05.01.2017

Erneuerbare gewinnen global an Tempo

Jahresrückblick Energie 2016.

Die Energiewende schreitet global mit großen Schritten voran. Vorreiter Deutschland deckte 2016 ein gutes Drittel seines Strom­bedarfs aus Wind-, Wasser- und Solaranlagen. 2016 stellte die Wind­strom­­erzeugung in Deutschland mit etwa 100 Milliarden Kilowatt­stunden die Leistung der hiesigen Kern­kraft­werke in den Schatten. Global überrundete der Zuwachs an Erneuerbaren wie bereits im Vorjahr den Zubau an konventioneller Kraftwerke, die fossile und nukleare Brennstoffe nutzen. Dazu zählte auch einer der weltweit größten Solarparks, der derzeit in Marokko entsteht.

Abb.: Parabolspiegel des Kraftwerks Noor-I bündeln Sonnenlicht auf eine zentrale Röhre, durch die heiße Thermoöle bei etwa 350 Grad Celsius zirkulieren. (Bild: J. O. Löfken)

Bis 2040 werden die neuen Kraftwerke laut dem aktuellen World Energy Outlook der Internationalen Energie­agentur IEA zu mehr als 80 Prozent erneuerbare Quellen, aber auch Erdgas nutzen, das bei der Strom­erzeugung im Vergleich zur Kohle nur halb so viel Kohlen­dioxid freisetzt. Dadurch werde im gleichen Zeitraum der Anteil von Kohle an der globalen Energie­versorgung signifikant fallen. Positiv fielen 2016 die stark gefallenen Kosten für Photo­voltaik-Strom auf, die etwa im sonnigen Arabien bereits unter 2,3 Eurocent/kWh liegen. Allerdings reichen die Anstrengungen, auf sich die internationale Staaten­gemeinschaft im Pariser Klima­abkommen geeinigt und auf in der Marrakesch-Proklamation bekräftigt haben, nicht für das selbst gesetzte „Unter-Zwei-Grad-Ziel“ für die Erd­erwärmung aus. Nach Abschätzung der IEA müsse derzeit noch mit mindestens einer Zunahme von 2,7 Grad bis zum Jahr 2100 gerechnet werden.

Für eine größere Dynamik der Energiewende könnten zahlreiche Forschungs­ergebnisse aus den verschiedensten Energie­sektoren sorgen. Für groß­flächige und günstige Solarzellen stechen die Fortschritte bei den Perowskiten heraus. Am Cavendish Laboratory an der Universitsy of Cambridge konnten sie die verblüffend hohen Wirkungs­grade über 20 Prozent mit Lumineszenzen rekombinierter Elektron-Loch-Paare erklären. Am Karlsruher Institut für Technologie entwickelten sie viel­versprechende Proto­typen, in denen Perowskit mit CIGS-Dünn­schichtzellen kombiniert wurden. Am wichtigsten für eine 2017 mögliche Pilot­produktion von Perowskit-Solarzellen waren Versuche an der École Polytechnique Fédérale in Lausanne (EPFL), bei denen Rubidium­ionen die Haltbarkeit von Zellen deutlich steigern konnten. 

Auch bereits etablierte Solarzell-Typen konnten optimiert werden. So hat das Zentrum für Sonnen­energie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg ZSW mit 22,6 Prozent Wirkungs­grad einen neuen Welt­bestwert bei Dünnschicht­solarzellen aufgestellt. Silizium-Experten um Bernd Rech vom HZB-Institut für Silizium­photo­voltaik konnten zeigen, dass mit einer Silizium-Perowskit-Tandemzelle ein Wirkungsgrad von dreißig Prozent erreichbar ist. Am Fraunhofer Institut für Solare Energie­systeme ISE erreichte erstmals eine III-V/Silizium-Mehrfachsolar­zelle mit einer Fläche von vier Quadrat­zentimetern eine Effizienz von 30,2 Prozent. Und um Solarparks in Zukunft auch auf weiten Wasser­flächen installieren zu können, entwickelten Forscher der TU Wien eine Leichtbau­konstruktion, mit der sich hundert Meter lange Plattformen bauen lassen, die auch bei hohem Wellengang ruhig und stabil an Ort und Stelle bleiben.

