Erkenntnis aus dem Nichts
Messungen an zerfallenden Myonen und Mesonen schließen einige Alternativen zum Standardmodell der Elementarteilchen aus.
Theoretische Physiker haben eine grosse Zahl von Modellen entwickelt, die die Welt der Elementarteilchen beschreiben sollen. Welche Modelle die richtige Beschreibung liefern, müssen aber Experimente zeigen. In zwei Experimenten haben Physiker des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) in der Schweiz nach sehr seltenen Teilchenzerfällen gesucht, für deren Wahrscheinlichkeit verschiedene Modelle unterschiedliche Voraussagen machen. Der gesuchte Zerfall konnte in keinem der Fälle beobachtet werden. Entsprechend werden Modelle ausgeschlossen, die höhere Wahrscheinlichkeiten für diese Zerfälle voraussagen.
Abb.: Experiment zum Myonenzerfall: Innenleben des Detektors – in der roten Folie in der Bildmitte werden die Myonen aufgefangen, die unten sichtbaren länglichen Metallstrukturen sind Detektoren, mit denen entstehende Positronen nachgewiesen werden können. (Bild: PSI / M. Hildebrandt)
In einem der Experimente untersuchte ein internationales Team den Zerfall des positiven Myons in ein Positron und ein Photon – ein Vorgang, der nach dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik so extrem unwahrscheinlich ist, dass er nicht nachweisbar wäre. Andere Modelle sagen aber deutlich höhere Wahrscheinlichkeiten voraus. Das PSI ist der weltweit einzige Ort, an dem genügend Myonen für diesen Test erzeugt werden.
Ein Myon ist gewissermassen der schwere Bruder des Elektrons. Es ist ein instabiles Teilchen, das innerhalb von rund 2 Mikrosekunden zerfällt – im Fall des positiv geladenen Myons meist in ein Positron und zwei Neutrinos. Dem positiven Myon ordnen die Physiker die Myonenzahl -1 zu, dem Positron die Elektronenzahl -1, dem einen der Neutrinos Elektronenzahl +1 und dem anderen ebenfalls die Myonenzahl -1. Die Summe solcher Zahlen vor und nach Reaktion ist im aktuellen Standardmodell so gut wie immer gleich. Der Zerfall des positiven Myons in ein Positron und ein Photon würde dieses Prinzip verletzen, so dass nur ein einziges Myon unter 1050 auf diese Weise zerfiele.
Da niemals ein Experiment mit so vielen Myonen gemacht werden kann – 1050 entspricht etwa der Anzahl Atome, aus denen unsere Erde besteht – wäre es demnach völlig unmöglich, diesen Zerfall zu beobachten. „Andere Theorien sagen für diesen Zerfall aber sehr viel höhere Wahrscheinlichkeiten voraus – einen Zerfall unter 1012 oder 1013“, erklärt Stefan Ritt, einer der beteiligten Forscher. „Das können wir messen. Und wenn wir in unserem Experiment zuverlässig einen solchen Zerfall beobachten würden, wäre das ein deutlicher Hinweis auf „neue Physik“ – darauf, dass ein alternatives Modell die Wirklichkeit richtig beschreibt.“
Im zweiten Experiment beschäftigten sich die Forscher mit Zerfällen des Bs-Mesons, eines Teilchens das nur mithilfe höherer Energien zu erzeugen ist. Die Forschenden führten ihre Experimente am Europäischen Teilchenforschungszentrum Cern in Genf durch.
Der Zerfall der neutralen Bs-Mesonen in zwei Myonen ist zwar deutlich wahrscheinlicher als der gesuchte Zerfall des Myons, aber immer noch klein – das Standardmodell sagt voraus, dass etwa nur eines von 109 Teilchen auf diesem Wege zerfällt. „Grund ist, dass bei diesem Zerfall mehrere Prozesse stattfinden müssen, die von sich aus sehr unwahrscheinlich sind. So bestehen die Mesonen aus zwei Bausteinen – einem „s-Quark“ und einem „b-Antiquark“, die einander vernichten müssen, was schon an sich selten ist. Ausserdem zeigen die Spins der Zerfallsprodukte gewissermassen in die falsche Richtung“, erklärt Urs Langenegger, Mitglied der Forschungsgruppe, die die Untersuchung betrieb.
In beiden Fällen konnten die Forschenden die gesuchten Zerfälle bisher nicht beobachten. Paradoxerweise sind die Versuche damit trotzdem sehr erfolgreich. Sie zeigen, dass die gesuchten Zerfälle so unwahrscheinlich sind, dass sie innerhalb der bisher beobachten Gesamtzahl von Zerfällen nicht vorkommen. Die Modelle der Teilchenphysik, die grössere Wahrscheinlichkeiten voraussagen, können jetzt mit guter Gewissheit als Kandidaten für die korrekte Beschreibung der Welt der kleinen Teilchen ausgeschlossen werden.
PSI / PH