Energiesparende Speichertechnik wird hitzebeständig
Magnetoelektrische Multiferroika behalten magnetische Eigenschaften bis hundert Grad Celsius.
Multiferroika gelten als Wundermaterial für künftige Datenspeicher – sofern man ihre besonderen Eigenschaften auch bei den Betriebstemperaturen von Computern erhalten kann. Diese Aufgabe haben Forscher am Paul Scherrer Institut (PSI) mit Kollegen von Institut Laue-
Abb.: Das mattgraue Pellet ist ein geschichteter Kupfer-Eisen-Perowskit, ein Kristall. (Bild: PSI / M. Fischer)
Multiferroika vereinen in sich magnetische und elektrische Eigenschaften und bilden damit ein Material, das außerordentlich selten ist. Die meisten derartigen Materialien zeigen diese beiden Eigenschaften nur bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Dass die magnetischen Eigenschaften jetzt auch bei einhundert Grad stabil sind, erreichen die Forscher über einen Trick. Sie verwenden kleinere Atome als bisher, wodurch das Material im Inneren kompakter wird. Das reicht aus, um seine Struktur hitzeresistent zu machen und seine wichtigen magnetischen Eigenschaften zu erhalten.
Bei Multiferroika erhält man die nötigen magnetischen Funktionen durch Anlegen eines elektrischen statt eines magnetischen Feldes, weil in dem Material beide physikalische Eigenschaften miteinander gekoppelt sind. Dieser Zustand tritt normalerweise nur im Tieftemperaturbereich bei weniger als minus 173 Grad Celsius auf und verliert sich bei Alltagstemperaturen wieder. Einer Arbeitsgruppe am PSI ist es bereits vor zwei Jahren gelungen, die Temperaturgrenze nach oben auf 37 Grad Celsius zu verschieben. Das war ein großer Fortschritt, doch immer noch zu wenig, um an einen Einsatz in Laptops und anderen, sich stark erhitzenden Datenspeichern zu denken. Jetzt haben es die Marisa Medarde und Tian Shang geschafft, ein magnetoelektrisches, multiferroisches Material so zu stabilisieren, dass es die wichtigen magnetischen Eigenschaften dauerhaft auch bei 100 Grad Celsius noch behält. Diese Temperatur ist mehr als 60 Grad Celsius höher als bisher möglich, freut sich Medarde. Es ist zwar noch viel Forschungsarbeit erforderlich, doch es ist viel näher an einem möglichen Einsatz in Computern.
Die noch relativ junge Materialklasse der magnetoelektrischen Multiferroika besteht aus verschiedenen Gemischen von chemischen Elementen. Ihnen ist eines gemeinsam: Sie enthalten gleichzeitig kleine Magnete und eine Kombination aus positiven und negativen elektrischen Ladungen, einen elektrischen Dipol. Elektrische Dipole lassen sich normalerweise durch Anlegen eines elektrischen Feldes beeinflussen, die kleinen Magnete durch Anlegen eines magnetischen Feldes.
Bei einem multiferroischen Material genügt ein elektrisches Feld für beides. In der Praxis lassen sich elektrische Felder viel einfacher und kostengünstiger erzeugen. Sie verbrauchen viel weniger Strom. Das macht die magnetoelektrischen Multiferroika aus ökonomischer Perspektive so interessant. Die Forscher am PSI verwenden Barium, Kupfer, Eisen und seltene Erden und erhitzen sie zwei Tage lang bis auf über 1100 Grad Celsius. Dann kühlen sie die Pulver langsam auf Raumtemperatur, pressen sie zu Pellets und erhitzen sie nochmals fünfzig Stunden. Anschließend werden sie in flüssigem Stickstoff schlagartig abgekühlt. Das mattgraue Pellet, welches bei dieser Prozedur entsteht, ist ein geschichteter Kupfer-
Das Besondere an dem Material ist seine Kristallgitterstruktur: wie mehrere aufeinandergestapelte Gitterkäfige, an deren Ecken Barium- und Yttriumatome sitzen. Die Lage der verschiedenen Atome ist durch die Gitterstruktur festgelegt. Im Inneren der Käfige befinden sich kleine Magnete aus Kupfer und Eisen. Normalerweise richten sich zwei Magnete parallel oder entgegengesetzt zueinander aus. Es kann aber passieren, dass die magnetischen Kräfte aus ganz verschiedenen Richtungen wirken. Dann pendeln die Magnete wie kleine Kompassnadeln: frustrierte Magnete.
Um diesen instabilen Zustand zu vermeiden und trotzdem den Magnetismus zu erhalten, ordnen sich die Kupfer-
Bei Normaltemperaturen verlieren die Kompassnadeln ihre spiralförmige Anordnung, wodurch auch die gekoppelten multiferroischen Eigenschaften verschwinden. Dass man durch sehr schnelle Abkühlung die Magnetspiralen in dem Material einfrieren kann, hatten Medarde und ihre Gruppe bereits in einer früheren Arbeit gezeigt. In ihrer neuesten Arbeit haben sich Medarde und Shang nun dem Feintuning des multiferroischen Kristallgitters angenommen. Mit mikroskopisch kleinen Anpassungen ist es ihnen gelungen, dessen Temperaturstabilität bis auf 100 Grad Celsius anzuheben.
Dafür hat Shang das Material nicht nur extrem schnell abgekühlt, sondern zusätzlich zu einem Trick gegriffen, den Chemiker schon lange kennen: Er verkleinerte einfach die Abstände zwischen einigen Atomen in dem Kristallgitter, wodurch sie näher zueinander rückten. Infolge der nun kompakteren Bauweise änderten sich die elektromagnetischen Kräfte in dem Kristall derart, dass die Spiralstruktur des Kupfer-
Shang untersuchte das grauschwarze Material mittels verschiedener Messmethoden, unter anderem in der Neutronenquelle SINQ, einer Großforschungsanlage am PSI. Mithilfe spezieller Instrumente gelang es ihm, den Fingerabdruck der Magnetspiralen zu identifizieren. Mit einem Neutronendiffraktometer fand er heraus, an welchen Stellen im Kristallgitter die Atome liegen und wie weit sie jeweils voneinander entfernt sind.
Die schnelle Abkühlung des Materials zusammen mit der Abstandsänderung zwischen den Atomen hat den Effekt summiert. Der Stabilitätsbereich der Magnetspirale liegt jetzt deutlich höher als vorher, sagt Shang. Damit hat er den Temperaturbereich erreicht, den man für den Einsatz in Computern braucht. Dennoch wird es den Physikern zufolge noch eine Weile dauern, bis das Material in den Datenspeichern der Zukunft verwendet werden kann. Hierfür muss es auch in Dünnschichtfilmen funktionieren, wo viel weniger Materialmenge benutzt wird. Medarde und Shang arbeiten bereits daran. Und sie versuchen, den Perowskitkristall noch weiter zusammenzuquetschen, indem sie noch kleinere Atome als Strontium einbauen. Wenn ihnen beides gelingt, stehen die Chancen gut, dass das multiferroische Material einmal die Grundlage sein wird, um die Speichertechnologie zu revolutionieren.
PSI / DE