Abb.: Heliofloat-Plattformen treiben stabil auf dem Wasser (künst­lerische Dar­stellung, Bild: TU Wien)

Auch die bereits weit gereifte Windrad-Technologie kann noch weiter verbessert werden. Im Projekt Smart Blades entwickelten und prüften die Wissenschaftler des Forschungs­verbunds Windenergie neue Ideen für intelligente Rotorblätter, die sich dem Wind anpassen können. Größere Wind­kraft­anlagen mit Rotoren aus neuen, leichteren Materialien wurden im EU-Projekt WALiD (Wind Blade Using Cost-Effective Advanced Lightweight Design) vom Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT in Pfinztal in enger Zusammen­arbeit mit zehn Partnern aus Industrie und Forschung konzipiert.

Wie der Rückbau älterer Anlagen schnell, günstig und umwelt­freundlich gelingen kann, ermittelten Wissenschaftler am Institut für Integrierte Produktion Hannover IPH rechtzeitig vor der großen Rückbau-Welle, mit der sie in zirka zehn Jahren rechnen. Für den Offshore-Bereich standen schwimmende Fundamente und sogar Konzepte für künstliche Inseln im Interesse von meist deutschen Ingenieuren.

Eine effiziente Stromerzeugung mit der Kraft der Meereswellen hat sich die Nemos GmbH aus Duisburg mit ihrem Wellenkraftwerk zum Ziel gesetzt. Nach dem Erfolg der Pilot­anlage in Dänemark soll 2017 die erste Groß­anlage in der Nordsee den Betrieb aufnehmen. Im Flüssen ließe sich selbst in kleinen Fließ­wasser­kraft­werken mit neuen Turbinen, die das französische Start-Up Turbiwatt konstruiert hat, mehr Strom erzeugen als bisher. Das gleiche Ziel verfolgen Forscher der Salzgitter AG und der TU Braunschweig mit einem neuartigen Hoch­leistungs­wasser­rad, das mit 60 Kubikmetern pro Sekunde das zehnfache Schluck­vermögen gegenüber klassischen Wasserrädern ermöglicht.

Abb.: Konzept eines Meereswellenkraftwerks gekoppelt mit einem Offshore-Windpark. (Bild: Nemos)

Da die Strommenge aus Wind- und Solarkraft­werken stark von der Wetterlage abhängt, wurde 2016 wie schon im Vorjahr an optimierten Speicher­technologien gearbeitet. An einem Pump­speicher­kraftwerk in einem stillgelegten Kohle­schacht arbeiten Forscher der Universitäts­allianz Ruhr UA Ruhr. Ein Pilotprojekt auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop belegte die Machbarkeit. Ebenfalls erfolgreich verlief die Pilot­phase mit einer im Bodensee versenkten Betonkugel, die den Wasserdruck zur Strom­speicherung nutzte. Nun denken die Speicher­spezialisten des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energie­system­technik IWES in Kassel an eine 30-Meter-Kugel, die im Meer bei 700 Metern Tiefe ungefähr 20 Mega­watt­stunden speichern könnte.

Energie in Form von Wärme in Flüssigkeiten speichern wollen Entwickler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln, 2016 begann der Aufbau einer Test­anlage für Wärme­speicherung in geschmolzenem Salz – TESIS genannt. Mit dem Blick in die Zukunft starteten die „Kopernikus-Projekte für die Energiewende“. Das Teilprojekt „Power To X“ soll die groß­technischen Voraus­setzungen erarbeiten, um mehr als 90 Prozent der zukünftigen Erneuerbare-Energien-Überschüsse in Form von chemischen Grund­stoffen, gasförmigen Energie­trägern und Kraftstoffen zu speichern.

