29.06.2023 • Biophysik

Entstehung des Lebens: Harnstoff-Umwandlung per Protonen-Tausch

Mit einer speziellen Röntgenquelle gelang die Enträtselung die ersten, schnell ablaufenden Schritte der lichtinduzierten Harnstoff-Umwandlung.

Wie begann das Leben auf der Erde? Eine der Hypothesen geht davon aus, dass die Ursprünge vor vier Milliarden in warmen Pfützen zu suchen sind. Das Wasser darin hatte vermutlich Harnstoff­moleküle enthalten. Dieser war der UV-Strahlung der Sonne ausgesetzt, die damals weitgehend ungehindert zur Erdoberfläche durchdringen konnte. Das energiereiche Licht vermochte den Harnstoff – Kohlen­säure­diamid – umzuwandeln. Aus den Reaktions­produkten konnten sich dann Biomoleküle bilden, die später als Bausteine des Lebens fungierten. Diese „Warme-Pfützen“-Theorie war einer der Beweggründe für ein neuartiges Experiment, konzipiert von einem deutsch-schweizer Forschungsteam unter Leitung von Hans Jakob Wörner von der ETH Zürich und Jean-Pierre Wolf von der Uni Genf. Mit einer speziellen Röntgenquelle gelang es den Forschern, die ersten, extrem schnell ablaufenden Schritte der licht­indu­zierten Harnstoff-Umwandlung zu enträtseln.

Entstehung des Lebens: Harnstoff-Umwandlung per Protonen-Tausch

Bei dem Versuch schoss das Team in Laboren der Uni Genf die Lichtpulse eines Lasers durch einen Strahl aus einer hoch­konzen­trierten Harnstoff-Lösung. Dabei ionisierten die Lichtblitze manche der Harnstoff­moleküle und schlugen jeweils ein Elektron aus ihnen heraus. Unmittelbar darauf schickten die Forscher einen ultrakurzen Blitz aus weicher Röntgen­strahlung hinterher. Dieser fungierte als Sonde und verriet im Detail, wie der Harnstoff auf das Heraus­schlagen des Elektrons reagierte. Dann wiederholte das Team den Versuch mehrmals und veränderte dabei systematisch den zeitlichen Abstand zwischen Laser- und Röntgenpuls.

Dadurch ließ sich der Ablauf des Geschehens präzise rekonstruieren – bis auf wenige Femtosekunden genau. Eine besondere Heraus­forderung bestand darin, die gemessenen Spektren zu inter­pretieren. „Dazu bedurfte es detail­lierter Computer­simula­tionen, die wir am DESY in jahre­langer Arbeit entwickelt haben“, erläutert Ludger Inhester vom Center for Free-Electron Laser Science, einer gemeinsamen Einrichtung von DESY, Uni Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft.

Mit diesem Setup konnte das Team die ersten Schritte der Harnstoff-Umwandlung enträtseln: Wird ein Harnstoff­molekül ionisiert, verliert es ein Elektron und ist elektrisch positiv geladen. Diese positive Ladung würde es liebend gern wieder loswerden. Möglich wird das, wenn sich ein anderes, nicht­ioni­siertes Harnstoff­molekül in unmittel­barer Nähe befindet. „Dann schiebt das erste Molekül ein Proton, also einen Wasser­stoff­kern, zum neutralen Molekül hinüber“, erläutert Inhester. „Durch diesen Protonen­transfer entsteht ein Harnstoff-Radikal sowie ein positiv geladenes Harnstoff-Ion.“ Beide sind chemisch reaktiv und könnten vor Jahr­milliarden zur Entstehung von RNA-Molekülen geführt haben – essentiellen Bausteinen des frühen Lebens. Mit dem Experiment konnte das Team nicht nur erstmals den rasanten „Protonen-Deal“ zwischen zwei Harnstoff­molekülen nachweisen, sondern auch seine Dauer bestimmen – der Prozess nimmt nur wenige hundert Femto­sekunden in Anspruch.

„Das Neue an unserem Experiment ist, dass wir extrem schnelle Prozesse bei einem Molekül beobachten konnten, das in einer wässrigen Umgebung vorliegt“, betont Inhester. „Frühere Versuche hatten sich solche Reaktionen nur in der Gasphase angeschaut.“ Das Verhalten von Molekülen, die in einer Flüssigkeit wie Wasser schwimmen, ist für viele Frage­stellungen besonders relevant – insbesondere für biologische Prozesse. Experimente in einer solchen Umgebung bilden nicht nur für die Messtechnik eine Heraus­forderung, sondern auch für die Computer­berechnungen, die zur Inter­pretation der Messdaten nötig sind.

Künftig könnte die neue Methode verraten, was im Detail passiert, wenn ionisierende Strahlung auf Gewebe trifft und dort Strahlen­schäden verursacht. Ferner liebäugeln die Forscher damit, ähnliche Experimente auch an einer sehr viel größeren Röntgenquelle zu machen – dem europäischen Röntgenlaser European XFEL in Hamburg. Die gut drei Kilometer lange Anlage, an der DESY maßgeblich beteiligt ist, liefert die stärksten Röntgenblitze der Welt. „Auf diese Weise könnten wir den Protonen­transfer aus anderen Blickwinkeln untersuchen“, sagt Inhester – und hofft, dadurch weitere Einzelheiten über diesen sehr fundamentalen Prozess herauszufinden.

DESY / RK

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