel weniger Material­menge benutzt wird. Medarde und Shang arbeiten bereits daran. Und sie versuchen, den Perowskit­kristall noch weiter zusammen­zu­quetschen, indem sie noch kleinere Atome als Strontium einbauen. Wenn ihnen beides gelingt, stehen die Chancen gut, dass das multi­ferroische Material einmal die Grundlage sein wird, um die Speicher­technologie zu revolutionieren.

PSI / DE

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