Leistungsfähiger und um ein Vielfaches kompakter sind dagegen Batterie-Systeme, die vor allem zu einer größeren Reichweite von Elektro­mobilen führen sollen. Ein Team vom HZB-Institut für weiche Materie und funktionale Materialien hat erstmals detailliert beobachtet, wie Lithium-Ionen in Silizium einwandern. Ihre Arbeit zeigte, dass schon extrem dünne Silizium-Schichten ausreichten, um die Kapazität des Akkus weiter zu steigern. Ein schnelles Aufladen erlaubten nanostrukturierte, nickel­basierte Hoch­leistungs­­elektroden. Wissenschaftler am Zentrum für Sonnen­energie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg ZSW konnten mit diesen Elektroden die Lade- und Entlade­geschwindigkeit bis auf drei Sekunden reduzieren. Für höhere Kapazitäten schlug eine Arbeits­gruppe der Chinesischen Akademie der Wissenschaften Vanadiumoxid vor, das in mehrwandigen Mikrokugeln in eine Kathode integriert werden könnte. Erste Versuche mit dreiwandigen Mikrokugeln zeigten verblüffend hohe Werte von 447,9 mAh/g.

Über Lithium­ionen-Akkus hinaus versprechen Silizium-Luft-Batterien weitaus höhere Energie­dichten und sind dabei kleiner und leichter. Mit einer speziellen Elektrolyt­pumpe erreichte eine Arbeitsgruppe am Forschungs­zentrum Jülich eine Laufzeit von mehr als 1100 Stunden. Schnelles Aufladen bei hohen Energiedichten realisierten Forscher der University of California in Los Angeles mit einem pseudo­kapazitativen Material aus Molybdän­trioxid. Erste Pilotversuche belegten, dass der Effekt der Pseudokapazität für den Bau von leistungs­fähigen und extrem schnell aufladbaren Strom­speichern prinzipiell geeignet ist.

Abb.: Das erste Wasserstoff-Plasma in Wendelstein 7-X dauerte eine Viertelsekunde und erreichte – bei moderater Plasmadichte – eine Temperatur von rund 80 Millionen Grad Celsius. (Eingefärbtes Schwarz-Weiß-Foto; Bild: IPP)

Die Energieforschung stand 2016 vor allem im Fokus der Erneuerbaren Energien und der Stromspeicher. Doch auch die trotz langer Entwicklungs­zeit oft gescholtene Kernfusion hatte vergangenes Jahr große Fortschritte zu verzeichnen. So lag nach Jahren der Unsicherheit das internationale Fusions­experiment ITER in Südfrankreich immerhin im neu aufgestellten Zeitplan. Die Zündung des ersten Plasmas soll demnach weiterhin im Jahr 2025 erfolgen. Die deutsche Stellarator-Fusions­anlage Wendelstein-7X in Greifwald war da schon einen Schritt weiter und erzeugte im Februar ein erstes Wasserstoff-Plasma.

Nach rund 2200 Plasma-Pulsen seit Betriebsbeginn im Dezember 2015 ging die erste Experimentier­kampagne am Wendelstein 7-X erfolgreich zu Ende. Danach starteten Umbauten im Plasmagefäß, um die Anlage bis Mitte 2017 fit für höhere Heiz­leistung und längere Pulse zu machen. Und nicht zuletzt kam auch die laser­induzierte Trägheits-Kernfusion, bei der riesige Laser ein kleines Kügelchen mit Fusions­treibstoff innerhalb kürzester Zeit aufheizen, einen großen Schritt weiter. Wissenschaftlern des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien ist es 2016 erstmals gelungen, laser­befeuerte Fusions­prozesse in Gang setzen, bei denen das Aufheizen über Alphateilchen die dominierende Rolle beim Energie­eintrag spielte.

Jan Oliver Löfken

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